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Wilhelm Imkamp: Zuhause im geheimen Rom

Über Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ fand er zur Theologie, die Volksfrömmigkeit verteidigt er gegen die Gebildeten, im Genuss von Tabak und Kaffee sieht er den Übergang von Natur und Kultur. Ein Porträt des katholischen Intellektuellen Wilhelm Imkamp. Von Lorenz Jäger
Porträt des katholischen Intellektuellen Wilhelm Imkamp

1950 wurde Wilhelm Imkamp geboren. Zu spät, um ein richtiger Achtundsechziger zu werden. Aber als damals Sechzehn-, Siebzehnjähriger doch alt genug, um die Ereignisse vor 50 Jahren mit skeptischem Blick zu betrachten.

Beim Gespräch über den diesjährigen Katholikentag in Münster und der Frage nach seinen Eindrücken stellt sich heraus: Er war nicht da. Einmal im Leben besuchte er einen Katholikentag, das war 1968 in Essen. Und da wird seine Stimme, die den melodiöseren und weicheren Ton des Niederrheins auch jetzt nicht verleugnen kann, auf einmal scharf: Das sei ein Pogromfestival gegen die katholische Tradition gewesen.

Wilhelm Imkamps Nähe zur Tradition

Eine gewisse Nähe zur Tradition ist Wilhelm Imkamp auch ganz diesseits der Kirche und ihrer Lehren eigen: Er weiß, wo er herkommt.

Die Familie, die sich mit Tabak und Kaffeerösterei unternehmerisch beschäftigte, hatte ein weit zurückreichendes kulturelles Gedächtnis, die Ahnen blieben präsent. Tabak und Kaffee bezeichnen einen Übergang von Natur in Kultur (wie der Wein müssen sie vom Menschen bearbeitet werden), und in der Kultur stehen sie für einen hochzivilisierten Genuss. Sie stimulieren. Die Aufklärung schrieb ihnen die Fähigkeit zu, den Intellekt zu steigern. Und hier wird man, wenn man auf den Intellektuellen Wilhelm Imkamp schaut, dem aufgeklärten 18. Jahrhundert mit seinen Kaffeehäusern und Tabakskollegien einmal recht geben müssen. Nach dem Gang durch die Bibliothek, die leicht die umfangreichste Sammlung theologischer Werke außerhalb institutioneller Bibliotheken sein dürfte, wird Kaffee gereicht und die Pfeife angezündet.

Sein Weg zur Theologie

Man hat die Geschichte schon oft erzählt: Wie kam der junge Wilhelm Imkamp zu seinen theologischen Fragestellungen? Auf dem unwahrscheinlichsten Weg überhaupt, durch die Lektüre von Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ nämlich.

Und gleich eröffnet sich eine Szene der literarischen Bildung, des Lesens als Passion, der Ironie des Erzählens und zugleich der Befassung mit den ernstesten geistigen Fragen: den theologischen. Ist das nicht schon eine erste Charakterskizze des Prälaten und päpstlichen Protonotars, des ehemaligen Wallfahrtsdirektors von Maria Vesperbild, der nun in Regensburg im fürstlichen Schloss lebt (und man ist versucht zu sagen: hier musste es sein, kein anderer Ort hätte Imkamps Bibliothek aufnehmen können). Im Kreis um den Dichter Stefan George pflegte man vom „geheimen Deutschland“ zu sprechen – hier aber ist eher „geheimes Rom“.

Was der „Zauberberg“ schildert, ist in Kürze folgendes: Um die Seele des jungen Hans Castorp streiten der Freimaurer und ewige Erziehungs-Optimist Lodovico Settembrini und ein Jesuit jüdischer Herkunft: Leo Naphta, ein reaktionärer Umstürzler und Feind des Bürgers, Thomas Mann hat ihn dem Revolutionsphilosophen Georg Lukács nachempfunden. Naphta also empfiehlt dem jungen Castorp ein mittelalterliches Werk aus der Feder des späteren Papstes Innozenz III., „De contemptu mundi“, ein Lehrbuch und eine vollständige Beispielsammlung der Weltverachtung. Und eine der erfolgreichsten Schriften des Mittelalters! Das Elend des irdischen Lebens wird umfassend dargelegt, nichts dabei ist ausgelassen, alle Gründe für die Weltverachtung finden sich enzyklopädisch versammelt. „Eine Abhandlung über das menschliche Elend bietet zum Witz schon Gelegenheit“, sagt Thomas Mann in seinem Roman, Leo Naphta lobt den pessimistisch-asketischen Geist des Buches. Aber auch bei Imkamp gibt es, wenn er über Innozenz spricht, eine nicht ganz auszulotende Neigung zum Witz.

Ein katholischer Intellektueller

Über das Kirchenbild von Innozenz III. schrieb Imkamp seine Doktorarbeit, die 1983 veröffentlicht wurde. An der päpstlichen Universität Gregoriana hatte er studiert. Sicher ist er unter den deutschen Geistlichen in einem besonderen Maße „römisch“.

Das Gespräch kommt auf Carl Schmitt, den Staats- und Völkerrechtler: Dieser hatte von einem in Deutschland stets abrufbaren „antirömischen Affekt“ gesprochen. Imkamp hebt Schmitts „Romanitas“ hervor. Die Kirche sei Subjekt und Objekt der Ordnung, weil der Staat seine Versprechen nicht halten konnte. Rom ist international: „Civis Romanus sum“ – ich bin ein römischer Bürger – sagte auch der Apostel Paulus, damit den Schutz seiner Rechte bekräftigend. Im Lateinischen, so Imkamp, liege die Sehnsucht nach Objektivität, auch mystische Sachverhalte verdienen eine klare Sprache.

Dies also ist der katholische Intellektuelle. Aber nicht hier darf man die Hauptleistung Imkamps suchen, sondern erst dort, wo sich seine kaum glaubliche theologische Bildung auf etwas ihr scheinbar ganz Ungemäßes einlässt: auf die Volksfrömmigkeit, die er gegen die bloß Gebildeten verteidigt. Der Prälat hat als Wallfahrtsdirektor Maria Vesperbild über fast 30 Jahre lang geprägt. Die Wallfahrtskirche hat einen besonderen Bezug zum portugiesischen Fatima, wo den Kindern die Muttergottes erschienen war.

Kritische Haltung gegenüber kirchlichen Modernismus

Imkamps kritische Haltung gegenüber allem kirchlichen Modernismus erschließt sich erst jetzt: Dieser Mann führt gleichsam einen Zangenangriff gegen die Alleserneuerer: Einerseits mit den katholischen Traditionen, die im Volk vielleicht nicht immer zäher haften, aber wiederzubeleben sind, und andererseits mit der subtilsten theologischen Disputationskunst. In der Tat hat Imkamp eine fulminante Abhandlung über den „Modernismus“ der vorletzten Jahrhundertwende verfasst. Und dabei kommt heraus, dass unter diesen vermeintlichen Fortschrittsfreunden die allerseltsamsten Rezepte verbreitet wurden, mit denen man das Katholische in seiner überlieferten Gestalt überwinden wollte. Man darf sich nur von dem Wort „modern“ nicht täuschen lassen: Dazu gehörten damals auch Darwinismus und Nationalismus.

Weil der Prälat diese Vorgeschichte der gegenwärtigen reformerischen Bewegungen in der Kirche kennt – sie sind ihm nur eine neue Episode in einem Geschehen, das stets in neuen Kostümen aufgeführt wird – hält er sich bei der Frage, wie viel von der gegenwärtigen Krise der Kirche auf das Konto des Zweiten Vatikanischen Konzils geht, auffällig zurück. In den 20er Jahren sei vieles schon dagewesen, die Liturgiereform habe ihre direkte Vorbereitung in den Kreisen der „Liturgischen Bewegung“ gehabt.

Wie steht er zur Forderung nach einem Priestertum der Frau, denn hier liegt seit langem ein Hauptpunkt der Reformer. Imkamp unterstützt solche Gedanken nicht, im Gegenteil. Gewiss ist ihm nur eines: Die Frau sei näher am Prinzip des Lebens, sie habe zum Urgrund des Lebens einen besonderen Bezug. Gedankengänge, die unmittelbar einleuchten, wenn sie auch heute einen schweren Stand haben dürften. Sie machen es Imkamp möglich, die spezifische Frömmigkeit der Frauen zu schätzen. Und doch äußert er gegenüber mancher Frauenmystik erstaunlich deutliche Vorbehalte. Man spürt durch seine Sätze hindurch, wie sehr er sich mit den sogenannten Privatoffenbarungen beschäftigen musste, die der Kirche oft zu schaffen machten.

Soll die Kirche liberalere Positionen beziehen?

Bei aller Liebe zur Tradition und zur Ordnung: Gibt es nicht doch irgendein Problem, bei dem die Kirche liberalere Positionen als bisher beziehen sollte? Der Prälat lässt die Frage so nicht gelten, auch wenn er ihre Motive nicht einfach abweist. Er will von einer gewissen Verfinsterung, Verdüsterung sprechen, die ins Katholische eingesickert sei. Und natürlich erkennt er darin sofort die Nachwirkungen eines älteren, barocken Streites: dem zwischen Jansenisten und Jesuiten in Frankreich im 17. Jahrhundert (was vor 300 Jahren gedacht wurde, ist für uns gerade aktuell genug, so möchte man seine Haltung umschreiben). Die Jansenisten (unter ihnen bedeutende Köpfe wie Blaise Pascal, der Mathematiker und Philosoph), wollten einen ganz besonderen Akzent auf die Sünde legen, andererseits sich den Gläubigen der Urgemeinde näher fühlen. Imkamp:

„Im 19. Jahrhundert haben der Bürger und der Jansenismus gesiegt.“ Er gibt eher den damaligen Jesuiten recht. „Romanitas“ bedeute Integrationsfähigkeit. Und mit einem schwer ausdeutbaren Lächeln fügt er hinzu, dass er – „aus naheliegenden Gründen“ – seit einiger Zeit ganz in das Studium der jesuitischen Tradition vertieft sei. Und die Lage heute? „Jedes Dogma dürfen sie leugnen. Aber wenn sie die Kirchensteuer...“

Der Satz wird nicht beendet.

Video: Zu Besuch bei bei Wilhelm Imkamp 

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