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Ein marianisches Pontifikat

Pius XII. gilt bis heute als der Fatima-Papst, obwohl er nie an den Gnadenort pilgerte. Von Michael F. Feldkamp
Foto: KNA | Dezent im Hintergrund steht die Statue von Pius XII. vor der neuen Dreifaltigkeitsbasilika im Pilgerbezirk von Fatima.

Am 13. Mai 1917, am gleichen Tag, an dem in dem kleinen portugiesischen Dorf Fatima die Muttergottes zum ersten Mal drei Hirtenkindern erschien, wurde in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan der stadtrömische Priester und langjährige Mitarbeiter der päpstlichen Verwaltung, Dr. theol. Eugenio Pacelli (1876–1958), von Papst Benedikt XV. (1914–1922) persönlich zum Bischof geweiht. Es ist nie bekannt geworden, wann Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1936–1958) von der Erscheinung Mariens in Fatima erfuhr, und welche Bedeutung er selbst der zeitlichen Parallelität beider Ereignisse beimaß. Immerhin wurde Pacelli zeitlebens als ein großer Verehrer der Madonna von Fatima wahrgenommen. Auf Gebetszetteln wurde der Papst gemeinsam mit der Statue der Fatima-Madonna abgebildet, obwohl er nie in Fatima gewesen war.

Eines ist wohl auch klar: An einen Zufall hat Pacelli sicher nie geglaubt. Vielleicht hat er das Zusammenfallen beider Ereignisse als ein sichtbares Zeichen der Erwiderung seiner Liebe zur Muttergottes gewertet? Es entsprach wenigstens zutiefst seinem Charakter, dass er um seine persönlichen Bedürfnisse und Belange so gut wie kein Aufhebens machte, weswegen er sich zu diesem Ereignis nicht äußerte. Übrigens hatte auch Papst Johannes Paul II. (1978–2005) bloße Zufälle des Lebens stets geleugnet und stattdessen von „Plänen der göttlichen Vorsehung“ gesprochen, als die Muttergottes ihm am 13. Mai 1981, dem Jubiläum der ersten Erscheinung, ihren besonderen Schutz gewährte.

Eugenio Pacelli fühlte sich schon als Kind bei der Gottesmutter Maria in besonderer Weise aufgehoben und von ihr beschützt. Andächtig betete er als Kind vor der bedeutendsten römischen Ikone „Salus populi“ in der Cappella Paolina der Basilika Santa Maria Maggiore und entwickelte eine intensive Marienfrömmigkeit. Nicht ohne Grund feierte Pacelli am 3. April 1899, einen Tag nach seiner Priesterweihe, seine Primiz vor dieser Ikone.

Am 13. Juli 1917 hatte in Fatima die Muttergottes das nahende Ende des Ersten Weltkriegs (1914–1918) angekündigt. Genau dieses aber, das Kriegsende herbeizuführen, war auch Pacellis Aufgabe. Mit seiner Ernennung zum Titularerzbischof von Sardes ging Pacellis Ernennung zum Apostolischen Nuntius in München einher. Obwohl er nur für Bayern zuständig war, stand er auch ohne eine formale Anerkennung beziehungsweise Akkreditierung mit den Bischöfen im ganzen Deutschen Reich in Verbindung. Pacelli hatte darüber hinaus noch im Sommer 1917 auf Initiative Papst Benedikts XV. den deutschen Kaiser Wilhelm II. (1888–1918) aufgesucht und diesen mit den Friedensinitiativen des Papstes zur baldigen Beendigung des Ersten Weltkriegs vertraut gemacht. Pacelli wurde also selbst zu einem Werkzeug dieses herbeigesehnten und in Fatima angekündigten Kriegsendes.

Nachdem 1927 eine der Seherinnen, Lúcia dos Santos, in einer „Botschaft des Himmels“ die Erlaubnis erhalten hatte, die ersten beiden Geheimnisse zu enthüllen, schrieb sie 1941 das sogenannte erste und zweite Geheimnis und 1944 das dritte Geheimnis von Fatima nieder. Die Niederschrift enthielt die Botschaften, die den Hirtenkindern ihren eigenen Angaben zufolge von der Gottesmutter übermittelt wurden. Die ersten beiden Geheimnisse wurden am 13. Mai 1942 mit Zustimmung des Heiligen Stuhls veröffentlicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg (1936–1945) rückte der Pacelli-Papst die Marienverehrung in den Mittelpunkt einiger theologisch-dogmatischer Entscheidungen.

Der Muttergottesstatue, die in Fatima nach den Beschreibungen der Seherinnen gefertigt wurde, setzte im Auftrag Pius' XII. am 13. Mai 1946 ein päpstlicher Legat eine Krone auf. Die Zeremonie war ein Jahr nach Kriegsende Ausdruck des großen Dankes für die nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft (1933–1945) wiedergewonnene Freiheit der Völker jenseits des Eisernen Vorhangs.

Wenige Tage zuvor hatte Pius XII. am 1. Mai 1946 seine Bischöfe um eine Stellungnahme gebeten, ob die leibliche Aufnahme Mariens als Dogma verkündigt werden sollte. 1 181 Bischöfe, bei nur 22 Gegenstimmen, ermutigten ihn, die Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel als Dogma zu verkündigen, was vier Jahre später, am 1. November 1950, dann auch feierlich erfolgte. Dieses Dogma war zugleich der höchste Ausdruck seiner eigenen persönlichen Marienfrömmigkeit. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Formulierungen des Dogmas auf Pius XII. persönlich zurückgehen. So heißt es dort wörtlich: „Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die Unbefleckte, allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.“ In diesem Dogma nahm er den Wunsch der in Fatima erschienenen Muttergottes auf und weihte die Menschheit und Russland dem Unbefleckten Herzen Mariens.

Mit der Enzyklika „Fulgens corona“ vom 8. September 1953 gedachte Pius XII. der hundertsten Wiederkehr des Jahrestags der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis Mariens (am 8. Dezember 1854) durch Papst Pius IX. (1846–1878) und kündigte die Ausrufung eines marianischen Jahres im Jahre 1954 an. Zur Eröffnung dieses ersten marianischen Jahrs in der Kirchengeschichte wurde 1953 die Ikone „Salus populi“ aus Santa Maria Maggiore durch Rom getragen, eben jene Ikone, vor der Pius XII. seine Primiz feierte. Anlässlich der Eröffnung des marianischen Jahres ließ Pius XII. 1953 diese Ikone mit einer silbernen Krone und darüber hinaus einem Brustkreuz versehen.

Mit den genannten Marienenzykliken gelang es Pius XII., die Marienverehrung nicht nur weltweit zu beleben, sondern auch auf ein theologisches und dogmatisches Fundament zu setzen. Das war auch deswegen sinnvoll, weil es zum Beispiel auch in Deutschland während der nationalsozialistischen Zeit zahlreiche Privatoffenbarungen und Marienerscheinungen gab, die für die örtliche Volksfrömmigkeit von zentraler Bedeutung, aber vom Heiligen Stuhl nur selten genehmigt worden waren.

Pius XII. selbst hatte im Jahre 1950 viermal eine Wiederholung des Fatima-Sonnenwunders vom 13. Oktober 1917 erlebt. Trotz seines eingeschränkten Augenlichts konnte er am 30. und 31. Oktober und 1. November 1950 sowie dann noch einmal acht Tage später, jeweils zur gleichen Stunde um 16.00 Uhr, in der das Dogma der Aufnahme Mariens Himmel verkündet worden war, dieses Sonnenwunder erleben.

Obwohl Pius XII. mit seinen Marienenzykliken im echten Sinne zu einem „Kirchenlehrer“ geworden ist, gilt die eingangs getroffene Feststellung, dass auch nachdem der Heilige Stuhl 1930 die Erscheinungen der Muttergottes in Fatima anerkannte, er sich selbst nie in die Nähe zu den Ereignissen in Fatima gerückt hat. Nur einmal, so heißt es, soll ihm eine Gruppe von portugiesischen Pilgern zugerufen haben „Es lebe der Papst von Fatima“, woraufhin er erwidert haben soll „Das bin ich“.

Übrigens gibt es ein weiteres Ereignis um den Pacelli-Papst, das mit Fatima in Verbindung gebracht werden kann. Am 13. Oktober 1917 war die Muttergottes zum letzten Mal in Fatima erschienen. 41 Jahre später, am 13. Oktober 1958, wurde Pius XII. in den Vatikanischen Grotten beigesetzt. Tausende von Menschen nutzten die Gelegenheit, von einem der bedeutendsten Päpste des 20. Jahrhunderts Abschied zu nehmen. So stehen die Tage der ersten und der letzten Marienerscheinung in Fatima, der 13. Mai und der 13. Oktober sinnbildlich und symbolträchtig für den Anfang des öffentlichen Wirkens des Bischofs und Nuntius sowie für das Ende des „Fatima-Papstes“.

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25.04.2024, 11 Uhr
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