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Serie „Oktoberfest 1900“: Vorherrschaft auf der Wiesn

Die Event-Serie „Oktoberfest 1900“ entwirft ein Panorama allzu menschlicher, teils niederer Instinkte, das aber in einer Liebesgeschichte ein Gegengewicht erhält .
Oktoberfest - 1900
Foto: ARD | Um die Jahrhundertwende will der ursprünglich aus Berlin stammende Nürnberger Bierbrauer Curt Prank (Mišel Maticevic, rechts) auf der Wiesn eine Bierburg für 6 000 Personen bauen.

Das Oktoberfest gilt als größtes Volksfest der Welt: 6,3 Millionen Besucher strömten zuletzt auf die Theresien- oder Festwiese zu Füßen der 1850 errichteten Bavariastatue von Mitte September bis Anfang Oktober. Als Geburtsstunde der Wiesn gilt das Pferderennen, das anlässlich der Hochzeit zwischen Kronprinz Ludwig, dem späteren König Ludwig I., und der protestantischen Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen am 17. Oktober 1810 veranstaltet wurde. Auf einem Hang verfolgten 50 000 Zuschauer das Rennen; für das Prinzenpaar wurde ein Pavillon auf der Wiese errichtet, die als Hommage an die Braut „Theresens Wiese“ genannt wurde.

Die Erzählung lehnt sich phantasievoll an die Historie an

Vieles aus der 210-jährigen Geschichte der Wiesn könnte ausreichenden Stoff für einen Spielfilm oder eine Serie bieten, etwa der Beginn des „Einzugs der Wiesnwirte“ im Jahr 1887. Als Ausgangspunkt für die ARD-Event-Serie „Oktoberfest 1900“ nahmen die Serienentwickler Ronny Schalk und Christian Limmer sowie Regisseur Hannu Salonen jedoch einen weiteren Meilenstein in der Oktoberfest-Geschichte: Im Jahr 1898 errichtet Georg Lang, ein Großgastronom aus Nürnberg, die damals größte Bierburg, die bis zu 6 000 Personen Platz bot. Bis dahin wurde das Bier in kleinen Bierbuden ausgeschenkt, in denen maximal 50 Personen Platz fanden.

„Ich will das Oktoberfest neu erfinden“, sagt denn auch der Nürnberger Bierbrauer, der allerdings ursprünglich aus Berlin stammt und deshalb immer wieder als „der Preuße“ apostrophiert wird, und der im Film Curt Prank (Mišel Matièevic) heißt. Zwar heißt es zu Beginn einer jeden Folge „Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten“. Produzent Alexis von Wittgenstein schränkt dies jedoch ein: „Der Nürnberger Gastro-Unternehmer mit dem vielsagenden Beinamen ,Krokodil Wirt‘ hatte sich zur Jahrhundertwende über Strohmänner fünf Budenplätze auf dem Oktoberfest ergaunert, um darauf ein völlig größenwahnsinniges Vorhaben zu realisieren: den Bau einer ,Bierburg‘ für bis zu 6 000 Gäste – und das als ,Auswärtiger‘.

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Georg Lang diente uns als Inspiration für die Figur Curt Prank, die aber ansonsten nichts gemein hat mit dem realen Georg Lang.“ Die Zuspitzung der Persönlichkeit Pranks vom Gauner zum Kriminellen, der buchstäblich über Leichen zu gehen bereit ist, um seine „Vision“ zu verwirklichen, kann also getrost als Fiktion angesehen werden. Curt Prank erpresst zunächst von Stadtrat Alfons Urban (Michael Kranz) die Baugenehmigung für seine „Bierburg“. Dafür muss er jedoch auf der Wiesn sieben Bierzeltplätze kaufen, von denen er sechs leicht erwirbt. Schwierig wird es beim siebten, weil Maria (Martina Gedeck) und Ignatz Hoflinger (Francis Fulton-Smith), denen die Traditionsbrauerei „Deibel“ gehört, nicht verkaufen wollen. In ihrem Wirtshaus „Zum Oiden Deibel“ arbeiten ihre Söhne Roman (Klaus Steinbacher) und Ludwig (Markus Krojer).

Das Bierkartell fordert Protektion

In der Haupthandlung der Serie „Oktoberfest 1900“ spielt noch eine weitere wichtige Rolle Anatol Stifter (Maximilian Brückner), der Besitzer der wohl größten Bierbrauerei Münchens „Capital“ und Sprecher des Münchner Bierkartells, das Pranks Pläne dadurch zum Scheitern bringen will, dass es vom Magistrat die Vorschrift erwirkt, dass ab sofort auf dem Oktoberfest nur noch Münchner Bier ausgeschenkt werden darf. Zu einem Arrangement mit Prank wäre Stifter freilich bereit, wenn „der Preuße“ ihm seine Tochter Clara (Mercedes Müller) zur Frau gibt.

Bei „Oktoberfest 1900“ geht es laut dem Produzenten Michael Souvignier um die Geschichte des Curt Prank „vor dem Hintergrund der aufziehenden Emanzipation von Frau und Bürgertum in schwierigen Zeiten“. Die Serie handele „von Eifersucht, Sabotage, Mord und Verrat, aber ebenso von Liebe und Zusammenhalt“, Gerade die Liebesgeschichte, die nicht zu leugnende Anklänge an Romeo und Julia hat, bietet ein positives Gegengewicht zu der eigentlichen, von niederen menschlichen Instinkten geprägten Haupthandlung. Produzent Souvignier: „Hier entfaltet sich das ganze menschliche Drama und ist damit gar nicht mehr ein Historienstück, sondern heutiger, als man sich dies auf den ersten Blick vorzustellen vermag.“

Anachronistisch: Heutige „Themen“ in die Vergangenheit projizieren

Den Produzenten – so Alexis von Wittgenstein – sei „ein Anliegen, eine Serie zu kreieren, die sich heutig anfühlt und die Zuschauer mit Themen erreicht, die uns alle in unserem Alltag beschäftigen: Konflikte beim Generationenumbruch, der Umgang der Gesellschaft mit Homosexualität, die Überwindung von vorgefertigten Geschlechterrollen oder die Verwirklichung eines selbstbestimmten Lebensentwurfs“. Darin klingt aber schon ein gewisser Anachronismus an: die damalige mit den Augen der heutigen Zeit zu betrachten.


„Oktoberfest 1900“, Regie: Hannu Salonen, 6 Folgen mit insgesamt 280 Minuten. Im Ersten: Dienstag, 15.09., 20.15 Uhr; Mittwoch, 16.09., 20.15 Uhr; Mittwoch, 23.09., 20.15 Uhr jeweils eine Doppelfolge. Online ab dem 8. September, in der ARD-Mediathek bis zum 31. Dezember.

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