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"Ein Abriss ist immer die letzte Option"

Was empfinden Menschen, wenn ihre Kirche umgenutzt oder gar abgerissen wird? Dieser Frage ging eine Diskussion in der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mühlheim an der Ruhr nach. Von Heinrich Wullhorst
Abriss und Schließung von Kirchen
Foto: Federico Gambarini (dpa) | Der Abriss eines Kirchengebäudes ist für Gläubige oftmals eine schmerzhafte Erfahrung. Das Bild zeigt den Abriss des "Immerather Doms", der dem Braunkohle-Tagebau weichen musste

„Wohin mit den Emotionen?“ lautete eine Frage in der Katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ in Mülheim an der Ruhr. Was empfinden Menschen, wenn ihre Kirche umgenutzt oder gar abgerissen wird? Der Düsseldorfer Pastoralpsychologe Wolfgang Reuter und der Leiter der Hauptabteilung Pastoral und Bildung im Bistum Essen, Markus Potthoff, gingen der Sache kürzlich auf den Grund.

Potthoff macht gleich zu Beginn deutlich, dass der Veränderungsprozess, den Moderator Jens Oboth als „epochal“ beschreibt, im Bistum Essen noch lange nicht zu Ende ist, sondern weitergeht. Nachdem der Unterbau des Bistums seit dem Jahr 2004 bereits von 256 auf 43 Pfarreien eingedampft wurde und 96 Kirchen auf die Streichliste kamen, müssen in der Zukunft weitere Gotteshäuser dran glauben. „Von den etwa 270 Kirchengebäuden, zu denen auch Kapellen gehören, bleiben 90, mit denen wir in die Zukunft gehen“, beschreibt Potthoff ein Szenario, das erstaunlich wenig Emotionen bei den Zuhörern hervorruft. Vielleicht, weil sie sich damit abgefunden haben? Oder weil die Schließungswelle aus der Sicht des Bistums „diesmal transparenter kommuniziert wird“?

"Pfarrentwicklungsprozess" nennt sich die neue Herangehensweise

Pfarrentwicklungsprozess nennt man die neue Herangehensweise, bei der die Pfarreien selbst aufgefordert waren, zu entscheiden, was aus ihnen werden soll. „Kirchenentwicklung geht nur partizipativ“, weiß Markus Potthoff. Die Einschätzungen zu ihrer Zukunftsfähigkeit mussten die Pfarreien dem Bistum melden. Anhand dieser Voten, die aus seelsorgerischer und finanzieller Sicht erfolgten, entscheiden die Bistumsverantwortlichen, wie es weitergeht, oder eben nicht.

„Ein Abriss immer die letzte Option“, beruhigt Markus Potthoff. Zuvor sondiert man im Generalvikariat alle Möglichkeiten einer Umnutzung. Egal was passiert, ob Schließung oder Abbruch, der Verlust „seines“ Gotteshauses löst bei den Menschen tiefe Emotionen aus. „Das merken wir an den vielen Briefen die der Bischof im Zusammenhang mit den Entscheidungen erhält“, berichtet der Hauptabteilungsleiter.

Schließung oder Abriss sorgt oft für regelrechten Widerstand

Gelegentlich geht der Protest weit über einen Briefkontakt hinaus. „In manchen Gemeinden wird ein regelrechter Widerstand organisiert, bis hin zu Unterschriftenaktionen.“ Betroffen macht es Potthoff, wenn Gläubige im Rahmen von Diskussionen über eine Schließungsentscheidung erklären: „Wenn Ihr meine Kirche schließt, dann trete ich aus.“ Daraus ergeben sich dann sehr oft Debatten, dass die Zugehörigkeit zu Katholischen Kirche doch nicht vom Bestand eines Gebäudes abhängig gemacht werden kann.

Für den Psychoanalytiker Wolfgang Reuter ist klar, dass der Verlust der „Kindheitskirche“ oft mit Erschütterung und Wut besetzt ist. „Das sind schließlich Orte, für die Menschen mit vielen positiven Bildern und besonderen Erinnerungen verbunden sind.“ Und die Emotionen, die entstehen müssten einen Raum finden, an dem wir sie ins Wort und in Beziehung bringen. „Sie müssen raus dürfen“, betont Reuter. Beim Blick auf die Nutzungssituation einer Kirche dürfe man nicht den Fehler machen, den Blick auf die Teilnahme der Menschen an der Eucharistiefeier zu verengen. „Für Viele ist die Kirche auch außerhalb der Gottesdienste ein Raum sehr persönlicher ritueller Erfahrung.“

Trauerbegleitung bei der Aufgabe von Kirchengebäuden nötig

Brauchen die Menschen bei der bei der Aufgabe von Kirchengebäuden so etwas wie eine Trauerbegleitung? „Ja, aber nicht als Angebot mit dem die Kirche etwas für die Gläubigen macht“, stellt Reuter die alten Methode der Seelsorge infrage. Es sei vielmehr erforderlich, den richtigen Umgang mit der sehr labilen Situation gemeinsam und auf Augenhöhe zu finden. „Die Menschen wissen selbst, was sie in so einem Moment brauchen, die Kirche kann bei der Suche nach dem Weg zum Umgang mit der Trauer helfen.“ Das müsse im Miteinander passieren und nicht, wie in früheren Zeiten, in einer Subjekt-Objekt-Haltung. Die Wut und Aggression der Menschen können nach Auffassung des Psychoanalytikers sogar hilfreich sein. „Dann, wenn es gelingt, sie konstruktiv in Lebenskraft umzuwandeln.“

Die Menschen seien daran gewohnt, mit dem Verlust von Orten umzugehen, erklärt Reuter: „Das ist eine Ur-Erfahrung, die wir schon am Beginn unseres Lebens machen.“ Mit der Geburt erfolge die erste „Ent-Bindung“ von einem vertrauten Ort. Schon hier reagiere der Mensch, der sich sonst noch nicht äußern könne, emotional: mit dem Geburtsschrei. Darüber hinaus machen wir in unserem Leben immer wieder die Erfahrung, dass ein Ortswechsel im Leben neue Chancen bietet. So könne die Veränderung kirchlicher Ort auch die Möglichkeit zum Neuanfang bieten. Dennoch sei ein materieller Ort wichtig. In dem Begriff stecke schließlich das Wort „mater“, wodurch sich die enge Beziehung erklären lasse, beschreibt der Psychoanalytiker.

Viele Menschen nehmen die Erosion der Kirche in ihrer Gesamtheit als bedrohlich wahr

In der Fixierung auf den liturgischen Ort, um den es in den Debatten eigentlich immer geht, sieht der Professor allerdings eine Verengung, die dem Wesen von Kirche in all ihren Grundvollzügen nicht gerecht werde. „Sie verwirklicht sich schließlich nicht nur in der Eucharistie, sondern zum Beispiel in der Diakonie der Caritas-Standorte, an Orten des ehrenamtlichen Engagements und der Gemeinschaftsbildung.

In der abschließenden Diskussion machten die Teilnehmer aus dem Publikum deutlich, dass es bei der Aufgabe von Kirchenorten nicht immer nur um den Verlust des Gebäudes geht. Durch Fusionen, die nicht wirklich gelingen, entstehe nicht immer eine neue Gemeinschaft, sondern werde oft Trennung verfestigt. Bei vielen Menschen wird nicht nur der Verlust von Räumen sondern die Erosion der Kirche in ihrer Gesamtheit als bedrohlich wahrgenommen.

Nicht jeder ist so hoffnungsvoll, wie der junge Student, der sich wünscht, dass man eher die modernen Kirchen erhält, als die traditionellen und dem ein Gottesdienst in einer Garage genügen würde. Deutlich wird auch: Schwer wird es für die engagierten Katholiken immer dann, wenn es bei der Fusion von Pfarreien gefühlt fast nur Verlierer und den einen Gewinner gibt. „Dabei sind die Pfarreien doch eigentlich nur ein Referenzrahmen, in dem ganz viel Leben von Gemeinden stattfinden kann“, weiß Markus Potthoff.

DT

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