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Warum der Stern an Strahlkraft verliert

Ein kreuzbraves, rot-grünes Kampagnenblatt ist der Stern geworden: Deutschlands größte Illustrierte und einst erste Adresse für Reportagejournalismus stürzt ab in die Bedeutungslosigkeit.
Stern-Titelblatt: "Wir haben abgetrieben"
Foto: Stern | Skandalös und kontrovers, so waren viele Themen des Magazins "Stern". Heute schwimmt die Zeitschrift im Mainstream mit und regt kaum noch auf.

Regelmäßige Leser des Magazins werden bemerkt haben, dass der Stern-Schriftzug auf seiner Titelseite seit geraumer Zeit verblasst. Kaum noch lesbar hebt er sich neben dem weißen, asymmetrisch gezackten Signet auf rotem Fond von der jeweiligen Hintergrundfarbe des Cover-Motivs ab. Ganz so, als hätten sich die Titelbildgestalter innerlich bereits von der Marke Stern verabschiedet. So ist es auch nicht überraschend, dass die jüngsten Meldungen aus dem Hamburger Stern-Verlag Gruner und Jahr einer Kapitulationserklärung gleichkommen. In einer Pressemitteilung wurde verkündet, man wolle für die Magazine Stern, Capital und Business Punk ein „gemeinsames Hauptstadtbüro“ gründen, in dem ab 1. März 2021 rund 35 Journalisten „in Print und digital über das Geschehen in der deutschen Politik und in der Wirtschaft berichten“.

Wirtschaftliche Talfahrt, hektischer Redaktionsumbau

Zugleich werde das Stern-Ressort „Politik und Wirtschaft“ mit 17 Mitarbeitern aufgelöst. Die Leitung der neuen Berliner Redaktion übernimmt Horst von Buttlar, der Chefredakteur von Capital sowie Geschäftsführer der Gruner und Jahr-Wirtschaftsmedien bleibt und fortan auch noch Stellvertreter der beiden Stern-Chefredakteure Florian Gless und Anna-Beeke Gretemeier sein soll. In der Redaktion herrscht Verunsicherung. Nicht nur weil SternChef Gless klarstellte: „Wir können nicht einfach nichts tun. Es ist wirklich ernst.“ Die wirtschaftliche Situation erfordere Sparmaßnahmen; insbesondere seit der Corona-Krise sind die schon zuvor mageren Werbeeinnahmen weiter geschrumpft.

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Auch die Auflage des Stern befindet sich seit Jahren im freien Fall. In seinen besten Zeiten verkaufte die Illustrierte jede Woche 1,9 Millionen Exemplare. Das war 1967. Zu seinem 70. Geburtstag 2018 wurde der Stern nur noch knapp 530 000 Hefte abgesetzt. Inzwischen sind es gerade mal 370 000 Stück – 66,5 Prozent weniger als 1998. In einer Stellungnahme an die Chefredaktion erklärt der Redaktionsbeirat: „Der Schock ist gewaltig.“ Er nennt die Berichterstattung über Politik und Wirtschaft „ein Herzstück des Stern“, auf ein eigenes Ressort zu verzichten sei „absurd“, die Marke Stern würde dadurch „massiv geschwächt“. Auch der langjährige Polit-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges sagt: „Ein Stern ohne Politik am Konferenztisch ist ein sterbender Stern.“

Vergangenheit: Verheißung, Glamour, Sexappeal

Wie konnte der Stern dermaßen abstürzen? Er hat den höchsten Bekanntheitsgrad unter allen deutschen Publikumszeitschriften (96 Prozent), noch vor dem Spiegel (93 Prozent) und Focus (91 Prozent). Zu ihren besten Zeiten machte die „Wundertüte“, wie Stern-Gründer Henri Nannen sein Blatt nannte, den Donnerstag zum jour fixe für die ganze Familie. Mit aufwühlenden Fotostrecken über sudanesische Hungeropfer und Titelbildern mit barbusigen Schönheiten machte der Stern Auflage, er sorgte für kontroversen Gesprächsstoff, als er 1971 in der Titelgeschichte „Wir haben abgetrieben!“

374 Frauen ihren Schwangerschaftsabbruch bekennen ließ. Für Kinder gab es eine eigene Doppelseite: „Kinder haben Sternchen gern – Sternchen ist das Kind vom Stern.“ Selbst als sich 1983 der vermeintliche Scoop der „HitlerTagebücher“ alsbald als plumpe Fälschung entpuppte, verlor der Stern nicht allzu viel von seinem Glanz. Die Redaktion versammelte einfach zu gute Autoren und Fotografen. Über viele Jahre hinweg vermochte der Stern eine Mischung von Geschichten zu bringen, die nur so sprühten vor Ruchlosigkeit, aber auch vor Verheißung, Glamour und Sexappeal. Die Qualität vieler Texte damals ist heute kaum mehr vorstellbar. Manche waren rhythmisch komponiert wie ein Popsong.

„Zeithistoriker werden später untersuchen können,
wie in den Kanzlerjahren Angela Merkels eigentümliche Formen
eines Bekennerjournalismus entstanden sind“

Doch das ist lange her. Heute wirkt der Stern so ausgelaugt und deprimierend wie eine alternde Diva, von der alle wissen, dass sie pleite ist, die aber hartnäckig darauf besteht, in den besten Hotels abzusteigen. Humorlos, überraschungsarm und besserwisserisch versucht sich die ehemals erste Adresse des Reportage-Journalismus mit kreuzbraven Servicethemen beliebt zu halten – und weiß an jedem Donnerstag, wie lächerlich sie sich macht.

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Am fatalsten jedoch dürfte die Falle sein, in die der Stern wie die meisten der sogenannten Qualitätszeitungen und -zeitschriften in Deutschland mittlerweile getappt ist. Zeithistoriker werden später untersuchen können, wie in den Kanzlerjahren Angela Merkels eigentümliche Formen eines Bekennerjournalismus entstanden sind, dessen Berichterstattung mehr von moralischer Haltung denn von scharfsichtiger Realitätsbeobachtung geprägt ist.

Keine Kritik

Während die Kanzlerin ihre eigene, einst konservativ-liberale Union zu einer zweiten Sozialdemokratie im Lande neujustiert hat, entzog sie damit der traditionell linksliberalen Hamburger Meinungsführerpresse Stern–Zeit–Spiegel immer mehr Anlässe zur Kritik. Kein Wunder, dass sich die etablierten Pressetitel heute oft monovokal wie Regierungsflüstertüten lesen und häufig genug zu den alltäglichen Bedrückungen in der Bevölkerung auf Distanz bleiben, weshalb sich wiederum immer mehr Leser von ihnen abwenden.

Als einzige Institution unter den Hamburger Großtiteln vermeldet übrigens die Zeit wachsende Auflagenzahlen. Zeit-Chef Giovanni di Lorenzo gehört zu den wenigen Blattmachern, die es verstanden haben, trotz linksliberaler Grundausrichtung auch Kontroversen anzuzetteln und mit überraschenden Standpunkten die Langeweile der üblichen Gesinnungssoße zu durchbrechen. Magazine wie Spiegel und Stern hingegen liefern Woche um Woche erwartbare Belegtexte zur Stabilisierung eines politisch korrekten Weltbildes, in dem Donald Trump der Wiedergänger des Leibhaftigen ist, Migranten grundsätzlich gutherzig sind, Deutschland strukturell rassistisch ist und Frauen sexistisch benachteiligt sind.

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Peinliche Titel mit Klima- und Quotenfrauen

In der Coronakrise werden die Regierungsmaßnahmen, wenn überhaupt, nur zögerlich hinterfragt, die Kritiker in der Bevölkerung umso unbekümmerter als Rechtsradikale und Geistesgestörte abqualifiziert. Als im Vorjahr in den USA der schwarzhäutige Gewaltverbrecher George Floyd auf schauerliche Weise bei seiner Verhaftung von einem Polizisten getötet wurde, fiel dem Stern nichts Peinlicheres ein als die Titelgeschichte: „Wie rassistisch bin ich? Eine Anleitung zur Selbsterkundung“. Nachdem seit den siebziger Jahren Generationen junger Deutscher zur Selbstkritik erzogen wurden, suhlen sie sich als Erwachsene bei jeder sich bietenden Gelegenheit in ritueller Selbstverachtung.

Zum Weltklimatag im September 2020 entwickelten die SternMacher gemeinsam mit den Klimaaktivisten von Fridays für Future ein komplettes Themenheft. Die Chefredakteure räumen auch freimütig ein: „Was die Klimakrise angeht, ist der Stern nicht länger neutral.“ Offener kann man NGO-Journalismus und Bewusstseinsgärtnerei wohl kaum eingestehen. Im vergangenen November schließlich ließ die Redaktion im Stile des Bekennertitels von anno 1971 („Ich habe abgetrieben!“) 40 Frauen aus Spitzenpositionen deklamieren: „Ich bin eine Quotenfrau!“ Dass es für jede vernunftbegabte Frau eine Blamage sein müsste, an ihren Führungsjob nicht durch eigene Leistung, sondern durch Quotierung gelangt zu sein, schien niemanden zu stören.

Kleinbürgerlich, bieder

Beim Publikum aber scheint derlei gedankenarmes Gesinnungseinerlei immer weniger Zuspruch zu finden. Immerhin dürften die noch verbliebenen Stern-Leser gespannt sein, wie sich die politische Ausrichtung des Magazins mit dem neuen Politik-Chef Horst von Buttlar entwickelt. Der Mittvierziger hatte sich der SternRedaktion kürzlich als „konservativ-liberal“ vorgestellt. Dies könnte eine Chance sein für das Blatt. Denn der traditionelle Stern-Leser ist vergleichbar mit dem Stammwähler der SPD: ein bisschen kleinbürgerlich, bieder, lebt seinen Gemeinsinn in Vereinsehrenämtern aus, ein Gewohnheitsmensch mit wenig Sinn für Experimente. SPD rechte Mitte, sozusagen.

Die Sozialdemokratie dümpelt bei 15 Prozent, weil die Funktionäre ihre Bodenhaftung verloren und dem Volksempfinden nichts mehr zu bieten haben. Blattmachen ist ein bisschen wie Politikgestalten: Wenn die Partei nicht zur Sekte werden soll, muss ein Parteiprogramm Polaritäten aufweisen. Nur Widersprüche machen das Leben spürbar. Ein bürgerlicher Liberaler mit aristokratischem Stammbaum könnte die pseudolinke Schlagseite in der Chefredaktion auswuchten, mehr Vielstimmigkeit ermöglichen und ein breiteres Themenspektrum. Ein politisch korrekter Stern knistert einfach nicht. Denn Blattmachen ist ein bisschen auch wie Flirten – ohne elegante Übergriffigkeiten geht gar nichts.


Der Autor war schon als Schüler seit Ende der siebziger Jahre begeisterter Leser des Stern. Er schaute sich von den damaligen Edelfedern das Schreiberhandwerk ab und schrieb in den vergangenen 30 Jahren immer wieder auch für das Magazin.

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