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Pilger-Gasthaus auf dem Großen St. Bernhard

Seit fast 1 000 Jahren leben Augustiner-Chorherren auf dem Großen St. Bernhard. Das dortige Pilger-Gasthaus ist stets gut besucht – trotz der Abgeschiedenheit auf 2 500 Metern Höhe.
Augustiner- Orden Pilger-Gasthaus, das „Hospiz“
Foto: Ludwig | Seit fast 1000 Jahren führen Chorherren des Augustiner-Ordens das Pilger-Gasthaus, das „Hospiz“ genannt wird. Auf knapp 2500 Höhenmetern versinkt das Refugium ab Mitte Oktober im Schnee.

Es war der schlimmste Tag in seinem Leben: Das Lawinenunglück vom Winter 1991 am Großen St. Bernhard. Yvon Kull wusste, was er zu tun hatte. Als Lawinenhundeführer zögerte er keine Sekunde, das sichere Pilgerhospiz zu verlassen und sich auf die Suche zu machen. Am Morgen erst war die dreizehnköpfige Pilgergruppe aufgebrochen, in Begleitung eines Chorherren, Kulls Mit-Priester. Anders als sonst wurde Kull diesmal von seinem eigenen Belgischen Schäferhund begleitet. „Fünf von der Gruppe konnten wir retten, dann kamen die Toten. Den ersten fand mein Hund. Trotz totaler Erschöpfung hatten wir die Kraft, weiterzusuchen.“ Das schreckliche Erlebnis musste verarbeitet werden. „Nach einem Monat habe ich alles aufgeschrieben. Zur Bewältigung. Danach ging es mir besser.“

Christus anbeten und nähren

Seit fast 1 000 Jahren führen Chorherren des Augustiner-Ordens das Pilger-Gasthaus, das „Hospiz“ genannt wird. Auf knapp 2 500 Höhenmetern versinkt das Refugium ab Mitte Oktober im Schnee. Die Pass-Straße über den Großen St. Bernhard ist gesperrt. Bis Ende Mai wird die Pilgerstätte größtenteils von der Außenwelt abgeschnitten sein. Allein sind die Chorherren jedoch nicht. Mehrere Tausend Übernachtungen gibt es in der Wintersaison. Die Gäste kommen – auch wenn der Aufstieg mit Tourenski oder Schneeschuhen äußerst anstrengend ist. Für die meisten bedeutet der Aufenthalt eine Einkehr zu sich selbst: Gespräche mit den Geistlichen, die Feier von Gottesdiensten oder Gebete in der Krypta. Die Chorherren sind für ihre Gastfreundschaft seit Jahrhunderten bekannt. Sie leben nach dem lateinischen Wahlspruch: „Hic Christus adoratur et pascitur“ („Hier wird Christus angebetet und genährt“). Vor Schließung der Straßen werden Lebensmittel aufgefüllt und Heizöltanks vollgepumpt. Der Schnee übersteigt in den nächsten Monaten sogar den Eingang zur Pilgerstätte.

In den wärmeren Monaten lockt das nahe Mont-Blanc-Massiv für Bergwanderungen und außergewöhnliche Erlebnisse zwischen Le Châtelard und dem Emosson-Staudamm. Die Standseilbahn von Le Châtelard ist mit einer Steigung von 87 Prozent die steilste der Welt. Der anschließende Panoramazug fährt flach durch Wälder und Tunnel bis zum Fuß des Emosson-Staudamms mit einer einzigartigen Aussicht auf den Mont-Blanc. Die Minifunic, eine Art Liftkabine, fährt hinauf zur Dammkrone und dem Staudamm. Von hier gelangt der Gast auf Wegen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden zur idyllischen Berghütte Cabane du Vieux Emosson. Zurück geht es mit dem bekannten Panoramazug, den Mont-Blanc Express, nach Les Marécottes. Dort hat sich Florian Piansenta vor acht Jahren mit der Übernahme des Zoos von Les Marécottes einen Traum erfüllt. Schon als Schüler hatte der heutige Bürgermeister des kleinen Ortes im Tierpark mitgeholfen. „Wir haben mit 120 Alpentieren 21 Arten und eine Vogelauffangstation.“ Nach dem Rundgang können sich die Gäste im 70 Meter langen Freibadbecken entspannen. In der Tat ist das Felsenschwimmbad, das sich durch die Walliser Berglandschaft zieht, das perfekte Gegenstück nach dem Stelldichein mit Hirschen, Murmeltieren, Füchsen, Schwarzbären, Wölfen und einem Luchs.

Auf dem Pass seit 1977

Noch ist Spätsommer und der Tag des Heiligen Augustinus. Yvon Kull kommt gerne zurück an seine alte Wirkungsstätte, um mit den anderen Chorherren zu essen, die Messe zu feiern und zu reden. Kull lebte auf dem Pass seit 1977. „Jeder von uns hatte seine Aufgabe: Da gab es die Pfarreien in den Bergdörfern. Dort dienten wir als Pfarrer oder lehrten Landwirtschaft.“ Darüber hinaus war Kull verantwortlich für den Empfang der Pilger im Hospiz. Sinnsuchende begleitete er in die Berge. „Die Wanderungen waren immer auch mit einem religiösen Hintergrund verbunden“, ergänzt er. Geboren 1950 in Neuchatel (Neuenburg) trat er 1969 ins Priesterseminar in Martigny ein. Nach dem Noviziat wurde ihm klar, dass er sein weiteres Leben Gott widmen wollte.

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Nach dem Studium der Theologie im schweizerischen Fribourg erwachte in ihm der große Wunsch, fortan in der Einsamkeit der Berge zu leben. Es war der Große St. Bernhard in den Walliser Alpen, ein Berg, der ihn magisch anzog. Sein Traum erfüllte sich, als er ins Hospiz auf dem Pass zog. Mitte der 1980er Jahre absolvierte der tierliebe Mönch eine Ausbildung zum Lawinenhundeführer. Kull selbst erlebte zwischen 1985 und 2003 sechs Lawinenunglücke. Er und die Hunde retteten zahlreiche Menschenleben. Doch die Bilder von den Verschütteten, die nur noch tot geborgen werden konnten, vergisst er bis heute nicht.

Alles begann im 11. Jahrhundert

Auf dem Pass des Großen St. Bernhard auf 2469 Meter Höhe hat im 11. Jahrhundert der Heilige Bernhard von Aosta ein Hospiz (Gasthaus) als Zufluchtsort für Reisende und Pilger gegründet. Dort wurden seit Mitte des 17. Jahrhunderts große Hunde zur Bewachung und zum Schutz gehalten. Als Begleit- und besonders als Rettungshunde für in Schnee und Nebel verirrte Reisende haben sie die Augustiner-Chorherren unterstützt.

Im Jahr 2007 begann Yvon Kull über seinen Rückzug aus der Bergwelt nachzudenken. „Ich wollte tiefer in der Einsamkeit leben.“ Seinem Antrag wurde entsprochen. Heute lebt er als Eremit in einem kleinen Häuschen in einem Tal im Wallis. Nur an den Wochenenden ist er in der Provinzstadt Martigny, um seine 101-jährige Mutter zu besuchen. Doch ab und an muss er trotzdem wieder hinauf ins Refugium, dem Ruf der Berge folgend.

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