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Gianluigi Nuzzi: Luftblasen ersetzen keine Fakten

Wieder ein Vatikan-Buch von Gianluigi Nuzzi – und wieder beschleicht den Leser Unbehagen angesichts der Spekulationsfülle. Von Urs Buhlmann
Jeder kämpft um sein eigenes Papstbild
Foto: Symbolbild: dpa | Jeder kämpft um sein eigenes Papstbild – doch mancher schießt eindeutig daneben.

Nicht zum ersten Mal meldet sich der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi mit Enthüllendem zum Vatikan zu Wort. „Erbsünde“ ist sein vierter Band zum Geschehen auf dem vatikanischen Hügel; die Linie des Buches kommt im Untertitel zum Ausdruck: „Papst Franziskus' einsamer Kampf gegen Korruption, Gewalt und Erpressung“.

Wenn der Verlag ihn auf dem Umschlag zum Vatikanexperten adelt, ist das von ähnlicher Güte wie die Selbstermächtigung, in der Millionen von Deutschen jeden Samstag-Nachmittag zu Fußballexperten werden. Natürlich schließt das nicht aus, dass Nuzzi Einiges herausgefunden hat, dass er sich vor allem von den vielen stets auskunftsbereiten Plaudertaschen in Rom viel hat erzählen lassen. Doch das großtuerische Versprechen in der Einleitung, sieben Fragen beantworten zu wollen – dazu gehört der Evergreen, ob Johannes Paul I. ermordet wurde, wer Emanuela Orlandi entführt hat und warum Papst Benedikt zurückgetreten ist – kann er natürlich nicht einlösen. So ein Buch legt man unbefriedigt zur Seite – und braucht wegen des klebrig-pathetischen Stils einen klaren Schnaps danach.

Nuzzi behauptet, unveröffentlichte und hochgeheime Unterlagen in seinem Besitz zu haben und nennt als zentrale Figur bei der Etablierung eines „tödlichen Spinnennetzes“ aus „Gewalt, Lügen und Erpressung“, von dem der Vatikan beherrscht werde, den US-Vatikandiplomaten und Erzbischof Paul C. Marcinkus (1922–2006), von 1971 bis 1989 Chef der Vatikanbank, die den unschuldigen Namen „Institut für die Werke der Religion“ führt. Marcinkus ist eine in der Tat farbige Figur, dessen Name mit einer Reihe von Finanzskandalen in Verbindung gebracht wird, der deswegen zeitweise von den italienischen Behörden gesucht wurde und den Vatikan aus diesem Grund nicht verlassen konnte. Der Amerikaner, der auch als Reisemarschall und Leibwächter für Paul VI. amtierte und für seine rauen Manieren bekannt war – „Ich kann den Vatikan nicht mit Ave Marias führen“ – hat den Vorteil, tot zu sein. Ihm kann ein Journalist alles Mögliche unterstellen und anheften, er kann sich dazu nicht mehr äußern.

Ebenfalls tot ist Johannes Paul I., der Papst mit dem kurzen Pontifikat, der aber, wie Nuzzi behauptet, den festen Willen hatte, bei der Vatikanbank aufzuräumen. Er wurde, im Bett sitzend mit einem den Händen entglittenen Buch, lächelnd aufgefunden und sei einem Infarkt erlegen. Nuzzi weiß aber: „Ein lächelndes Gesicht passt eher zu einem Tod durch Vergiftung: Aufnahme des Gifts beim Lesen, dann Koma und Tod.“ Nuzzi behauptet, die Ermordung des Papstes gehe auf das Konto derjenigen, die ungestört schmutzige Geschäfte vermittels Konten der damals noch ganz unkontrollierten Vatikanbank machen wollten. Diese sei in den 1970er zu einem janusköpfigen Wesen geworden: „Auf der einen Seite Konten, die dazu dienten, den Hunger in der Welt zu bekämpfen, auf der anderen Seite solche von Männern, die (...) der italienischen Mafia nahestanden. Nach Weihrauch duftendes Geld vermengte sich mit blutbefleckten Drogengeldern.“ Gerichtsfeste Beweise kann der Autor nicht erbringen. Doch immer wieder betont er sein Spezialwissen, das bis in Details reiche. Es gibt wortwörtliche Zitate aus einer Sitzung im Jahr 2013 zur Neuordnung der Vatikanbank mit Papst Franziskus, dem damaligen Kardinalstaatssekretär Bertone, dem Kardinalsrat und weiteren Großen. Nuzzi tut so, als sei er dabeigewesen: „Papst Bergoglio schaut jeden an. Die Mehrheit der anwesenden Kardinäle hatte sicherlich für ihn gestimmt, viele aber erst im letzten Wahlgang.“ Woher weiß er das? Er behauptet, von einem Gespräch zwischen Tarcisio Bertone und Papst Benedikt kurz vor dessen Rücktritt zu wissen, weil die Tür des päpstlichen Arbeitszimmers nicht richtig geschlossen gewesen sei. Mit faktenbasiertem Journalismus hat das nichts zu tun. Interessant, dass Carlo Maria Vigano, der Ex-Nuntius, der Papst Franziskus zum Rücktritt aufforderte, bei Nuzzi gut wegkommt: „Vigano ist eine Persönlichkeit, wie sie in der Welt der Kirche nur selten anzutreffen ist. (...) Er ist tiefgläubig und charakterfest, weshalb er manchmal auch unbequeme und riskante Positionen bezieht.“ Letzteres ist sicher richtig.

Fazit: Nuzzis Buch ist in erster Linie ein Konglomerat aus unbewiesenen Behauptungen, bei denen die wenigen richtigen Details mit Vermutungen und phantasievollen Ausschmückungen vermengt werden. Die nicht immer stringente Informationspolitik des Heiligen Stuhls ist jedenfalls nicht hilfreich. Je weniger man weiß, desto mehr spekuliert man. Die Kirche hat gelernt, mit „Enthüllungsbüchern“ dieser Art zu leben und wird dies auch zukünftig tun müssen.

Gianluigi Nuzzi: Erbsünde. Papst Franziskus einsamer Kampf gegen Korruption, Gewalt und Erpressung. Orell Füssli Verlag, Zürich, 2018,

332 Seiten, ISBN 978-3-280-05685-1,

EUR 25,–

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