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Das Santuario der Jungfrau von Guadalupe

Das Santuario der Jungfrau von Guadalupe zeigt auf faszinierende Weise den tiefen Glauben der Mexikaner.
Feier zur Jungfrau von Guadalupe in Mexiko
Foto: dpa | Ein Gläubiger in einem traditionellen Kostüm nimmt an den Feierlichkeiten zur Erscheinung der Jungfrau von Guadalupe teil.

Eine Buchhandlung in Mexiko-Stadt. Zwischen Stephen King und der unvermeidlichen Ratgeberliteratur für ein schöneres Leben stöbere ich vergeblich nach einem aktuellen Buch zur Jungfrau von Guadalupe. „Suchen Sie was Bestimmtes?” Der Buchhändler, ein junger Mann, der auch in einer Szenekneipe Tresendienst verrichten könnte, hat mich längst registriert. „Naja, ein Buch über Guadalupe”, sage ich halblaut. Muss ja nicht jeder mitkriegen. Er lächelt und präsentiert mir kurze Zeit später eine Abhandlung des Journalisten Carlos Eduardo Díaz aus dem Jahr 2017. Ich habe immer noch den Eindruck, ich müsse mich rechtfertigen dafür, dass ich die Darlegung der Erscheinungs- und Wirkungsgeschichte der Jungfrau von Guadalupe einem jener Bücher vorziehe, die mir beibringen wollen, wie ich mühelos reich, schlank und berühmt werde. „Ist ja wichtig. Für Mexiko.“ – „Ist wichtig, mein Herr – für uns alle! Sie ist unsere Mutter, die Mutter Amerikas!“ Jetzt strahlt er.

20 Millionen Besucher im Jahr

Mit rund 20 Millionen Einwohnern bildet Mexiko-Stadt einen der größten Ballungsräume der Erde. Auf rund 2 200 Metern Höhe ist die Luft dünn und der Platz knapp. Die Straßen sind verstopft, die Metro überfüllt. Kein Urlaubsort. Doch die Mega-City beherbergt eine der am meisten besuchten Pilgerstätten der Christenheit: die Basilika der Virgen de Guadalupe mit dem berühmten Gnadenbild, der „Tilma“. 20 Millionen Menschen besuchen die Wallfahrtskirche jährlich, nicht nur, aber vor allem Mexikaner. Der Glaube ist in der Heimat des Heiligen Juan Diego trotz der intensiven Kirchenverfolgung vor hundert Jahren ungebrochen groß. Die Bevölkerung ist zu 90 Prozent katholisch – hinter Brasilien ist Mexiko das Land mit den zweitmeisten Katholiken.

Lebendige Geschichte

Die Geschichte des Wallfahrtsortes ist so spannend, wie ihre Gegenwart lebendig ist. Dabei sind es bei unserem Besuch deutlich weniger Menschen, die in die Basilika drängen. Die Corona-Pandemie zeigt Wirkung, bis hinein in die Liturgie: Händewaschen der Priester und Schwestern vor und nach dem Spenden der Kommunion, keine Mundkommunion. Doch immer noch zeigt sich ein eindrucksvolles Bild einer staunenden Menschenmenge – unterhalb des Bildes der Jungfrau, um das sich hier alles dreht. Dessen Geschichte muss man kennen, wenn man verstehen will, warum es ein Land – und ein ganzer Kontinent – so verehrt.

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Marienerscheinung im 16. Jahrhundert

Cuauhtlatoatzin, ein Angehöriger des Volkes der Chichimeca, wurde 1474 nahe der mexikanischen Azteken-Metropole Tenochtitlán geboren. 1524 ließ er sich taufen und nannte sich seitdem Juan Diego. Am 9. Dezember 1531 erschien ihm auf dem Berg Tepeyac die Jungfrau Maria, die ihn bat, auf diesem Berg eine Kapelle zu errichten. Sein Bischof, Fray Juan de Zumárraga, schenkt Juan Diego keinen Glauben, als er ihm von der Begebenheit berichtet. Drei Tage darauf erschien ihm Maria erneut und beauftragte ihn, dem Bischof die Rosen zu bringen, die er – mitten im Winter – am Hang des Berges finden würde. Juan Diego sammelte die Rosen in seinem Umhang und brachte sie zum Bischof. Als er dort den Umhang öffnete, war statt der Rosen das Bild der Muttergottes zu sehen. Sofort gab der Bischof den Bau der Kapelle in Auftrag, neben der Juan Diego bis zu seinem Tod (30. Mai 1548) als Eremit lebte. Juan Diego wurde 1990 selig- und 2002 heiliggesprochen.

Basilika mit Rollbändern

Die kleine Kapelle wurde später durch eine große Basilika ersetzt, in der das Gnadenbild fast drei Jahrhunderte zu sehen war. Jetzt kann man es in der neuen Basilika (1974 errichtet) bestaunen. Diese ist riesig – sie bietet bis zu 40 000 Gläubigen Platz. Ausgereizt wird diese gigantische Dimension immer in der Festwoche Mitte Dezember, wenn in den Tagen vom 9. bis zum 12. des Monats die Pilger in Scharen zum Erscheinungsort der Jungfrau von Guadalupe kommen. Zum Fest fahren etwa 250 Menschen auf den Rollbändern am Gnadenbild vorbei – pro Minute.

Feierliche Rosenmesse

Ein Höhepunkt der Feierlichkeiten ist die sogenannte „Rosenmesse“, die traditionell der amtierende Erzbischof von Mexiko-Stadt in Erinnerung an den Wahrheitsbeweis der Erscheinungen zelebriert. Im letzten Jahr erinnerte Kardinal Carlos Aguiar Retes daran, dass die Jungfrau von Guadalupe damals in einem „Moment der schlimmsten Zerfallssymptome der indigenen Kulturen unseres Landes“ dem Volk ihre Gegenwart bekundet und sich als Mutter gezeigt habe. Um heutige „Wunden“ der Gesellschaft zu heilen, müsse der liebevolle Umgang gestärkt werden, angefangen in den Familien. Fast elf Millionen Pilger waren 2019 beim gigantischen Guadalupe-Fest dabei.

Am Tag unseres Besuchs beim Tuch ist nicht ganz so viel los. Dennoch gibt es einigen Andrang. Die Atmosphäre ist trotz der vielen Menschen, die durch die überdimensionalen Eingangsportale hinein- und hinausströmen, konzentriert und andächtig. Es gibt Jugendgruppen, die sich dort unter aufgeregtem Getuschel sammeln, um mit Bildern, Fahnen und Standarten gemeinsam zur Heiligen Messe einzuziehen. Menschen rutschen auf Knien quer über den weiten Platz zur Basilika. Es ist faszinierend, den großen Glauben so deutlich vor Augen geführt zu bekommen. Davon zeugt auch die Sammlung von Votivgaben im Museum neben der Basilika: Die Jungfrau von Guadalupe hat geholfen. Wie Mütter eben sind.

5000 Artefakte im Museum

Das Museo de la Basílica de Guadalupe zeigt in 15 Räumen rund 5 000 Artefakte, darunter auch zahlreiche künstlerische Variationen des Originaltuchs, das hinter Panzerglas über dem Altarraum platziert wurde – gut sichtbar von jedem Platz des Rundkirchenbaus. Zudem finden dort regelmäßig Vorträge statt. Auch die wissenschaftliche Untersuchung des Tuchs steht dabei auf der Agenda. Denn die Tilma gibt zahlreiche Fragen auf, die zu intensiven interdisziplinären Kontroversen führten. Der Stoff, dessen erstaunliche Haltbarkeit, die Farbe und die Art des Farbauftrags, die mikroskopisch kleinen Spiegelungen in den Augen – all das hat wissenschaftliche Debatten mit Gutachten und Gegengutachten ausgelöst. Andererseits haben bereits die Eigentümlichkeiten selbst den Glauben an die übernatürliche Herkunft des Gnadenbilds gestärkt. Selbst einen Bombenanschlag während der antiklerikalen mexikanischen Revolution in den 1920er Jahren hat die Jungfrau von Guadalupe schadlos überstanden.

Wenn man den Glauben der Menschen sieht, tritt der Gelehrtenstreit in den Hintergrund. Denn in jedem Fall verweist das Tuch auf das Übernatürliche, das uns – nicht nur in Zeiten einer Corona-Pandemie – Kraft, Halt und Trost gibt. Wie sagte der Buchhändler? „Sie ist unsere Mutter!“ Hier, in ihrem Heiligtum, merkt man es – inmitten Zehntausender Kinder.

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