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Pfarrer von Ars: Ein gelebtes Evangelium

Vor 150 Jahren starb der Pfarrer von Ars – Der heilige Jean-Marie Vianney machte die Liebe zu Gott und zum Heil der Seelen sichtbar
Foto: KNA | Eine Statue in Ars erinnert an eine Episode des heiligen Jean-Baptiste-Marie Vianney: Der neue Pfarrer fragte einen Hirtenjungen nach dem Weg – und versprach, ihm zum Dank den Weg zum Himmel zu weisen.
Der heilige Pfarrer von Ars
Foto: KNA | Wusste, wie unersetzlich das Gebet für Priester ist: Der heilige Pfarrer von Ars.

Die Kirche begeht am 4. August den Tag des heiligen Pfarrers von Ars (1786–1859). Auch in dem von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen „Jahr der Priester“ wird der Pfarrer von Ars, Jean-Marie Vianney, häufig genannt werden.

Wer ist der Pfarrer von Ars?

Eine erste Antwort gibt die Instruktion „Der Priester, Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde“, die die römische Kongregation für den Klerus 2002, nicht zufällig am 4. August, veröffentlicht hat. Es heißt dort: „Die ganze Geschichte der Kirche ist von leuchtenden Beispielen wirklich radikaler pastoraler Hingabe erhellt. Es handelt sich um eine zahlreiche Schar heiliger Priester, wie der heilige Pfarrer von Ars, der Patron der Pfarrer, die durch großherzige und unermüdliche Hingabe an die Seelsorge, begleitet von einer tiefen Askese und geistlichem Leben, zu einer anerkannten Heilig-keit gelangt sind. Diese Hirten, verzehrt von der Liebe zu Christus und der daraus folgenden Hirtenliebe, stellten ein gelebtes Evangelium dar.“

Solche Worte finden sich aber nicht erst in dieser Instruktion aus dem Pontifikat Johannes Pauls II. In seiner Enzyklika „Sacerdotii nostri primordia“ schrieb Johannes XXIII. 1959: „Der heilige Jean-Marie Vianney, der ,hart gegen sich selber und mild gegen andere‘ war, zeichnete sich in hohem Maße aus durch eine bewundernswerte Bereitschaft zur Ganzhingabe. Dadurch gemahnt er uns in äußerst willkommener und eindringlicher Weise an die erstrangige Bedeutung, die im standesgemäßen Vollkommenheitsstreben des Priesters dem Geist der Buße zukommt.“

Diese Enzyklika aus Anlass des hundertsten Todestages des Pfarrers von Ars hebt Vianneys strenge Befolgung der evangelischen Räte hervor, vor allem den Verzicht auf irdischen Besitz, den der Franziskaner-Tertiar in harter Askese befolgte, aber auch seinen Einsatz in Predigt und Katechese und vor allem sein Wirken als Beichtvater.

Jean-Marie Vianneys Herkunft und Werdegang

Jean-Marie Vianney entstammte der kleinbäuerlichen Welt des ländlichen Frankreich. Er war eine Gestalt des Neuaufbruchs des katholischen Glaubens – manche sprechen von katholischer Restauration – nach der radikalen Religionskritik der Aufklärung und nach der Revolution mit den Priestermorden, der Abschaffung des Christentums und der Anbetung der „Göttin der Vernunft“. Das war das Frankreich der Marienerscheinungen von 1820 in Lescouet-Gouarec oder von 1830 in der Pariser Rue du Bac.

1786 wurde Jean-Marie in Dardilly geboren, einem burgundischen Dorf nahe Lyon. 1794, als die Welle der Déchristianisation über Frankreich hinwegging, war er acht Jahre alt und hütete als Bauernjunge das Vieh. 1801, als Napoleon das Konkordat mit Pius VII. schloss, hatte sich daran wenig geändert. 1804, im Jahr der Kaiserkrönung Napoleons, trat er im Alter von 18 Jahren in die Schule ein, die der Pfarrer Charles Balley, sein geistlicher Mentor auf dem Weg zum Priestertum, in diesem Jahr in Écully bei Lyon eröffnete, um künftigen Priestern die notwendigen Bildungsvoraussetzungen zu vermitteln.

Aber schulische, gar akademische Bildung war Vianneys Sache nicht. Er hatte größte Schwierigkeiten mit dem Erlernen des Lateinischen, scheiterte im Seminar von Lyon und versagte in Prüfungen, bei denen er auch dann nicht erfolgreich war, als man ihn ausnahmsweise statt auf Latein auf Französisch examinierte. Aber er überzeugte durch Frömmigkeit, sodass der Generalvikar von Lyon seiner Weihe zustimmte. 1815 wurde er in Grenoble von Bischof Claude Simon für die Erzdiözese Lyon zum Priester geweiht.

Jean-Marie Vianney war das Gegenteil eines Intellektuellen und ganz und gar kein gelehrter Theologe. Er ist eines der Beispiele dafür, dass nicht Studium und theologische Wissenschaft, so wichtig sie sind, den Priester ausmachen, sondern Glaube, Frömmigkeit und priesterliches Charisma.

1818 kam er als Kaplan und Pfarrverweser nach Ars – Ars-sur-Formans im Département Ain – einem kleinen Dorf nördlich von Lyon. Es ist oft davon die Rede, dass er in Ars eine religiös desinteressierte, tote Gemeinde und ein verwahrlostes Kirchengebäude vorfand. Sein Biograf Francis Trochu macht Abstriche: „Man darf auf übertriebene Darstellungen hin nicht glauben, Vianney sei im Jahre 1818 auf eigentliches ,Missionsgebiet‘ gestoßen, auf eine Bevölkerung, jeglichen Glaubens und jeglicher christlichen Sitte bar.

Sicherlich hatte das Dorf in den letzten fünfundzwanzig Jahren religiös nicht geglänzt. Praktisches Heidentum hatte die Seelen durchsetzt, hatte bei der Mehrzahl dieser Dörfler den Glauben geschwächt, aber nicht völlig ausgerottet. Die Sakramentsbruderschaft, die Pfarrer Hescalle zu Anfang des 18. Jahrhunderts gegründet hatte, war nicht fallengelassen worden. Noch gab es in Ars einige Familien, bei denen christlicher Brauch galt.“ Daran knüpfte Vianney, der 1821 auch formell Pfarrer von Ars wurde, an, indem er 1818 eine Rosenkranzbruderschaft gründete und bald auch für Schulen für Mädchen und Jungen und für karitative Einrichtungen sorgte.

Armut, Askese, Fasten – und unbequeme Predigten

Vianney fiel auf durch bewusst gelebte Armut, größte Askese und strenges Fasten, ja durch Selbstgeißelung, die er aber bald wieder aufgab, durch Verzicht auf Schlaf und durch andere Mittel, um auch äußerlich ein Leben im Streben nach Heiligkeit zu führen. Er nahm den Kampf gegen die Wirtshäuser und die Tanzsäle seines Dorfes auf, womit er einigen als religiöser Eiferer erschien, während andere seinen Predigten, seiner Katechese und seinen Worten in der Beichte folgten.

Als 1823 in Trévoux, nicht weit von Ars entfernt, eine Volksmission stattfand, trat Vianney auch dort als Beichtvater auf. Seitdem verbreitete sich sein Ruf, der bald – vor allem seit 1827 – Pilger in großer Zahl nach Ars gehen ließ.

Dazu Francis Trochu: „Ein Mensch, den zu seinen Lebzeiten die Massen in Wallfahrtszügen aufsuchen, ist eine Seltenheit, die nur bei den Wüstenvätern ihresgleichen hat. Vom Jahre 1827 bis 1859 wurde seine Kirche nicht mehr leer. Dreißig Jahre hindurch hat sich ein ununterbrochener Pilgerstrom in immer neuen Wellen zur alten Kirche von Ars bewegt. Nicht einmal im Winter, wenn auf der Dombes-Hochebene bittere Kälte herrschte, nahmen die Fremden im Dorf bedeutend gegenüber der schönen Jahreszeit ab. Von November bis März brachte Pfarrer Vianney jeden Tag nicht weniger als elf bis zwölf Stunden im Beichtstuhl zu.“

Oder „Sacerdotii nostri primordia“: „Man kann sich kaum eine Vorstellung machen von Beschwerden, Widerwärtigkeiten und Körperqualen, welche dieser Mann in den endlosen Stunden des Beichthörens ausgestanden hat, war er doch durch Fasten, Bußwerke und Krankheiten, durchwachte und schlaflose Nächte bereits sehr geschwächt.“

Foto: IN | War zu Lebzeiten einer der größten Beichtväter der Kirche: Der heilige Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney (1786–1859).

Der Pfarrer von Ars wurde als „Idealbild priesterlicher Aszese und Frömmigkeit“ bezeichnet

Was den massenhaften Zulauf nach Ars in Gang setzte und in Bewegung hielt, war sein Beichtcharisma, verbunden mit dem Ruf eines heiligmäßigen Lebens, der dem in bewusster Armut lebenden Asketen anhaftete. Johannes XXIII., der sich 1959 als Papst an die Seligsprechung Vianneys 1905 und an seine erste Wallfahrt als Neupriester erinnerte, die ihn 1905 nach Ars geführt hatte, sagte in seiner Enzyklika, man könne über den Pfarrer von Ars nicht sprechen, ohne „an einen Priester zu denken, der sich einzig aus Liebe zu Gott und zum Seelenheil seiner Mitmenschen ganz ungewöhnliche körperliche Abtötungen auferlegte“.

Der Papst mit dem nicht eben asketisch anmutenden Äußeren unterließ nicht die Bemerkung, nicht alle Gläubigen seien zu einer solchen Lebensweise des Verzichtes auf Nahrung und Schlaf verpflichtet, um dann fortzufahren: „Aber die Vorsehung Gottes sorgt dafür, dass es in der Kirche zu allen Zeiten Seelsorger gibt, die unter dem Antrieb des Heiligen Geistes ohne Zögern diesen Weg einschlagen. Ist doch ein solches Leben ein vorzügliches Mittel, um viele Menschen aus den Verstrickungen des Irrtums und der Sünde auf den Pfad der Wahrheit und des Heils zurückzuführen.“

Jean-Marie Vianney starb am 4. August 1859 in Ars. 1905 von Pius X. seliggesprochen, wurde er 1925 von Pius XI. heiliggesprochen und 1929 zum Patron der Pfarrer ernannt.

Angelo Roncalli, der als Kirchenhistoriker zu den Gelehrten zählte und dem spätestens seit seiner Nuntiatur in Paris das Intellektuelle nicht fremd war, bezeichnete den Pfarrer von Ars als „Idealbild priesterlicher Aszese und Frömmigkeit“ und nannte ihn „für seine Zeit“ einen vorbildlichen Seelsorger. Ist er das auch für unsere Zeit? Kann er es sein? Können Priester heute so leben?

Karl Rahner spricht in seiner soeben postum als Auszug aus seiner „Einübung priesterlicher Existenz“ von 1970 publizierten Schrift „Der Priester von heute“ davon, wie „ein Priester heute auszusehen hat“. Es ist die Rede vom „Individualapostel im Massenzeitalter“, vom „Mystagogen einer personalen Frömmigkeit“, vom Priester als einem „humanen Menschen“, einem „brüderlichen Gefährten“, einem „Liebenden“, einem „religiös diskreten Menschen“, einem „frohen Menschen“, von einem „Menschen ökumenischer Gesinnung“ und nicht zuletzt auch davon, der Priester von heute müsse „in einem weiteren Sinne irgendwie gebildet sein“. Von Nahrungsentzug und Schlafverzicht spricht Rahner nicht. Und sein Wort: „Die Beichtväter, die in einer falschen Weise alle an sich zu fesseln suchen, sind nicht die richtigen“, könnte womöglich gegen den Pfarrer von Ars gewendet werden.

Bildung bezieht sich nicht nur auf den Kopf

Aber Schlafentzug und Nahrungsverzicht – das berühmte Leben des Pfarrers von Ars nur von Kartoffeln, auch von verschimmelten – sind nicht entscheidend und wohl das Zeitbedingte dieser Priesterexistenz. Entscheidend ist das, was dahinter stand: In Roncallis Worten „die Liebe zu Gott und zum Seelenheil der Mitmenschen“. Das hat eine Entsprechung in Rahners Entwurf, für den der Priester „in einem sehr deutlichen Maße ein Liebender“ sein muss, „der nicht sich selber sucht“, sondern „Mitträger des Leidens der anderen sein muss“.

Und die Bildung, deren schulisch-akademische Seite für den späteren Pfarrer von Ars eine Sache qualvoller Misserfolge war? Dazu Rahner: Priester „haben wirklich eine Aufgabe, echte, gebildete Menschen zu sein. Das heißt ferner, dass diese Bildung nicht bloß eine Kopfbildung sein muss, sondern eine innere Formung des ganzen, auch emotionalen Menschen.“ Diese innere Formung besaß der Pfarrer von Ars. Sie ist nicht zeit- und situationsbedingt wie der Schlafentzug und der Nahrungsverzicht.

Zwar warnt der Apostel Paulus im Römerbrief vor maßlosem Essen und Trinken, aber die verschimmelten Kartoffeln des Pfarrers von Ars würden heute – außer dort, wo wirkliche Not herrscht und der Priester sie bereitwillig teilt – nur komisch und sicher nicht missionarisch wirken. Ganz anders die sichtbar gemachte Liebe zu Gott und zum Seelenheil der Menschen. Ganz anders auch Bildung als innere Formung des emotionalen Menschen.

Video über Jean-Marie Vianney, den Pfarrer von Ars:

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