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Das jüdische Schmitta-Jahr hat begonnen

Ruhen sollst du alle sieben Jahre: Das jüdische Schmitta-Jahr hat begonnen.
Blumenfeld zum Selberpflücken
Foto: J. Zang | Ein Blumenfeld zum Selberpflücken: Um jedes Schmitta-Jahr toben Diskussionen und Kontroversen.

Alle sieben Jahre könnte die Landwirtschaft ein zartes Band zwischen den Konfliktparteien knüpfen – zwischen israelischen Juden und Palästinensern der besetzten Gebiete. Grund: das Gebot des Brach- oder Schmitta-Jahres. Das Buch Exodus gebietet: „Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebten sollst du es brach liegen lassen und nicht bestellen. Die Armen in deinem Volk sollen davon essen, den Rest mögen die Tiere des Feldes fressen. Das Gleiche sollst du mit deinem Weinberg und deinen Ölbäumen tun.” Auch in den Büchern Levitikus und Deuternomium steht diese Mitzva (hebr. Gebot).

Ein neues Sabattjahr

Ein solches Sabbatjahr – nach jüdischer Zählung das Jahr 5782 – hat am 7. September begonnen. Und wieder einmal ringen Juden heftig um eine gesetzeskonforme, halachische Regelung. Klar ist: Nur die allerwenigsten Landwirte wollen auf ihre Ernte(erlöse) verzichten. Rabbiner sind spätestens seit der Staatsgründung Israels 1948 auf der Suche nach koscheren Lösungen. „Gelehrte Rabbiner, wie der verstorbene Rabbi Abraham Isaac Kook stimmte einem ,heter‘, einer Dispens, einer Befreiung zu, das Land an Nicht-Juden während des Sabbatjahrs zu verkaufen, um es weiterbearbeiten zu können.” Das schrieb die Buchautorin Dvora Waysman kürzlich in der Jerusalem Post. Zudem seien mittlerweile „andere Methoden, einen heter anzuwenden, perfektioniert worden“, wozu sie vorzeitiges Säen vor dem Schmitta-Jahr, Anbau mittels Hydrokulturen oder Systemen zählt, die ohne Erde auskommen und stattdessen Kies und Schotter verwenden.

Land an Nichtjuden Überschreiben

Nach wie vor üblich ist das Überschreiben von Land an Nichtjuden, etwa an drusische Mitbürger. Heter mechira nennt sich das. So können jüdische Bauern weiter produzieren, denn das Land gehört auf dem Papier einem anderen. So verfährt auch der Kibbuz Lavi in Galiläa. „Wir nutzen die Lösung aus der Halacha, verkaufen das Land an einen nicht-jüdischen Besitzer und arbeiten unter seiner Autorität”, sagte der Kibbuz-Rabbiner Yehud Gilad der Journalistin Brigitte Jünger von Deutschlandfunk Kultur. Dann dürfe man mit Einschränkungen weiterarbeiten. „Wir säen zum Beispiel nicht, wir helfen nur bei der Ernte und allen Arbeiten, die bis dahin nötig sind. So sieht Schmitta bei uns aus, und wir wissen natürlich, dass es sich nicht um ein echtes Schmitta-Jahr handelt.“ Nur auf einem Stückchen Land praktiziert man echte Schmitta, indem man es nicht anrührt: An den dort wachsenden Melonen kann sich jeder bedienen. Diese tragen die Heiligkeit des siebten Jahres in sich und heißen kedushat shevi'it.

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Der deutsch-jüdische Publizist Chajm Guski weiß, dass Kaschrutbehörden wie die amerikanische Orthodox Union Lebensmittel aus Israel nur dann als koscher zertifizieren, wenn das Land im Schmitta-Jahr in nichtjüdischem Besitz war oder die Waren aus Zutaten bestehen, die vor dem Brachjahr geerntet wurden.

Einsatz von Treuhändern

Eine gänzlich andere Lösung, dabei juristischen Beistand und eine „unglaubliche Chance” verspricht die israelische Organisation Agudat Shmita: weder Verpachtung noch gemeinsame Eigentümerschaft, sondern „100-prozentigen Besitz”. Setze man die Organisation als Mittler und juristischen Treuhänder ein, sei dies „die ultimative halachisch-legale Lösung, die heutzutage zur Verfügung steht und es allen Juden ermöglicht, Shmita einzuhalten”. Unklar bleibt, wie gemeinnützig diese Organisation wirklich ist. Juden aber, die bürokratische Papierkniffe grundsätzlich als unkoscher erachten, sehen nur einen Ausweg: bei Nichtjuden zu kaufen, von arabischen Landwirten in Israel oder den palästinensischen Gebieten. Doch auch da ist schon getrickst worden. Jüdische Bauern hatten auf eigener Scholle produziert und ihre Erzeugnisse zu einem arabischen Landwirt transportiert. Kunden, die Wert auf einwand- und zweifelsfreie Schmitta-Produkte legen, konnten sich daher nur bei Landwirten aus dem Gaza-Streifen sicher sein: Denn dorthin kann schon lange kein israelischer Jude mehr reisen. „Gaza ist ideal aus Sicht der Eda Haredit-Koscher-Kontrolleure”, schrieb die Jerusalem Post über die Mitarbeiter dieser jüdischen Gerichtshöfe schon vor Jahren. Doch während Fromme von koscheren Gurken oder Paprika aus Gaza träumten, verfaulten diese, wurden zu Schleuderpreisen verscherbelt, ans Vieh verfüttert oder aus Protest auf die Straße geworfen.

Die Schmitta gilt nur in Israel

Israels inzwischen 15 Jahre währende Gaza-Blockade hat diese – für ultraorthodoxe Juden ideale Lösung – bis heute verhindert. Israel erlaubt nur einige Hundert für den Export bestimmte Lastwagenladungen pro Monat und gibt dafür Sicherheitsgründe an. Welche Möglichkeiten bleiben dann den Charedim, den Ultraorthodoxen? Bei Israels Arabern etwa in Galiläa kaufen, in Ost-Jerusalem oder zu importiertem Obst und Gemüse aus dem Ausland zu greifen. Die Schmitta gilt nämlich nur in Israel und nur für jüdischen Boden. Anzeigen in Zeitungen klären darüber auf, von welchen Geschäften es koscher ist zu kaufen. Manche Lebensmittelketten verkaufen in diesem Jahr ausschließlich arabisches oder importiertes Gemüse und Obst. Autorin Waysman bekennt jedoch, es sei „nicht leicht, das Schmitta-Jahr in Israel einzuhalten”. Sie kennt jedoch eine jüdische Lösung: sich der Organisation Otzar Ha'aretz anzuschließen, bei der man nur für die Arbeit und Instandhaltung von landwirtschaftlichen Flächen zahle, Produktionssteigerung sei dabei nicht das Ziel. So sei alles halachisch korrekt, man „unterstützt jüdische, israelische Landwirtschaft, kultiviert die Felder in einer halachisch-erlaubten Weise und liefert kedushat shevi‘it-Produkte an den Endverbraucher”.

Gerechtigkeit oder Respekt vor der Schöpfung

Reform-Rabbinerin Dalia Marx aus Jerusalem sieht all das kritisch. Ihrer Meinung nach übersehen die Frommen „das Wesentliche: den ethischen, den ökologischen und zwischenmenschlichen Punkt, den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit“. Denn das Schmitta-Jahr betreffe auch das Thema Schulden: „Nach sieben Jahren sollen die Schulden vergessen sein. Es geht also um soziale Gerechtigkeit. Wenn man Eigentum hat und ein materiell gutes Leben führt, muss man Solidarität mit denen zeigen, die all das nicht haben.“

Rabbinerkollege Gilad findet es faszinierend, „dass sich Schmitta tatsächlich mit Problemen befasst, die wir in der modernen Welt in verschiedenen Dimensionen vorfinden“. Damit meint er Recycling, Ökologie, Umweltschutz, Nachhaltigkeit – Themen, die in Israel viel später als in Europa auf die Tagesordnung gesetzt wurden und vergleichsweise noch immer in den Kinderschuhen stecken. Rabbi Gilad ist begeistert von der Idee, „dass wir die Natur nicht einfach nur ausbeuten, sondern auch sich selbst überlassen sollen, damit sie sich entwickeln kann“.

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