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Das Heulen der Wölfe

Im Konflikt um den Churer Oberhirten Vitus Huonder spielen unterschiedliche Akteure eine Rolle. Von Katrin Krips-Schmidt
Churer Oberhirten Vitus Huonder

Die Botschaft aus Rom ist klar: Papst Franziskus hat das altersbedingte Rücktrittsgesuch des Churer Bischofs Vitus Huonder nicht angenommen. Stattdessen entschied er, die Amtszeit des Schweizer Oberhirten um zwei Jahre, bis Ostern 2019, zu verlängern. In einem Brief an die Mitarbeiter seines Bistums schrieb Bischof Huonder: „Der Vertrauensbeweis seitens des Papstes hat mich gerührt und mit großer Dankbarkeit erfüllt.“

In einem Interview mit der „Luzerner Zeitung“ kündigte er an, er wolle wie bisher „in voller Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehre und Disziplin“ wirken und, „noch nicht abgeschlossene Arbeiten“ weiter fortführen, wie etwa die „Umsetzung der Beschlüsse der Familiensynode, die sich im apostolischen Schreiben ,Amoris laetitia‘ wiederfinden“. Die Frage des Journalisten, ob er sich selbst als „Spaltpilz“ sehe, konterte der Bischof mit der Feststellung, dass es immer dieselben zehn bis zwanzig Personen gewesen seien, die sich in der Vergangenheit medienwirksam in der Öffentlichkeit gegen ihn gestellt hätten. Viele der in seinem Bistum lebenden 700 000 Gläubigen kämen indes immer wieder dankbar auf ihn zu und sagten, dass seine Haltung sie in ihrem Glauben stärke.

Denn das ist schließlich auch eine der Aufgaben eines Bischofs – die Verkündigung. Doch in der Schweizer Presselandschaft wird landauf, landab gerade dieses bischöfliche Charakteristikum verzerrt dargestellt und in sein Gegenteil verkehrt. Wer und was also steht hinter den harschen Protesten gegen einen glaubenstreuen Hirten der katholischen Kirche?

Angesichts der unmissverständlich eindeutigen Positionen Huonders zu Themen wie Abtreibung, Umgang der Kirche mit Homosexuellen und „wiederverheirateten“ Geschiedenen ist in Bezug auf seine Person etwa von einem „Schwulenhetzer“ die Rede, der für eine „überholte“, eine „rückwärtsgewandte“ Kirche stehe. Der Schweizer Dachverband der Schwulen stellte sogar Anzeige gegen den Bischof. Begründung: Eine von Bischof Vitus 2015 auf dem Kongress „Freude am Glauben“ in Fulda gehaltene Rede sei in den Augen des Verbandes „eine öffentliche Aufforderung zu Verbrechen und damit strafbar“. Bei der Debatte um Bischof Huonder geht es allerdings nur vordergründig um eine Personalie. Tatsächlich steht sie sinnbildlich für eine – zwischen dem Festhalten an ihren ureigenen Prinzipien und deren Preisgabe – tief gespaltene Kirche in der Schweiz.

Das Sprachrohr der „progressiven Katholiken“ in der Schweiz, die Medien-Plattform „www.kath.ch“, zeigte sich entsetzt und schockiert über die Amtsverlängerung ihres Oberhirten. Andererseits böten die zwei zusätzlichen Jahre für Bischof Vitus Huonder „vielleicht auch genügend Zeit, den Nuntius in Bern abzulösen!“, kommentierte der Kapuziner Willi Anderau, der Protagonist der nach eigenem Selbstverständnis kirchlichen Regeln ungehorsamen „Pfarrei-Initiative Schweiz“. Angespielt wird mit der Äußerung auf den in diesen Kreisen ebenfalls als rückschrittlich empfundenen Nuntius in der Schweiz, Erzbischof Thomas Gullickson.

Schon im Vorfeld hatte die Allianz „Es reicht!“ für mediale Aufmerksamkeit in der Schweiz gesorgt. Mit der von ihr initiierten online-Petition „Es reicht – Gemeinsam für einen Neuanfang im Bistum Chur“ warb sie im November 2016 bereits vorab für die Einsetzung eines mehrjährigen Apostolischen Administrators während der Vakanz des Churer Bischofsstuhls. Schließlich, so die Allianz, dürfe „dem zerrissenen Bistum Chur“ kein weiteres Mal ein Bischof aufgezwungen werden, der für eine „überholte Kirche stehe, die es in unserem Land nicht mehr geben solle“. Die Allianz ist ein Zusammenschluss von Verbänden und Bewegungen, die sich unter anderem aus dem Protest gegen den Churer Bischof zusammengefunden hatten, als dieser ankündigte, Homosexuelle und „wiederverheirateten“ Geschiedenen anstelle der Kommunion einen Segen zu spenden. Ihr Sprecher ist der suspendierte und verheiratete Priester Erwin Koller.

Weshalb, so fragt man sich, üben die eidgenössischen Laien einen so starken Druck auf ihren Bischof aus – dessen Hirtenstab ja kein modisches Accessoire ist, sondern Zeichen seiner geistlichen Führungsgewalt. Dazu muss man wissen, dass den Laien in der Kirchenstruktur der Schweiz eine vor allem auch finanzielle Macht durch die historisch bedingte Verteilung der Kirchensteuern erwächst. Von den 1, 3 Milliarden Franken Kirchensteuern, die alljährlich eingenommen werden, kommen nur etwa zwei Prozent den Bischöfen zugute. Die restlichen 98 Prozent werden von den so genannten „staatskirchenrechtlichen Körperschaften“ verwaltet, auf die die Schweizer Bischöfe keinen Einfluss haben. In diesen demokratisch organisierten Strukturen nun haben zumeist Laien das Sagen. Mehrere tausend Jobs sind demzufolge abhängig von einer gewissen „Mehrheitsfähigkeit“ kirchlicher Positionen. Vielen kirchlichen Mitarbeitern geht es deshalb auch darum, dass die Kirche eine „Volkskirche“ bleibt. Probleme ergeben sich dann dort, wo der überlieferte Glaube keine Mehrheiten in der Bevölkerung mehr findet. Dann wächst der Legitimierungsdruck, was auch manche Bischöfe dazu verleitet, Klarheit bei römisch-katholischen Positionen zu vermeiden. Wer als katholischer Vertreter dennoch Klartext redet und sich ernsthaft am Katechismus orientiert, wird isoliert und diszipliniert.

Dass „der Druck des medialen Mainstreams und der dahinterstehenden Kräfte auf Bischof Huonder enorm“ sei, davon ist auch Niklaus Herzog, Jurist und Theologe mit Schwerpunkt Kirchenrecht, überzeugt. Der ehemalige Generalsekretär der Ethikkommission des Kantons Zürich macht als Speerspitze des medialen Desinformationskartells aktuell die „Neue Zürcher Zeitung“ mit deren neuem Kirchenredakteur Simon Hehli, Sohn eines protestantischen Pfarrers, aus. Auch der in Zürich erscheinende „Tagesanzeiger“ buchstabiere „chronisch die ewig gleich-schiefen Denkschablonen“. So werde stets die „Basis“ gegen die konservative Kirchenführung in Stellung gebracht – „ganz so, als ob nicht auch in der Basis ganz unterschiedliche Vorstellungen über das Selbst- beziehungsweise Glaubensverständnis der katholischen Kirche herrschen würden“. Doch, so Herzog weiter, NZZ, Tagesanzeiger und Co. „könnten aber ihr destruktives Monopoly nicht durchziehen ohne den tatkräftigen Support wichtiger kirchlicher und staatskirchlicher Exponenten“.

Als Beispiel dafür nannte er unter anderem den Generalvikar für die Urschweiz des Bistums Chur, Martin Kopp, der seine Kritik an seinem Bischof unverblümt ausspricht, wenn er die nächste Bischofswahl gedanklich vorwegnimmt: „Wenn einfach jemand aus dem Lager gewählt wird, das aktuell in Chur den Kurs bestimmt, und es keinen Neuanfang gibt, ist das Bistum tot.“ Wer solche Generalvikare hat, braucht keine Feinde. Aber auch der emeritierte Weihbischof und Jesuit Peter Henrici mischt sich regelmäßig aus seinem Alterssitz im fernen Wallis in die Causa „Nachfolge Bischof Vitus“ ein. Der Druck zur Anpassung des katholischen Lehramtes an die Standards der Gegenwart führt auch in der Schweiz dazu, sich eine Kirche nach regionalen (kantonalen) Gepflogenheiten zu gestalten, die den gesellschaftlichen Strömungen sowie dem Staat in wesentlichen Fragen nicht ernsthaft widerspricht. Im Kern soll es beispielsweise in punkto Ehe, Abtreibung oder allgemein Sexualmoral keine am Lehramt orientierte Kirche mehr sein, sondern eine Kirche, die sich an den Menschen vor Ort orientiert („Lebensrealität“) und sich von daher auch normativ begründet. Innerhalb der Kirche werden die Ursachen dieser Tendenz – wie eine Säkularisierung und ein protestantisiertes Kirchenbild – nicht klar benannt. Stattdessen führt man „personalpolitische“ Debatten mit begrifflichen Gegensatzpaaren wie „reaktionär“, „ultrakonservativ“ und „weltfremd“ versus „liberal“, „progressiv“ oder „weltoffen“. In den Medien wird der Kampf dann stellvertretend oftmals gegen die Person eines nicht genehmen, weil glaubenstreuen Bischofs geführt.

In der Deutschschweiz betrifft diese irreführende Personalisierung besonders den Bischof von Chur, da er den Glauben unverkürzt verkündigt. Nur wenn man genauer auf den jeweiligen Stein des Anstoßes schaut, kann man erkennen, dass es um unerwünschte Glaubensvorgaben geht, wie sie im Katechismus stehen und wie sie der Bischof lediglich vertritt, so etwa in Bezug auf die Unauflöslichkeit der Ehe, die heilige Eucharistie oder den Genderismus.

Bemerkenswert ist, was die konservative, aber doch weltliche, sich keinesfalls als pro-katholisch begreifende „Weltwoche“ zu diesem Konflikt anmerkt. Mit diesem „lavierenden Anbiederungsballett“ entferne sich die katholische Kirche immer weiter von ihren Kernlehren, wie sie im Katechismus festgehalten werden: „Das hat zur Folge, dass Gläubige kaum noch vertraut sind mit den römisch-katholischen Positionen. Wer sich aus Überzeugung an den Fundamenten orientiert, gilt als altbacken. Wer dies öffentlich wie Huonder mit Verve tut, wird als militant, rigid und radikal verspottet oder, in seinem Fall, als Bischof ,mit spitzenbesetzten Roben aus einer anderen Zeit‘ (Tages-Anzeiger), als ,stählerne Keule im samtenen Futteral‘“, wie es Weltwoche-Redakteur Urs Gehriger pointiert formuliert.

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