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„Ich bin gut vorbereitet!“

Das letzte große Interview mit Joachim Kardinal Meisner über Sterben, seine Ankunft im Himmel und Liebe auf den ersten Blick. Von Claudia Kaminski und Esther von Krosigk
Foto: KNA | Kondolenzbuch für den ehemaligen Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner im Kölner Dom.

Er freue sich nicht gerade auf seinen Tod, äußerte Joachim Meisner im April, aber er warte einfach, ja, er warte... Nach diesen langsam gesprochenen Worten war es für einen Moment still im Raum, und fast schien es, als wolle er noch etwas hinzufügen, aber er brach ab. Und als wir ihn fragten, wo er denn sterben wolle – wenn er es sich denn aussuchen dürfe – sagte er nach kurzem Zögern schmunzelnd: „Im Bett“. Dieser Wunsch wurde ihm fast erfüllt: Ganz friedlich ist der Alt-Erzbischof von Köln am vergangenen Mittwochmorgen während seines Urlaubs in Süddeutschland entschlafen. In einem Stuhl sitzend, sein Brevier in den Händen haltend. Sein geliebtes Brevier, das im Laufe seines Lebens angereichert wurde mit Texten und Fotografien seiner Vorbilder, der Kardinäle Stepinac und Mindzsenty, denen er schon als Jugendlicher nacheifern wollte. Als Glaubenszeuge, wie er uns sagte.

Unser Gespräch mit ihm sollte „die letzten Dinge“ behandeln – so hatten wir es in unserer Interview-Anfrage wenige Wochen zuvor formuliert und er hatte gleich am nächsten Tag zugesagt. Zwei Treffen wurden vereinbart, ein Buch würde daraus entstehen. Leicht zusammengesunken saß Joachim Kardinal Meisner mit uns am Teetisch in seinem Arbeitszimmer, vor seinem Fenster leuchtete golden das Westportal des Domes in der Nachmittagssonne. „Nun greifen Sie doch zu“, sagte er und schob den Teller mit Plätzchen in unsere Richtung. Wir widerstanden tapfer – es war ja noch Fastenzeit. Zudem spürten wir, dass unsere Zeit mit ihm nur kurz bemessen war, wir wollten keine Sekunde vertun.

Alles sei für sein Sterben vorbereitet, versicherte er uns. „Was menschlich vernünftig ist, habe ich getan: Meinem letzten Sekretär, Oliver Boss, dem habe ich alles gegeben, was in den Sarg hineingelegt wird. Das Pallium beispielsweise, das darf ich ja ohnehin nur noch im Sarg tragen.“ Schmunzelnd fügte er hinzu: „Ich habe ihm alles übergeben, damit es hinterher keine Sucherei gibt.“

Auf die Frage wo er denn beerdigt werden würde, blickte der Kardinal auf den Dom: „Da drüben – wo die Bischöfe hinkommen.“ Seinen Platz selber auswählen könne er allerdings nicht, denn es ginge immer „der Reihe nach“: „Ich müsste jetzt auf die andere Seite. Da habe ich die Bitte ausgesprochen: Legt mich doch gegenüber vom Kardinal Frings.“ Die Gruft hatte er bisweilen alleine aufgesucht: „Ich darf Ihnen sagen, dass es schon zu Lebzeiten wichtig sein kann zu wissen, wohin man kommt. Bei manchen Entscheidungen, die ich im Leben treffen musste, hat mir das tatsächlich sehr geholfen: Von Menschen können Sie sich beraten lassen, aber abnehmen kann Ihnen gewisse Entscheidungen niemand. In solchen Zeiten habe ich mein Anliegen auf einem Zettel notiert und bin dann dort alleine hinunter gestiegen. Nur mit dem Blatt in der Hand. Das habe ich dort in die Gruft an eine bestimmte Stelle gelegt und gesagt: Lass mich, Herr, so entscheiden, dass, wenn sie mich hier irgendwann hineinschieben, sie sagen können: Das war richtig, wie er damals entschieden hat.“ Und für ihn selbst – wie gehe es da eigentlich nach dem Tod weiter? „Ich bin mir bewusst, dass ich in die Arme Gottes falle“, sagte er spontan. Der Herrgott wiederum, so war sich Meisner sicher, würde sich über sein Heimkommen freuen und ihn mit den Worten empfangen: „Ein Glück, dass Du jetzt da bist.“ Bei solchen Gedankenspielereien konnte Meisner lachen wie ein kleiner Junge.

Dieser große Kämpfer für den Glauben, der vielen als zu konservativ galt, ihm ging es wörtlich „... immer um die Wahrheit. Das hat mich stets bewegt. Im Evangelium geht?s gar nicht ohne Wahrheit.“ Darum war er nie bereit, Kompromisse zu machen, schon gar keine falschen. Wäre er denn bereit gewesen, dafür ein Martyrium auf sich zu nehmen? Mit Blick auf die kritischen Kölner und manchen Verriss in der Presse antwortete Meisner lakonisch: „Ich hab' ja nun permanent mein Martyrium hier gehabt...“ Das klang nicht resigniert und war auch nicht in Ironie verpackt, sondern einfach ehrlich. So ehrlich, wie Meisner eben sein konnte: Bis zur Schmerzgrenze – der eigenen und die der anderen. Gleichzeitig hatte er diese ganz weiche Seite, die in keinem Widerspruch stand zu dem starken und kämpferischen Naturell, das er für Glaubensdinge einzusetzen und mit dem er sich auch durchzusetzen wusste: Etwa, was den Schutz des ungeborenen Lebens betraf oder die Würde des Menschen.

Als wir ihn fragten, wie er, der doch tief innen eine Zartheit hegte, zeitlebens mit Verletzungen umgegangen sei, schluckte er. Stand auf und verschwand in einem Nebenraum. Eine Holzskulptur in den Händen, kehrte Meisner zu uns zurück und stellte sie auf den Tisch: Christus an der Geißelsäule, vor Schmerzen bereits zu Boden gegangen, die gefesselten Arme auf den Rücken gedreht. „Das sind Stationen im Leben Jesu, in denen ich ganz Zuhause bin“, sagte der Kardinal. „Dieser liegende Christus hier hat mich auf all meinen Wegen begleitet! Den habe ich betrachtet und ihm dabei gesagt: „Herr, so tief liege ich noch gar nicht, aber wenn ich gefallen bin, bin ich auf Dich gefallen!“

Früh im Leben hatte das Leiden bei ihm mit dem Verlust des Vaters und mit der Flucht aus dem heimatlichen Breslau begonnen. Im Kindesalter war der eigene Schmerz zu einem verborgenen Mitempfinden mit dem Schicksal der geliebten Mutter geworden, die ihn und die drei Brüder in der Fremde ganz alleine großziehen musste.

Auf dem Weg der geistlichen Berufung hat Joachim Meisner sicher auch die stark vermisste Vaterfigur gesucht – und sie in manchem Weggefährten und Freund gefunden. Wie bei Papst Johannes Paul II. – der Alt-Erzbischof nickte: ja, das könne man sicher so sagen.

Über dessen Tod am 2. April 2005 blieb er mit dem Freund im Gebet verbunden: „Jeden Tag nenne ich ihn im Kanon der Heiligen Messe... Und an seinem Gedächtnistag habe ich jetzt wieder gesagt: Ich kann noch gar nicht glauben und nachvollziehen, dass Du schon zwölf Jahre im Himmel bist.“ Auch Mutter Teresa sei im Tagesgebet mit dabei – mit ihr und ihm sei es ja schließlich „Liebe auf den ersten Blick gewesen…“ Bezüglich der Papst-Wahl eines anderen Freundes, des emeritierten Papst Benedikt XVI., erinnerte er sich: „Jetzt geht das Pontifikat von Johannes Paul II. mit einer neuen, tieferen Dimension weiter... Das waren meine Gedanken. Und ich hatte ihm (Joseph Ratzinger) ja auch vorher massiv gesagt, dass er die Wahl annehmen muss, dass er sich dem stellen muss, wenn das Los wirklich auf ihn fällt! Natürlich auch, dass die Kirche ihn braucht. Und so klein, wie der Kardinal Ratzinger nach dem Gespräch dann war und so ganz in sich zusammengesunken vor der drohenden Last, das hat mich schon ins Herz getroffen.“

Joachim Meisner war bei aller Gottesnähe nicht lebensfern. Gleich zu Beginn unserer Treffen wollten wir wissen, ob er eigentlich noch gerne lebe? Keine Frage – ja, und er sei sehr dankbar und habe noch viel vor. Aber es gehe ja hinterher noch viel raffinierter weiter... Damit wurde deutlich: Das irdische Leben ist ein Vorgeschmack auf das himmlische Jerusalem. Für Joachim Kardinal Meisner war es so, dass es hier eine Aufgabe für ihn gab – aber das eigentliche Leben, seine eigentliche Bestimmung, das Leben in all seinen Raffinessen, findet der Mensch – und so auch er selbst – nur bei Gott: „Sehen Sie, die vielen Möglichkeiten, die uns mitgegeben sind – die können wir in siebzig oder achtzig Jahren gar nicht alle ausschöpfen und ausleben. Unser Leben bedeutet ja, dass wir diese Möglichkeiten in Wirklichkeiten verwandeln und je positiver die sind, desto heiliger ist der Mensch. Solange wir leben, können wir unsere Möglichkeiten ausschöpfen – und in der Ewigkeit besteht das fort, aber auf ganz andere Weise.“

In den letzten Monaten und Jahren saß der Kardinal täglich, wenn ihm dies möglich war, in der von ihm initiierten Ewigen Anbetung im Maternushaus: „Eine Stunde bleibe ich da jeden Morgen beim Herrn und packe alles hinein, was mich so bewegt. Das Gebet ist direkt Gott geschenkte Zeit, ein Stück meines einmaligen Lebens, das ihm dann ganz gehört.“ Nun ist Joachim Meisner ganz zurück bei Gott. Auf unsere Frage, was er ihm – in seinen Armen liegend – sagen wolle, war seine Antwort: „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht... Ich habe so viel geredet in meinem Leben – ich wäre froh, wenn ich dann einfach still sein könnte.“

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