Kirchengeschichtliche Zäsuren gleichen Wechselgesängen. Die unmittelbare Reaktion der Zeitgenossen müssen nachfolgende Generationen ergänzen, denn erst das Gesamt der Stimmen ergibt ein vollständiges Klangbild. Das Messbuch des heiligen Paul VI. ist die einschneidendste und konfliktreichste Entscheidung nach dem Konzil gewesen. Ein als Reform deklarierter Bruch, der die Glaubenspraxis der fünfzig folgenden Jahre maßgeblich prägen sollte.
Bruch kam nicht aus heiterem Himmel
Das Diktum des emeritierten Papstes Benedikt XVI., dass nicht heute verboten sein könne, was Generationen als das Heiligste galt, bringt das Dilemma des Missale auf den Punkt. Der Bruch kam allerdings nicht aus heiterem Himmel. Schon die von Pius XII. eingeführte Reform der Karwoche kündigte ein neues liturgisches Zeitalter an, in dem Riten verordnet wurden, anstatt organisch aus der Glaubenspraxis des Gottesvolkes heraus zu wachsen.
Spätestens seit dem Essener Katholikentag und der Königsteiner und Mariatroster Erklärung war klar, dass die Mehrheit der selbstbewussten Bischöfe nördlich der Alpen bedenkenlos bereit war, sich über päpstliche Weisungen hinwegzusetzen und den Vertretern der Los-von-Rom-Theologie institutionellen Rückhalt in theologischen Fakultäten, Katholischen Akademien und Laiengremien zu bieten. Vor dem Hintergrund einseitiger Interpretationen der Liturgischen Bewegung und konzilsberauschter liturgischer Kreativität fiel die Liturgiereform auf bereits vergifteten Boden und entfaltet bis heute eine gefährliche Eigendynamik.
DT
Wie die Theologen Winfried Haunerland und Manfred Hoping das Dilemma des Missale bewerten, erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 28. März 2019.