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Camino de la Virgen: Alle vier Jahre tragen sie die Jungfrau

Auf der kleinen kanarischen Insel El Hierro sorgen die Kräfte der Natur für grandiose Landschaften, die man beim Wandern am intensivsten erlebt – alle vier Jahre laufen Tausende Gläubige den Camino de la Virgen.
Die Kirche „Nuestra Senora de la Concepción“.
Foto: Frühauf | Die Kirche „Nuestra Senora de la Concepción“. Auch übers Jahr kommen die Insulaner hierhin, um Gesundheit, Kraft und Rat für anstehende Entscheidungen zu erbitten.

Eine Wanderung auf dem Camino de la Virgen ist etwas ganz Besonderes. „Eine Flaute brachte die Jungfrau der Heiligen Drei Könige (Nuestra Senora de los Reyes) am 6. Januar 1546 auf die Insel“, erzählt Reiseführerin Johanna Söhner ihrer Wandergruppe vor der Kapelle der Schutzpatronin (Ermita de la Virgen). Hier beginnt im Prozessionsjahr am ersten Samstag im Juli das berühmte Marienfest – das nächste wohl 2025 wieder. Denn im Frühling teilte Bischof Bernardo Álvarez mit, dass das traditionsreiche Fest aufgrund der Pandemie ausfällt. ,Bajada de la Virgen de los Reyes‘ ist ein mehrwöchiges Volksfest für die Herrenos, wie die Einwohner von El Hierro genannt werden. Die Feierlichkeiten zu Ehren der Schutzheiligen finden gemäß der jahrhundertealten Tradition immer im vier-Jahres-Rhythmus statt. Die kleine Kapelle ist aber immer einen Besuch wert.

Volksfest mit 30.000 Menschen

Weiß schimmert sie heute unter den Nebelwolken hervor, die gerade in großen Schwaden über die Vulkanlandschaft ziehen. „Damals strandete ein Segelschiff in einer der Buchten vor der Insel“, fährt die Reiseleiterin mit ihrer Geschichte fort. Schäfer, die ganz in der Nähe über ihre Herden wachten, brachten den Seeleuten Wasser und Nahrungsmittel. Als Dank bekamen sie von der Besatzung die Schiffsmadonna, die die Schäfer in einer Höhle ganz in der Nähe der Kirche aufstellten. Johanna Söhner erzählt weiter: „Das Volksfest, zu dem über 30 000 Menschen auf der Insel zusammenkommen, hat seinen Ursprung in einem Gelübde aus dem Jahr 1741“. Als die Insulaner wieder einmal unter extremer Trockenheit litten, baten sie ihre Inselheilige um Regen, der kam, als sie die „Virgen de los Reyes“ in feierlicher Prozession, damals noch zu den Höhlen von Lemos, trugen. Seit 1745 veranstalten die Insulaner ihre Wallfahrt allerdings nur noch im Vier-Jahresrhythmus.

 

Die Wanderführerin beschreibt den Zug, den die Madonna auf ihrer Sänfte anführt, in schillernden Farben: „Bergauf und bergab, knapp über 30 Kilometer, tragen die Inselbewohner die Schutzheilige, die von Musikern mit Trommeln, Rasseln und Pfeifen umgeben ist. Die kostümierten Tänzer in weißen, weiten Gewändern kommen aus verschiedenen Dörfern und wechseln sich bei der Begleitung des Zugs ab.“ Hier von der Hochebene La Dehesa geht es dabei quer über die Insel und hinunter – „Bajada“ bedeutet auch Abstieg – in die festlich geschmückte Hauptstadt Valverde im Norden El Hierros und weiter zur Kirche „Nuestra Senora de la Concepción“. Jeder Herreno läuft mindestens einmal in seinem Leben mit.

Beistand in der Kapelle suchen

Doch auch unter dem Jahr kommen die Insulaner hierher – in die kleine Kirche, um Gesundheit, Kraft und Rat für anstehende Entscheidungen zu erbitten. Die Wanderer laufen inzwischen am Gotteshaus vorbei und den Berg hinauf. Mit jedem Schritt wird die Landschaft grüner. Auch hier oben umhüllen Wolken die Szenerie – die Weiden und Wiesen längs des Schotterweges sind kaum zu sehen. Die Bäume sind mit Teppichen aus Flechten bedeckt. Rund eine Stunde später tauchen aus dem Dunst die ersten merkwürdig gekrümmten Bäume auf – der Wacholderwald (El Sabinar) beginnt. Es ist der letzte zusammenhängende El Sabinar der Insel. Die gebückten und verdrehten Haltungen verdanken die jahrhundertealten Pflanzen den Naturgewalten – hier dem Fallwind vom Bergkamm. Einige Exemplare sind so gebogen, dass ihre Kronen den Boden berühren. Ihr Drehwuchs gilt als einzigartig und macht sie zu einem der Wahrzeichen El Hierros. Im Wolkennebel bieten sie einen ganz besonderen Anblick: Gespenstisch tauchen die uralten Gewächse wie aus dem Nichts heraus auf und ähneln Fabelwesen aus einer anderen Welt. Auch heute drückt der Wind unaufhörlich von den Bergen herüber.

Die Wolkenmelkmaschine

Auf, auf zum Malpeso: Ein Glück, dass die nächste Wanderung bei strahlendem Sonnenschein stattfindet. Los geht es vom Parkplatz am Cruz de los Reyes und hinauf auf den Bergkamm (Cumbre) in über 1 000 Meter Höhe. Johanna Söhner weiß: „Der Kamm wirkt wie eine Wetterscheide, denn die Passatwolken bleiben an der Nordseite hängen und regnen sich über dem Golfo-Tal ab.“ Die Lorbeer- und Gagelbaumwälder entziehen den Wolken ebenfalls Feuchtigkeit. Sie seien eine Art „Wolkenmelkmaschine“ und sorgen für die Bewässerung des Bodens erklärt die deutsche Wanderführerin, die seit Jahrzehnten auf der Nachbarinsel Teneriffa lebt. Die Natur erschafft dank des Wassers einen mystischen Märchenwald – aus Farnen, Moosen und Efeu. An den Südhängen des Cumbre hingegen gedeihen dichte Pinien- und Kiefernwälder. Die kanarische Kiefer hat statt zwei, drei lange Nadeln, um die Nebelwolken „auszukämmen“, auch horizontaler Regen genannt.

Die Reiseleiterin reicht ein paar Nadelbüschel herum, die jeweils aus drei langen Nadeln bestehen. Mit zunehmender Höhe nehmen die kargen, schwarz-braunen Lavafelder zu. Jeder Schritt knirscht, als laufe man über Schnee. Nach knapp zwei Stunden taucht der Sendemast des höchsten Gipfels der Insel auf. Vom 1 500 Meter hohen Malpeso gewährt der wolkenlose, blaue Himmel Weitblicke: Im Norden nach La Palma, in Richtung Nordost-Ost nach La Gomera und weiter bis Teneriffa mit dem Gipfel des Pico del Teide, der 3 718 Meter hoch ist. Nur im Windschatten der Büsche lässt es sich aushalten – denn auch hier oben macht der Wind keine Pause. Beim Abstieg geht es wieder ein Stück den Camino de la Virgen entlang.

Zum Einkaufen auf die Nachbarinsel

Auf dem Weg zum Aussichtspunkt El Mirador de La Pena: Der schönste Ausblick der heutigen Wanderung liegt im Golfo-Tal im Westen der Insel, die die kleinste, wildeste und einsamste der kanarischen Inseln ist: „Die Hauptstadt Valverde hat nur etwas mehr als eineinhalbtausend Einwohner, so Johanna Söhner „Es gibt kaum Ladengeschäfte.“ Die Bewohner fahren zum Einkaufen mit der Fähre auf die Nachbarinseln. Nahrungsmittel wie Fisch, Fleisch, Käse, Honig, Obst, Wein und jüngst auch Olivenöl, gibt es dagegen auch auf dem rund 270 Quadratkilometer großen Eiland und zwar in bester Qualität – Käse und Wein sogar mit internationalen Auszeichnungen, wie die Reiseleiterin betont. Wie viele Menschen tatsächlich auf El Hierro leben weiß auch sie nicht genau, gemeldet seien etwa 11 000. Rund 7 000 Herrenos sollen dauerhaft auf der vom Atlantischen Ozean umtosten Insel leben, die seit 2000 Biosphären Reservat der UNESCO ist.

Erster Geopark der Kanaren

2014 hat die UNESCO die rund eine Million alte Vulkaninsel – und damit die jüngste unter den sieben Kanarischen Hauptinseln – zum ersten Geopark der Kanarischen Inseln gemacht. Sie wurde in die Liste von rund sechzig Regionen in Europa aufgenommen, die über außergewöhnliche geologische Bedingungen verfügen. Inzwischen wandert die Gruppe an La Frontera vorbei, neben Valverde und El Pinar im Süden, die dritte Gemeinde El Hierros. Den besten Blick über La Frontera und das gesamte Golfo-Tal bietet das El Mirador de La Pena. Beim Aussichtspunkt gibt es auch ein Restaurant, beides entworfen von César Manrique. Der Maler, Architekt, Bildhauer und Umweltschützer prägte zu Lebzeiten vor allem das Bild von Lanzarote. Hier oben fällt die Steilküste fast 700 Meter senkrecht ins Meer hinab. Die Felswände sind von einer abwechslungsreichen Flora bedeckt, Moose, Farne und Steinpflanzen locken die Besucher an den Rand des Abgrunds. Von hier aus hört man das Donnern der Wellen, die mit ihrer Kraft über Jahrhunderte bizarre Formationen erschufen, wie beispielsweise die Roques de Salmor.

Vom Panoramarestaurant bietet sich heute ein freier Blick auf die Felsengruppe, auf der die endemische Kanarische-Eidechse ganz ungestört lebt. Denn die Kraft des Wassers trennte einst die Felsen vom Festland ab und schütze so ihren Lebensraum. Im spärlich besiedelten Tal gibt es – durch Vulkanaktivität und Wellen erschaffen – auch ein Naturschwimmbecken, eine der wenigen Bademöglichkeiten auf der Insel. Das türkisfarbene Wasser lädt zum Abtauchen ein und die aufspritzende Gischt der Wogen sorgt für zusätzlichen Nervenkitzel. Weit übers Tal, wo Ananas, Bananen und Papayas gedeihen, schweifen die Blicke der Gruppe, bis sie an den dünnen Wolkenschleier über den Berghöhen des Golfo-Tals hängenbleiben, in dem gerade die Sonne langsam versinkt – ein einzigartiges Naturschauspiel und heute sogar einmal ganz ohne Wind.

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Annette Frühauf Bischof UNESCO

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