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Interviews mit Joseph Ratzinger: Zeugnisse für Glauben und Wahrheit

Eine Neuveröffentlichung präsentiert international geführte Interviews mit Jospeh Ratzinger. Von Michael Karger
Ratzinger
Foto: KNA

Auf die Interviewbände 13/1 und 13/2 der Reihe „Gesammelte Schriften“ zum Werk des emeritierten Papstes folgen nun ausgewählte Gespräche, die Joseph Ratzinger im Zeitraum von 1969 bis 2004 für Fernseh- und Rundfunkanstalten, Magazine, Zeitungen und Zeitschriften gegeben hat (13/3). Die meisten davon spiegeln die offensive und dialogbereite Amtsführung des Präfekten der Glaubenskongregation wieder.

Lehrdokumente, die während des Pontifikats von Papst Johannes Paul II. veröffentlicht wurden, werden erläutert, innerkirchliche, gesellschaftliche und weltpolitische Fragen erörtert. Dabei dokumentieren die Pressegespräche den beispielhaften Einsatz des Präfekten, der auf die Herausforderungen der Zeit mit größter analytischer Klarheit zu antworten wusste. So wandte er sich beispielsweise gegen die Vorstellung, dass „sich der Glaube in einer Art politischen Moralismus erschöpfe. Die Kernbotschaft von Gott, von Jesus Christus, vom zeitlichen und ewigen Heil muss wieder vernehmlicher werden, denn die Kirche ist keine Weltverbesserungsorganisation”.

Die Ausrichtung auf Christus war ihm ein Anliegen

Zeugnis von der Entschiedenheit, mit der Ratzinger die schwerwiegenden Gefahren für den Glauben erkannt und beim Namen genannt hat, sind auch seine Reaktionen auf das Scheitern der Einigungsverhandlungen mit Erzbischof Marcel Lefebvre. Ratzinger versuchte, die tieferen Ursachen für den Zulauf zu den Traditionalisten zu beseitigen. Dies zeigen seine Äußerungen von 1989: „Wir können im Augenblick nicht erwarten, dass das Schisma geheilt wird. Aber wir sollten bei uns das zu überwinden suchen, was an Defiziten da war und Menschen dorthin geführt hat …”.

Alle Bemühungen Ratzingers um die erleichterte Zulassung der Feier der Messe im alten römischen Ritus haben ihren Ursprung in folgender Überzeugung: „Mir scheint, dass es doch einen gewissen Bruch im Liturgieverständnis gegeben hat. Die Reform ist von manchen (…) nicht als Reform in der Kontinuität (…) angesehen worden, sondern als Übergang zu etwas ganz Neuem.” Besonders bedeutsam für das Liturgieverständnis von Ratzinger ist das hier erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegte, ursprünglich in Französisch gegebene Interview von 2001. Es enthält zunächst eine wunderbare Definition der Liturgie aus dem Geist der Vätertheologie, die hier nur ausschnittweise zitiert werden kann: „In der Liturgie wird das Mysterium unserer Erlösung Wirklichkeit. Die liturgische Handlung ist die Zelebration der Liebe der Braut, das heißt der Kirche, gegenüber dem Bräutigam, der Christus ist, und die Gegenwart des Bräutigams inspiriert und gestaltet die Liturgie. Sie ist das Gebet der Kirche, verwandelt durch den Heiligen Geist.”

Hinsichtlich der Zelebrationsrichtung führt Ratzinger aus, dass es im eucharistischen Teil der Messe „normal [ist], dass der Priester in diesem Moment in dieselbe Richtung blickt wie das Volk, weil er doch nur dem Volk auf den Herrn hin vorangeht. Aber nicht der Priester ist der Orientierungspunkt der Liturgie, sondern Christus”. Darum nennt es Ratzinger „sinnentstellend” wenn man dies als „,dem Volk den Rücken kehren' etikettiert”. Bei der Ostung der Kirchen geht es um diese gemeinsame Gebetsrichtung, dorthin wo die Sonne aufgeht, also darum, „sich gemeinsam auf Christus hin auszurichten”.

Joseph Ratzingers Vorschlag im Interview

In diesem Interview macht der Kardinal auch einen Vorschlag für die liturgische Praxis: „Die Christen finden die Sonne in der Symbolik des Kreuzes wieder, denn das Kreuz ist das Zeichen des gekreuzigten Herrn und des Herrn, der in Herrlichkeit wiederkommen wird. Unser Orient ist also das Kreuz. Aus diesem Grund schlage ich vor, dass man es auf dem Altar aufstellt, so, dass es für alle gut sichtbar ist und so der eucharistischen Liturgie ihre wahre Orientierung gibt.” Entsprechend seiner bereits 1992 ausgesprochenen Ablehnung eines erneuten „äußeren Reformismus” und dem Eintreten für eine „innere Reifung, die sicher ein Morgen bringen wird, auch eine Reform der Reform” hat Papst Benedikt diese praktischen Vorschläge in seinen Pontifikalämtern umgesetzt, aber sie niemals allgemein angeordnet. Vielmehr hat er ein persönliches Beispiel gegeben, eine Vorgabe durch Vorleben. Beglaubigt durch seine Verkündigung und seine sachlichen Argumente wirkte Benedikt XVI. hier kraft seiner Spiritualität.

In der Rückschau auf das heftig kritisierte Lehrschreiben „Dominus Iesus” stellte Ratzinger 2002 nochmals dessen wahre Aussage heraus. Ausgangspunkt ist auch hier der Relativismus der Moderne mit der Vorstellung, dass es im Bereich der Religion nur „subjektive Erfahrungen” gibt, mit der Folge, „dass auch die Gestalt Jesu Christi in der Religionsgeschichte versinkt und Jesus angesehen wird als einer, der zwar besondere Erfahrungen gemacht hatte, aber doch unter vielen anderen steht”. Demgegenüber ging es in dem Dokument der Glaubenskongregation zuerst darum, dass Gott selbst in unsere Welt eingetreten ist und sich dem Menschen mitgeteilt hat. In einem zweiten Punkt sollte zum Ausdruck kommen, dass „Jesus nicht in einer fernen Geschichte stecken geblieben ist, sondern dass er in jede Zeit hineinreicht. Und zu diesem Glauben gehört die Überzeugung, dass Jesus in dem lebendigen Subjekt Kirche trotz all ihrer Unzulänglichkeit heute da ist und uns so die Gleichzeitigkeit mit Christus geschenkt wird”.

Eine differenzierte Haltung zu Wissenschaft und Glauben

Ein großes, immer wiederkehrendes Thema der Gespräche ist die Exegese. Für Ratzinger besteht der große Irrtum der letzten fünfzig Jahre darin, „dass man jeweils die augenblicklich mit großer Gebärde auftretenden Exegesen mit ,der Wissenschaft? identisch gesetzt hat und ,die Wissenschaft? als die Autorität ansah, die nun allein gültig ist, während der Kirche keine Autorität mehr zukam” (2003). Diesbezüglich gelte es der sogenannten Wissenschaft gegenüber Skepsis zu bewahren und vor allem „Vertrauen zum Glauben der Kirche” zu bewahren, denn er ist die „eigentliche Konstante”, die uns den wahren Jesus zeigt. Alles andere sind „fragmentarische Konstruktionen, in denen sich der Geist der Zeit viel mehr spiegelt als die Ursprünge”.

Von diesen Überlegungen führt ein direkter Weg zu „Jesus von Nazareth”, dem großen christologischen Hauptwerk Joseph Ratzingers. Ebenfalls im Interview von 2003 gibt Ratzinger einen Hinweis auf dieses Buch und seinen Inhalt: „Ich habe im August angefangen, ein Buch über Jesus zu schreiben. Da werde ich sicher drei, vier Jahre brauchen, so wie die Dinge aussehen. Da möchte ich zeigen, wie aus der Bibel eine lebendige und in sich stimmige Gestalt auf uns zutritt und wie der Jesus der Bibel auch ein ganz gegenwärtiger Jesus ist.”

Das letzte abgedruckte Interview

Im letzten der abgedruckten Interviews antwortet der Kardinal auf die Frage nach dem Problem, das ihm die größte Sorge bereite, mit dem Hinweis auf den Relativismus: „Es erscheint heute als Hochmut – und unvereinbar mit der Toleranz – zu denken, dass wir wirklich vom Herrn die Wahrheit empfangen haben. Es scheint vielmehr, dass wir, um tolerant zu sein, alle Religionen und alle Kulturen als gleich betrachten müssen. Im diesem Kontext ist Glaube ein Akt, der immer schwieriger wird.” Dies war im Jahr 2004. Ein Jahr später stellte Ratzinger als Dekan des Kardinalskollegiums die Kritik des Relativismus als Aufgabe der Kirche in den Mittelpunkt seiner Ansprache unmittelbar vor dem Konklave, aus dem er als Benedikt XVI. hervorgehen sollte. In den ausgewählten Interviews wird nicht nur die einzigartige Lebensleistung des Präfekten Joseph Ratzinger ansichtig gemacht, sondern darüber hinaus auch die tiefe innere Logik seines Pontifikats. In ihrer klaren Diktion sind alle drei Gesprächsbände nicht nur Teil seines Gesamtwerkes, sondern vor allem auch das Vermächtnis eines Zeugen des Glaubens und Mitarbeiters der Wahrheit für seine Zeit.

Joseph Ratzinger: Im Gespräch mit der Zeit. Dritter Teilband. (Joseph Ratzinger: Gesammelte Schriften Bd.13/3). Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2017, 496 Seiten, ISBN 978-3-451-37593-4, EUR 55, –

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