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Sophie Scholl ist das Gesicht des Widerstands

Zur Rezeption der „Weißen Rose“: Die Studentengruppe genoss bald nach dem Krieg eine Anerkennung, die anderen Widerstandsgruppen erst später zuteil wurde. Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl.
Sophie Scholl zwischen ihrem Bruder Hans und Christoph Probst
Foto: Bundeszentrale für politische Bildung | Sophie Scholl zwischen ihrem Bruder Hans (links) und Christoph Probst im August 1942.

Die Würdigung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ließ teilweise lange auf sich warten. „Grundsätzlich wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den westlichen Besatzungszonen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer noch direkt vom NS-Regime geprägten Gesellschaft mit nur wenigen Ausnahmen negativ bewertet“, stellten im August 2016 der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin GDW Johannes Tuchel und seine Mitarbeiterin Julia Albert in einem Beitrag für die „Bundeszentrale für politische Bildung“ fest.

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Den Widerstand hat die Kirche spät anerkannt

Als Beispiel führen die Autoren die „Würdigung und nachträgliche Legitimierung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944“ an: 1951 hätten nur 43 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen die „Männer vom 20. Juli“ positiv beurteilt. Ähnliche Zahlen habe aber auch eine Umfrage vom Frühjahr 1970 ergeben. „Erst im Jahr 2004 gab es in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung erstmals eine überwiegend positive Beurteilung des 20. Juli 1944.

Die wenigen Männer, die nach einer Einberufung zur Wehrmacht den Eid auf Adolf Hitler verweigerten, und eine solche Verweigerung mit einem Todesurteil durch das Reichs- oder andere Kriegsgerichte bezahlten, erhielten erst mehr als ein halbes Jahrhundert später Anerkennung. Das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ wurde am 25. August 1998 erlassen, wenn auch einzelne Todesurteile bereits etwas früher aufgehoben worden waren. Für eine Würdigung durch die katholische Kirche mussten ebenfalls Jahrzehnte ins Land gehen: Franz Jägerstätter wurde erst 2007, Josef Mayr-Nusser gar 2017 seliggesprochen. Das Seligsprechungsverfahren für Pater Franz Reinisch wurde auf Diözesanebene jüngst am 28. Juni 2019 abgeschlossen.

„Ihr sollt nicht umsonst gestorben sein,
sollt nicht vergessen sein“

Eine Widerstandsgruppe erhielt hingegen seit 1945 ungeteilte Zustimmung: Die „Weiße Rose“ wurde bald zum Symbol für das „bessere“ Deutschland. In ihrer umfangreichen Doktorarbeit „,Im Geiste der Gemordeten ...‘: Die ,Weiße Rose‘ und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit“ (2000) formuliert es Barbara Schüler pointiert: Die Weiße Rose „wurde zum Synonym für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Sie habe alle anderen Widerstandsgruppen überlagert.

Für das Ansehen der „Weißen Rose“ spielten eine herausragende Rolle sowohl die Rundfunkansprache, die Thomas Mann am 27. Juni 1944 in der BBC hielt – „Ihr sollt nicht umsonst gestorben sein, sollt nicht vergessen sein“ –, als auch die Ansprachen Romano Guardinis 1945 und 1958 bei der bis 1968 jährlich stattfindenden Gedenkfeier an der Universität München.

Szene aus dem Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2004).
Foto: X-Verleih / Jürgen Olczyk | Münchener Universität, 18. Februar 1943: Sophie (Julia Jentsch) und Hans Scholl (Fabian Hinrichs) verteilen Flugblätter vor ihrer Festnahme. Szene aus dem Film „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ (2004).

Unterschiedliche Würdigung 

Sehr früh erhielten Plätze, Straßen und insbesondere auch Schulen den Namen „Geschwister Scholl“ – inzwischen gibt es ebenfalls etwa eine „Berufsschule Alexander Schmorell“ in Rostock und ein „Willi-Graf-Gymnasium“ in Berlin. Auch das steht in krassem Gegensatz zur Würdigung anderer Widerstandsgruppen. So lehnte es beispielsweise im Sommer 1956 eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ab, eine Schule nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder nach dem zivilen Kopf des Umsturzversuches Carl Friedrich Goerdeler zu benennen. Nur 18 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus. Noch 1998 wies der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe Wolf Biermanns Vorschlag zurück, eine Bundeswehreinrichtung nach Wilm Hosenfeld zu benennen – dem Retter des Pianisten Wadyslaw Szpilman und etlicher weiteren Menschen in Warschau, dem Roman Polanski in „Der Pianist“ (2002) ein kurzes, aber eindrückliches filmisches Denkmal setzte.

Dass öffentliche Einrichtungen nach den „Geschwistern Scholl“ und nicht nach der „Weißen Rose“ benannt wurden, deutet auf eine Vermischung beider Begriffe hin. Zurückzuführen ist dies auf den Protagonismus von Hans und Sophie Scholl in den anfänglichen Darstellungen der Widerstandsgruppe, insbesondere im bereits 1955 erschienenen „Die Weiße Rose“ von Inge Aicher-Scholl, der ältesten Schwester von Hans und Sophie. Auch wenn die Autorin die Arbeit von Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Kurt Huber an den Flugblättern und sonstigen Aktionen der „Weißen Rose“ würdigt, legt sie den Akzent auf ihre Geschwister Hans und Sophie.

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Fokussierung auf die Scholl-Geschwister

Ein beredtes Beispiel dafür liefert etwa der Umschlagstext der erweiterten Neuauflage (2002) des Buches von Inge Aicher-Scholl: „Unter dem Losungswort ,Weiße Rose‘ riefen die Münchner Studenten Hans und Sophie Scholl zusammen mit einigen Freunden in einer Flugblatt-Serie zum aktiven Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft auf... Inge Scholl erzählt die Lebensgeschichte ihrer Geschwister nach Erinnerungen und geretteten Dokumente.“

Lebensgeschichte der Geschwister Scholl und Darstellung der Weißen Rose schmelzen sowohl in der Literatur als auch im Film zusammen. Darauf nimmt etwa Detlef Bald in seinem 2004 erschienenen Taschenbuch Bezug: „Als der Zirkel einiger weniger Nahestehender das Bild der ,Weissen Rose‘ prägte, standen die ,Geschwister Scholl‘ im Vordergrund. Da die Publikationen nicht den gesamten Personenkreis der Aktiven abdeckten, wurde eine spezifische Homogenität der Rezeption der ,Weissen Rose‘ gefördert... Daraus ergaben sich mancherlei Probleme, die personen- und die realgeschichtlichen Geschehnisse vor 1943 zutreffend zu analysieren.“

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Von Spannung in der Weißen Rose zeugen die Filme

Inzwischen sind die weiteren, an den Aktionen der Weißen Rose Beteiligten besser bekannt. Dazu haben etwa die Heiligsprechung Alexander Schmorells am 4. Februar 2012 durch die russisch-orthodoxe Kirche, die Herausgabe der Korrespondenz Willi Grafs, die Untersuchung des zweiten Prozesses gegen die Weiße Rose, bei dem Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber im April 1943 zu Tode verurteilt wurden, oder auch die kürzlich erschienene Biografie Christoph Probsts von Thomas Mertz (DT vom 23. Juli 2020) entscheidend beigetragen. Dennoch: Es bleibt die Dualität „Geschwister Scholl“ und „Weiße Rose“, die sich etwa im Nebeneinander der „Weiße Rose Stiftung“ (gegründet 1987) und des „Weisse Rose Institut“ – errichtet 2003 unter der aussagekräftigen Prämisse „Eine Gesamtwürdigung des Widerstandes der Weissen Rose fehlt bis heute“ – manifestiert.

Die Spielfilme, die für eine größere Bekanntheit der Weißen Rose sorgten, zeugen von der Spannung zwischen den „Geschwistern Scholl“ und der „Weißen Rose“. So erzählt Michael Verhoeven in „Die Weiße Rose“ – der 1982 der erfolgreichste deutsche Kinofilm überhaupt war – zwar von den Aktionen der ganzen Gruppe. Der dokumentarische Spielfilm stellt jedoch Hans und vor allem Sophie in den Mittelpunkt. Nicht umsonst beginnt Verhoevens Film mit Sophies Ankunft in München am 4. Mai 1942 und endet mit ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943.

Galionsfigur: Sophie

Ganz auf Sophie Scholl zugeschnitten sind sowohl Percy Adlons „Fünf letzte Tage“ (ebenfalls 1982), der aus der Sicht der Mitgefangenen Else Gebel Sophies letzte fünf Tage schildert, als auch „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ von Fred Breinersdorfer (Drehbuch) und Marc Rothemund (Regie), der sich auf die Verhöre Sophies durch den Gestapo-Offizier Robert Mohr konzentriert. Der Film wurde vielfach ausgezeichnet, darunter mit einer Oscarnominierung.

 

Erst Katrin Seybolds Dokumentarfilm „Die Widerständigen ,also machen wir das weiter?“ (2015) schildert weitere Aktionen der „Weißen Rose“ nach den Prozessen vom Februar und April 1943, insbesondere die Verbreitung des sechsten Weiße-Rose-Flugblatts durch Hans Leipelt und Marie-Luise Schulze-Jahn in Hamburg. Am 13. Oktober 1944 wurde Leipelt zum Tode, Marie-Luise Jahn zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Bis heute stellen die Geschwister Scholl und ganz besonders Sophie Scholl das Gesicht der „Weißen Rose“, ja des gesamten deutschen Widerstandes dar. Das Interesse an Sophie Scholl bleibt ungebrochen: Die 1980 veröffentlichte Biografie von Hermann Vinke „Das kurze Leben der Sophie Scholl“ entfachte das Interesse an der Weißen Rose neu. In ihrer umfassenden, fast 500 Seiten starken Biografie mit dem Titel „Sophie Scholl“ verarbeitete Barbara Beuys 2010 erstmals die umfangreichen Dokumente, die Inge Aicher-Scholl ein Leben lang gesammelt und 2005 dem Institut für Zeitgeschichte München zugänglich gemacht wurden. Kein Wunder, dass die gerade vor hundert Jahren, am 9. Mai 1921 geborene Sophie Scholl am Ende des 20. Jahrhunderts zur „Frau des Jahrhunderts“ erkoren wurde.

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