Ich habe mich im Sinne von Kants kategorischem Imperativ gefragt, was geschähe, wenn diese subjektive Maxime meines Handelns ein allgemeines Gesetz würde. Darauf kann es nur eine Antwort geben! Dann würde Ordnung, Sicherheit, Vertrauen in unser Staatswesen, in unser politisches Leben zurückkehren.“ Der Mann, der dies sagte, stand vor dem Gerichtshof eines Unrechtsregimes, nachdem er vor dem inneren Gerichtshof seines Gewissens eine Entscheidung getroffen hatte: So kann es nicht weitergehen!
Philosoph, Psychologe, Musikwissenschaftler und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus
Der Mann ist Kurt Ivo Theodor Huber, Philosoph, Psychologe und Musikwissenschaftler, (außerordentlicher) Professor in München und Volksmusikforscher in Berlin, intellektueller Kämpfer gegen den Nationalsozialismus und als solcher eng verbunden mit der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Wenige Wochen, nachdem er sich im Scheinprozess vor dem Volksgerichtshof auf Immanuel Kant berufen hat, wird Kurt Huber am 13. Juli 1943 hingerichtet. Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis „Ordnung, Sicherheit, Vertrauen“ allmählich wieder das gesellschaftliche Leben in Deutschland bestimmten.
Kurt Huber wird am 24. Oktober 1893 in Chur (Schweiz) geboren. 1896 zieht er mit seinen Eltern nach Stuttgart, wo er seine Schulzeit verbringt und am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium sein Abitur macht. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahre 1911 ließ sich die Mutter mit ihren Kindern in München nieder. An der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) studierte Huber Musikwissenschaften, Philosophie und Psychologie und promovierte im Jahr 1917 über den Renaissance-Musiker Ivo de Vento – Urteil: „summa cum laude“. Drei Jahre später habilitierte sich Huber in Psychologie und begann 1926 als außerordentlicher Professor seine Dozententätigkeit an der LMU. Einer Laufbahn als Wissenschaftler scheint nichts im Weg zu stehen.
Kurt Huber engagierte sich früh gegen den Nationalsozialismus
Schon früh engagiert sich Huber gegen den aufkommenden Nationalsozialismus, was seine Karriere spürbar hemmt. Eine Quelle seines Widerstands ist sein Glaube: Huber ist katholisch.
„Hubers Bindungen zum Katholizismus und sogar eine ausgesprochen parteifeindliche Haltung sind eindeutig erwiesen.“
Die Berufung auf einen ordentlichen Lehrstuhl wird seit der „Machtergreifung“ (1933) durch die nationalsozialistische Hochschulpolitik verhindert. „Begründet“ wird dies mit Hubers körperlicher Behinderung durch eine Nervenerkrankung, an der er seit seiner Kindheit litt und die zu Lähmungserscheinungen geführt hatte. Der eigentliche Grund jedoch waren politische Denunziationen, unter anderem durch den Musikwissenschaftler Herbert Gerigk, einem glühenden Antisemiten, der in einem Schreiben an den Reichsstudentenführer vom 19. November 1936 äußerte: „Hubers Bindungen zum Katholizismus und sogar eine ausgesprochen parteifeindliche Haltung sind eindeutig erwiesen.“
Schon die Nazis unterstellten offenbar einen Zusammenhang, den wir heute anhand von Schriftzeugnissen klar aufweisen können: Weil Huber katholisch war, war er parteifeindlich. Und weil er ein Mensch war, der sich weigerte, das Denken einzustellen. Und ein Patriot, der es – im Gegensatz zu den Nationalsozialisten – ganz ernst meinte mit dem Wohl des deutschen Volkes.
Sein Spezialgebiet war die Volksmusik
Eines von Kurt Hubers Spezialgebieten war die Volksmusik. Er hatte durch seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Carl Orff und insbesondere mit Kiem Pauli, einem bekannten Volkssänger und Volksliedsammler, große Verdienste erworben. Auf Veranlassung von Huber und Pauli wurde 1930 in Egern das erste oberbayerische Preissingen durchgeführt, bei dem Volksmusikgruppen aus ganz Bayern und Tirol auftraten. Pauli und Huber haben weithin in Vergessenheit geratenes bayrisches Liedgut wiederentdeckt und für das wiedererstehende Volksliedsingen erschlossen.
Durch seine Veröffentlichungen über Musikpsychologie und -ästhetik gewann Huber zunehmend Anerkennung in der musikwissenschaftlichen Kommunität. 1937 erhielt er einen Ruf nach Berlin, wo Huber das Volksmusikarchiv aufbaute. Da er sich jedoch weigerte, für den NS-Studentenbund Kampflieder zu komponieren, durfte er keine Vorlesungen an der musikwissenschaftlichen Hochschule in Berlin halten. Daraufhin kehrte der Professor, der inzwischen mit seiner Frau Clara eine Familie gegründet hatte, nach München zurück.
Der Kontakt mit Hans und Sophie Scholl
Hubers Karriere stockte aber auch an der Münchner Universität zusehends. Er verdiente wenig, zu wenig, um eine Familie zu ernähren. Schließlich gab er dem Druck nach und trat am 1. April 1940 als Parteimitglied Nr. 8.282.981 in die NSDAP ein. Seiner Popularität als Dozent tat weder die Charakterisierung als „parteifeindlich“ noch dieser zweckopportune Parteieintritt einige Jahre später Abbruch, im Gegenteil: Viele Studenten besuchten seine Vorlesungen nicht nur wegen des darin vermittelten Fachwissens, sondern auch, weil Huber als Freigeist galt, der – etwa im Gegensatz zum Kollegen Gerigk (Mitherausgeber des „Lexikon der Juden in der Musik“, 1940) – alle nationalsozialistische Indoktrinierung vermied. So kommt Huber in Kontakt mit den Münchner Studenten Hans und Sophie Scholl.
Im Sommer 1942 folgen die ersten Treffen des Professors mit der Weißen Rose. „Musikalische Abende“, so nennen sie ihre geheimen Zusammenkünfte, bei denen Kurt Huber auch von den Flugblattaktionen erfährt. Als Katholik war er bis zu diesem Zeitpunkt in ständigem Gewissenskonflikt. Huber litt unter den äußeren Zwängen des nationalsozialistisch kontrollierten Hochschulbetriebs, aber auch unter der inneren Zerrissenheit.
„Wir müssen etwas unternehmen und zwar sofort.“
Von Huber ist der Satz überliefert: „Wir müssen etwas unternehmen und zwar sofort.“ Jedoch hat er selbst zunächst nicht den Mut, zur Tat zu schreiten, auch aus Sorge um seine Familie. Erst durch seine Mitwirkung bei der Weißen Rose macht sich Huber von allen Ängsten frei.
Die Entwicklung zum Aktivisten
Die Niederlage von Stalingrad, die mit der Kapitulation der 6. Armee am 2. Februar 1943 besiegelt war, ließ ihn schließlich endgültig zum Aktivisten gegen die Nazis werden. In einer Vorlesung sagt er ganz offen: „Die Zeit der Phrasen ist vorbei.“ Er arbeitet am fünften Flugblatt der Widerstandsgruppe mit, das sechste schreibt er selbst. Darin ruft er zur „Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser deutsches Volk je erduldet hat“ auf. Leider kommt „die Zeit der Abrechnung“ zunächst ganz anders als geplant.
Am 18. Februar 1943 werden Sophie, Hans und ihr Freund Christoph Probst von Jakob Schmid, dem Hausmeister der Münchner Universität, bei der Verbreitung des Flugblatts ertappt und angezeigt. Noch am selben Tag werden die drei von der Gestapo verhaftet und bis zum 20. Februar intensiv verhört.
Die Verhaftung von Kurt Huber
Am 22. Februar werden die drei LMU-Studenten zum Tode verurteilt – wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung“, „Vorbereitung zum Hochverrat“ und „Wehrkraftzersetzung“. Noch am gleichen Tag werden sie durch das Fallbeil hingerichtet. Kurz darauf zieht die Gestapo los und zerschlägt die Weiße Rose. Am 27. Februar 1943 wird neben einigen anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe auch Professor Kurt Huber verhaftet.
Im zweiten Weiße Rose-Prozess im Münchner Justizpalast stehen am 19. April 1943 insgesamt 14 Angeklagte vor dem Volksgerichtshof unter Vorsitz von Roland Freisler. Es dauert 14 Stunden, bis die Urteile gesprochen werden. Kurt Huber, Alexander Schmorell und Willi Graf erhalten die Todesstrafe.
Die Auseinandersetzung vor Gericht
Richter Freisler, der sonst alle niederschreit, wird von Professor Huber direkt angesprochen und attackiert. In seiner eingangs schon zitierten Verteidigungsrede im Angesicht des Todes spricht Kurt Huber ganz offen Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Regime das Recht ab, Deutschland ins Verderben zu stürzen. Und er klärt noch einmal über seine Motive auf: „Als deutscher Staatsbürger, als deutscher Hochschullehrer und als politischer Mensch erachte ich es als Recht nicht nur, sondern als sittliche Pflicht, an der politischen Gestaltung der deutschen Geschicke mitzuarbeiten, offenkundige Schäden aufzudecken und zu bekämpfen.“ In diesem Geist fordert er „die Freiheit für unser deutsches Volk zurück“.
Die Nachwelt sollte ihm in seiner Grundhaltung Recht geben: „Rückkehr zu klaren sittlichen Grundsätzen, zum Rechtsstaat, zu gegenseitigem Vertrauen von Mensch zu Mensch; das ist nicht illegal, sondern umgekehrt die Wiederherstellung der Legalität.“ Zahlreiche Schriften Hubers werden erst nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, so unter anderen auch eine Monographie über den Philosophen Leibniz.
Leuchtendes Vorbild für die Katholische Kirche
Für die Katholische Kirche ist Kurt Huber ein leuchtendes Vorbild im Glauben: 1999 wird er als einer der „Blutzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus (1933– 1945)“ in das Deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Im Bewusstsein der Kirche lebt er auch im Alltag weiter, als Namensgeber katholischer Einrichtungen, vor allem im Bildungsbereich. So ist etwa die Akademikerseelsorge des Erzbistums Berlin im „Kurt-Huber-Kreis“ organisiert.
Doch auch den Menschen außerhalb der Katholischen Kirche kann Kurt Huber etwas mit auf den Weg geben: den Wert der Freiheit, den Huber vor dem Volksgerichtshof in einem – richtig verstanden – auch heute noch aktuellen Appell betont: „Wir wollen nicht in Sklavenketten unser kurzes Leben dahinfristen, und wären es goldene Ketten eines materiellen Überflusses.“
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe