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Christen sind nicht mehr willkommen

Die Türkei enteignet verlassene aramäische Kirchen und Klöster – Vertreter der christlichen Diaspora warnen vor einer weiteren Islamisierung. Von Stephan Baier
Alte Kirche im Tur Abdin
Foto: Simon Jacob | Vielen alten Kirchen im Tur Abdin droht nun die Umwandlung in Moscheen.

Die türkische Provinz Mardin hat etwa 50 Kirchen- und Klostergebäude samt dazu gehörenden Friedhöfen in staatliches Eigentum überführt und teilweise dem Diyanet, dem staatlichen Amt für Religionsangelegenheiten, übergeben. Ein profunder österreichischer Kenner des Tur Abdin zeigt sich im Gespräch mit der „Tagespost“ davon überzeugt, dass „in der Region alles überwacht wird und die betroffenen Christen selbst nicht in der Lage sind, über die Vorgänge frei und offen Auskunft zu geben, weil sie dann erhebliche Nachteile zu fürchten hätten“. Umso deutlicher protestieren die Vertreter der aramäischen Diaspora in Europa.

„Die aktuellen, überfallartigen Massenkonfiszierungen im Tur Abdin im Südosten der Türkei sind beispiellos und haben unvorstellbare Ausmaße angenommen“, teilte der Vorsitzende des Bundesverbands der Aramäer in Deutschland, Daniyel Demir, mit. Die Übertragung von Kirchen und Klöstern an das Diyanet sei nur die „Spitze des Eisbergs“. Demir fürchtet aufgrund ähnlicher Fälle in der Vergangenheit die Umwidmung von Kirchen und Klöstern zu Moscheen. Gegenüber dieser Zeitung erklärt er, dass viele aramäische Kirchen seit den 1930er Jahren im Besitz von Dörfern sind, weil die Aramäer – anders als die griechisch-orthodoxe und die armenisch-apostolische Kirche – in der Türkei nicht als religiöse Minderheit anerkannt sind. Die Aramäer sind Angehörige der syrisch-katholischen, syrisch-orthodoxen, maronitischen und chaldäischen Kirche sowie der Apostolischen Kirche des Ostens. In der Europäischen Union leben etwa 350 000 Aramäer.

Mit der aktuellen Enteignung stünden diese Christen, „die während des Völkermordes von 1915 im Osmanischen Reich Hunderttausende Opfer zu beklagen hatten, praktisch vor dem endgültigen Aus“, so Demir zur „Tagespost“. Nach mehreren Fluchtwellen führten die heute nur mehr rund 2 000 Aramäer im Tur Abdin „einen aussichtslos scheinenden Überlebenskampf“. Demir wörtlich: „Der Tur Abdin – aramäisch für ,Berg der Diener Gottes‘ scheint bald zu verwaisen.“ Die schleichende Islamisierung forciere das Ende der Christenheit in der Türkei.

Simon Jacob vom „Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland“ (ZOCD) rät im Gespräch mit dieser Zeitung, beim Thema Enteignungen vorsichtig zu sein und auf Polemiken zu verzichten. Jacob, der selbst noch im Tur Abdin zur Welt kam und diese Region im Südosten der Türkei in den vergangenen Jahren intensiv bereiste, weist darauf hin, dass bisher nur verlassene Kirchen und Klöster verstaatlicht wurden, jedoch keine von Mönchen besiedelten Klöster und keine Kirchen, die liturgisch verwendet werden. „Alle konfiszierten Klöster sind leer und verlassen. Alle aktiven Klöster und Kirchen, in denen christliche Aktivitäten stattfinden, sind nicht betroffen.“ So etwa das berühmte Kloster Mor Gabriel. Dennoch sei die Enteignung verlassener Kirchen „sehr schmerzlich für uns, weil sie ein Teil unserer Geschichte sind“. Es gehe der Regierung darum, „die christliche Identität immer mehr verschwinden zu lassen“. Demgegenüber versichert Daniyel Demir gegenüber der „Tagespost“, dass in vielen dieser Kirchen und Klöster „noch regelmäßig Gottesdienste abgehalten“ würden.

Simon Jacob erinnert daran, dass 2001 der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit selbst auf die Eigentumsprobleme der Christen syrischer Tradition in der Türkei verwies und die Behörden aufforderte, ihnen die verfassungsmäßigen Rechte zu ermöglichen. Im Zuge ihrer EU-Ambitionen habe die Türkei vielen Christen die Rückkehr in ihre angestammten Gebiete ermöglicht. Auch einige seiner eigenen Verwandten seien damals in den Tur Abdin gegangen, so Jacob. Ab 2012 habe sich die Türkei aber von der EU abgewandt. Seit damals sei es immer wieder zu Zwischenfällen gekommen. Viele Christen in der Türkei hätten sich bisher an die regierende AKP geklammert – jedoch aus Angst.

Vor dem Jahr 2000 sei die Region Mardin nicht vermessen gewesen und es habe keine Eintragungen ins Kataster gegeben, erzählt Jacob. Viele Kirchen hätten damals ihr Eigentumsrecht bekommen, allerdings – weil die syrisch-orthodoxe Kirche nicht als Rechtsträger anerkannt ist – über Stiftungen. „In der Vergangenheit waren die Behörden eher wohlgesinnt, aber das hat sich geändert. Und das hat mit der Abwendung von der EU zu tun“, so Jacob. Ankara sehe es nicht mehr als notwendig an, die christliche Bevölkerung zu schützen.

Durch eine Gebietsreform, bei der die Dörfer der Provinz Mardin zu Landkreisen aufgewertet wurden, fiel nun aramäisches Eigentum an das staatliche Schatzamt. Unter Vorlage eines Beweises – etwa durch Dokumente oder Zeugen – könne die Kirche ihr Eigentum zurückfordern, meint Simon Jacob. Es gebe teilweise Dokumente aus osmanischer Zeit, die beweisen würden, dass bestimmte Grundstücke einer bestimmten Kirche gehörten, aber es sei zu erwarten, dass Anfechtungen wenig Chancen haben, weil es in der Türkei „mittlerweile eine anti-christliche Stimmung“ gebe, so Jacob im Gespräch mit der „Tagespost“. Behörden würden dazu neigen, Christen Hindernisse in den Weg zu legen. Zudem seien Prozesse langwierig und Rechtsanwälte teuer.

„Momentan betrifft die Enteignungswelle ausschließlich die Provinz Mardin“, sagt Jacob. Im Streitfall entschieden die Behörden oftmals zugunsten der Nicht-Christen. „Die Stimmung in der Türkei insgesamt ist negativer geworden.“ Im Zuge der Islamisierung entstünden überall neue Moscheen. „Man wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch die konfiszierten Kirchen in Moscheen umwandeln, weil man der Auffassung ist, dass das Christentum in der Türkei nichts mehr zu suchen hat.“ Das sei ein Signal, dass Christen in der Türkei nicht willkommen sind. Ein Teil der Kirchen werde möglicherweise zu Museen umgewandelt, „womit der Staat die Pflicht hätte, sie auch zu erhalten“.

Vor allzu großem politischen Druck warnt Jacob: „Jede Einmischung von außen wird als Angriff auf die Souveränität der Türkei gewertet.“ Man solle aber an die Moral der Türkei und an die verfassungsmäßigen Rechte aller türkischen Bürger erinnern. „Wir müssen von den Menschenrechten für alle sprechen. Wenn wir uns um die Rechte der Christen sorgen, müssen wir uns um die Rechte aller Türken kümmern, weil die verbliebenen Christen sonst in noch mehr Schwierigkeiten gebracht würden.“ Der Bundesvorsitzende der Aramäer in Deutschland sieht das etwas anders: Dass es bis jetzt keine politische Reaktion und keinen diplomatischen Druck gebe, sei nicht hinnehmbar. „Nur eine Politik der klaren Kante und Haltung wird verstanden“, so Demir, der auch zum Einfrieren von EU-Geldern rät, zur „Tagespost“.

In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die Föderation der „Suryoye Deutschland“, der „Zentralrat Orientalischer Christen“ und der „Zentralrat für Förderung und Schutz der Kultur der Rum-Orthodoxen Christen“ Kritik am Vorgehen in der Türkei angemeldet: Bereits in der Vergangenheit hätten „ähnliche Entwicklungen zum Verlust kulturellen und religiösen Wissens geführt“. Kostenintensive Gerichtsverfahren zur Anfechtung der Enteignungen, welche in der Türkei zehn Jahre dauern können, könnten sich die Gemeinden weder jetzt noch in Zukunft leisten. Die drei Verbände appellieren an Medien und Politiker in Europa, „sich sachlich und objektiv mit der Rechtslage zu befassen, die augenscheinlich dazu benutzt wird, um Teile der in der Türkei lebenden Bevölkerung zu diskriminieren“.

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