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Klaus Berger: Feuer für die Seelen

Klaus Berger wird 70 – Auch in seinem aktuellen Jesusbuch antwortet der Exeget fern des Mainstreams. Von Ansgar Wucherpfennig SJ
Klaus Berger
Foto: KNA

Am 25. November wird Klaus Berger 70 Jahre alt. Auf seinem Gabentisch liegt ein neues Jesusbuch, das soeben bei Herder erschienen ist. Und obwohl Berger Papst Benedikt im ganzen Buch eigentlich nur ein einziges Mal und en passant erwähnt: In seinem Duktus ist es eine Würdigung der neueren Arbeiten des Papstes zur Person Jesu. Klaus Berger teilt nämlich das Hauptanliegen des Papstes: Er möchte Jesus wieder als Person erfahrbar machen. Sein Buch ist kein weiterer historisierender Gedenkstein über dem Grab Jesu. Ein Grabstein hat den Gottessohn auch schon vor zweitausend Jahren nicht einsperren können.

Bergers Buch eröffnet eine Begegnung mit dem lebendigen „Wundertäter“ Jesus. So ist das Buch betitelt, und über Jesu Wunder schreibt Berger auch. Allerdings ist sein Verständnis von Wundern weit: „Wunder nennt man eine besondere Erfahrung besonderer Macht Gottes“. Daher ist Bergers Buch eigentlich ein Versuch, das größte Wunder überhaupt einzufangen: das Geheimnis der Person Jesu. Jesus ist „Wundertäter“, aber kein antiker Thaumaturge. Er ist kein Wunderheiler, der sich an spektakulären Mirakeln versucht. Jesu Wunder wollen vielmehr „ganz nahe an Gottes Herz heranführen“: ein Herz, wie das „eines Liebhabers, der auf tausend Wegen und vor allem mit zärtlichen, fantasievollen Erweisen versucht, der Geliebten“ – das heißt den Jüngern, der Kirche, uns Menschen heute – „seine Liebe zu zeigen, um sie zu gewinnen“.

Fragen, die zu neuen Horizonten führen

Dazu gehört eben auch, dass diese Liebe am Kreuz zunächst ein brutales und scheinbar vorzeitiges Ende findet. Jesus hilft sich mit seinen Wundern nicht selbst. Am Kreuz ist deshalb auch der Wundertäter Jesus aus Liebe machtlos.

Auch mit 70 gibt Klaus Berger noch keine Antworten, die man im Mainstream neutestamentlicher Exegese wiederfindet. Er fragt kritisch und verfolgt, wie ihn sein Fragen zu neuen Horizonten führt. Das macht Klaus Bergers Buch spannend. Für viele mag es sogar eine leichtere Lesekost als das Jesusbuch des Papstes sein. Denn dem emeritierten Neutestamentler steht eine größere Freiheit zur Verfügung, gewitzt zu provozieren, als dem Nachfolger Petri.

Klaus Berger nimmt sich diese Freiheit

Und Klaus Berger nimmt sich diese Freiheit auch, ein paar Beispiele: Die Wunder Gottes im Dunkel der Geschichte vergleicht er mit dem Gold, das sein Zahnarzt ihm neulich im grauen Gemisch einer ausgebrochenen Zahnfüllung gezeigt hat. Wenn das Erscheinen Gottes von einem Erdbeben begleitet ist, erklärt er: „Wenn Gott kommt, reagiert die Erde ,aufgeregt‘, unnormal und im Gegensatz zu jeder Erwartung.“ Er zeigt, wie die Wunderkraft Jesu durch „Osmose“ auf den überströmt, der sich im Glauben eng genug an Gott heftet, und findet dafür den schönen mittelalterlichen Satz omne bonum est diffusivum sui – „Alles Gute ist auch dadurch gut, dass es sich selbst verströmt“, übrigens eine schlaue Bergersche Übersetzung des thomistischen Prinzips. Von solcher Art ließen sich noch manche Leseperlen anfügen, etwa auch diese: „Kirche ist das Reich Gottes im Stadium der Sammlung.“

Mehr noch als Exeget schreibt Klaus Berger als Seelsorger. Er will Glauben wecken an Gott, der auch heute noch Wunder tut. Gott wirkt seine Wunder da, wo es der Kirche um Mission geht. Wunder ereignen sich deshalb auch vor allem dort, wo Bekehrung noch das Geschäft von Kirche geblieben ist: in Afrika, in Indien, aber auch an Marienwallfahrtsorten. Doch Klaus Berger bleibt Seelsorger auch dort, wo es für den Glauben brenzlig wird, etwa bei den Fragen der Theodizee: Warum sind die Wunder Gottes so ungleich verteilt? Warum gibt es trotz der Wunder noch so viel Leid?

Als Neutestamentler ist der Autor auch Seelsorger

Klaus Berger antwortet mit einer biblischen Differenzierung von Gottes Allmacht: Ein Wunder ist eine besondere Erfahrung von Gottes Schöpfermacht. Warum gibt es dann aber neben unbestreitbaren Wundern verheerende Katastrophen, persönliche wie globale? Für den Lernprozess der eigenen Seele zitiert Klaus Berger dazu Adalbert Stifter: „Der Schmerz ist ein heiliger Engel, und durch ihn sind die Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt.“ Das ist biblisch gut beobachtet. Sogar das schmerzhafte Vermissen einer Heilung kann eine Erfahrung Gottes sein. Ijob kann davon sein Klagelied singen. Hätte Klaus Berger Stifters Satz aber so stehen gelassen, wäre er freilich als Exeget noch kein großer Seelsorger. Als solcher schreibt er aber und fügt deshalb gleich hinzu: „Freilich darf man das immer erst lange nach der Katastrophe sagen.“

Klaus Bergers Wundertäter Jesus geht es um die Seelen der Menschen. Sein Buch gibt Antworten auf ihr heute wohl größtes Leiden. In das Seelendunkel vielfältiger, auch religiöser Übersättigung lässt Berger das frische morgendliche Licht des biblischen Jesus ein. Das iuvare animas ist in den letzten Jahren immer mehr sein Anliegen geworden, und ich wurde immer mehr zu seinem Fan. Sein Feuer für die Seelen der Menschen macht für mich Vieles verzeihbar, das ich ihm als Exeget immer noch angestrichen hätte: etwa die Druck- und Tippfehler, die auch in diesem Bergerbuch wieder geblieben sind. Besonders stört, wenn sie Schriftstellenangaben betreffen.

Die Meinung über die Nazoräer 

Viel lieber würde ich heute allerdings nach der Lektüre des Buches mit Klaus Berger diskutieren; und das würde ihn auch am meisten freuen. Ich würde ihn gern fragen, ob er denn immer noch meint, dass die Nazoräer eine „asketisch-exorzistische Gruppierung“ waren, der auch Jesus angehörte. Nazoräer scheint doch im Neuen Testament allzu eindeutig Jesu Herkunft aus Nazaret zu bezeichnen. Vielleicht stimmt Klaus Bergers Annahme ja. Nazoräer ist als Bezeichnung für Christen im Syrischen und Arabischen weit verbreitet. Dann waren aber wohl alle Christen am Anfang eine prophetische, asketisch-exorzistische jüdische Erneuerungsbewegung, und Jesus hat sie gegründet. Das wäre ein Anfang, dessen Zauber man sich auch heute wieder wünschen würde.

Noch lieber würde ich Klaus Berger fragen, ob denn das Leitwort „Überbietung“ ausreicht, um Jesu Wunder im Verhältnis zum Alten Testament zu beschreiben. Sicherlich, Jesus überbietet Mose, David, die Propheten und die Priester, sogar spielerisch: Er ist mehr als Jona, mehr als Salomo, mehr sogar als der Tempel. Aber bei dem Wort „Überbietung“ klingt mir noch zu viel Konkurrenzgehabe mit, das ich bei Jesus nicht entdecke. „Erfüllung“ scheint mir schriftgemäßer.

Die „messianischer Fülle“

Von „messianischer Fülle“ spricht auch Klaus Berger. In der Erfüllung sieht Jesus seine Sendung selbst: Er ist gekommen, um das Alte Testament, das ganze Gesetz und die Propheten, zu erfüllen (Mt 5, 18). Dazu gehört altmodischer Gehorsam und unendlich viel Demut. Beides hat Jesus aber, und so bringt er der ganzen Schöpfung eine Fülle, in der „die unbegrenzte Gebefreudigkeit Gottes hervorbricht wie ein Wildbach“. Deshalb sind Wunder eine Antwort Gottes auf viele Fragen unserer Seelen. Sie sind ein sinnenhafter Beleg, dass Gott alle seine Verheißungen erfüllt, aber längst nicht alle unsere Wünsche. So habe ich es einmal von einer Frau gehört, die viel in der Bibel liest.

Es ist noch nicht lange her, da sah Klaus Berger seine eigene Seele von den Zeitungsschreibern mit reichlich Druckerschwärze bekleckert: War er nun immer katholisch, oder nicht? Sicherlich schaut er auf 70 bewegte Jahre zurück. Man könnte ihm gut etwas mehr Ruhe wünschen – übrigens auch ein Kennzeichen Gottes in den von ihm untersuchten Wundern – dann würde er weiter Zeit und Muße für sein Arbeiten an der Schrift finden. In seiner Exegese habe ich Klaus Berger immer als einen leidenschaftlichen Sucher nach einer Wahrheit erlebt, die katholisch größer ist als menschlich enge Grenzen. So endet auch sein jüngstes Buch ganz leibfreundlich katholisch. Die Wunder sind Zeichen der besonderen Leiblichkeit Jesu. Sie gehören deshalb zu seiner Predigt wie die Eucharistiefeier zum Wortgottesdienst. Kein Wunder! Denn: „In seiner eucharistischen Leiblichkeit kommt Jesus den Menschen und ihrer Leiblichkeit am nächsten.“

Klaus Berger: Der Wundertäter. Die Wahrheit über Jesus. Herder-Verlag, Freiburg, 2010, gebunden, 260 Seiten, ISBN 978-3-451-33200-5, EU 19,95

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