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Giuseppe Gracia: „Der Druck wird größer“

Zehn Jahre lang sprach PR-Experte Giuseppe Gracia für das Schweizer Bistum Chur. Am 4. März gab er seinen Rücktritt als Kommunikationschef bekannt. Er meint: Die katholische Kirche hat eigentlich kein Kommunikationsproblem. Ihre Probleme reichen tiefer.
„Der Druck wird größer“
Foto: privat | Giuseppe Gracia war von 2011 bis März 2021 Beauftragter für Medien und Kommunikation bzw. Sprecher des Bistums Chur.

Herr Gracia, Sie sagten kürzlich: In der heutigen Öffentlichkeit traditionelle katholische Positionen zu vertreten, ist ein echter Challenge mit viel Gegenwind. Wo blies der Wind am stärksten: innerhalb oder außerhalb der Kirche?

Die Kirche ist so polarisiert wie die Gesellschaft selbst, von daher bläst der Wind intern und extern. Der Wind, das ist der Zeitgeist, der möchte, dass die Standards der Kirche die gleichen sind wie die Standards der säkularen Gegenwartskultur. Die Lebensgewohnheiten des kirchenfernen, mitteleuropäischen Wohlstandsmenschen als normative Vorgabe für die Reform der Lehre der Kirche. Wenn Sie so wollen die katholische Tradition im Licht des Zeitgeistes statt der Zeitgeist im Licht der katholischen Tradition.

„Die Kommunikation kann nur leisten,
was die Führung auch wirklich will“

Vor diesem Hintergrund: Gelang es Ihnen, den Kern des katholischen Glaubens kommunikativ freizulegen? Oder überdeckte der innerkirchliche Streit alles andere?

Die Kommunikation kann nur leisten, was die Führung auch wirklich will. Die Führung der Kirche sagt zwar an vielen Orten, man wolle evangelisieren, den Glauben verkünden. Aber wenn man die konkreten Inhalte anschaut, die kommuniziert werden, dann geht es zu 90 Prozent nur um Fragen der Institution, um Ämter, Macht und interne Skandale. Das bringt niemanden zurück in die Kirche, im Gegenteil.

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Viele Akteure lehnen den tradierten Glauben ab

Eine dermaßen stark polarisierte Kirche spricht kaum je mit einer Stimme. Welche Folgen hat das für die öffentliche Wahrnehmung der Kirche?

Die Kirche in allen deutschsprachigen Ländern ist polarisiert, weil die Säkularisierung der Gesellschaft und die Ent-Sakralisierung des Lebens längst in die Kirche eingedrungen sind. Die öffentliche Wahrnehmung ist dann einfach wie überall: Die Kirche wird angegriffen, weil sie nicht zeitgeistkonform tickt. Der Druck wird immer größer, weil der Zeitgeist keine Ruhe geben wird, bis auch die Kirche Frauenquoten hat, demokratisch ist und absegnet, was immer die Mehrheit wünscht: Ehe für alle, Abtreibung, Leihmutterschaft, Euthanasie.

Die Schweiz ist trotz jahrhundertealter christlicher Prägung ein sehr säkulares Land. Man kann immer weniger Glaubenswissen voraussetzen. Wie reagiert man darauf als kirchlicher Kommunikator?

Es gilt, den Glauben neu erklären zu lernen, einsichtig machen mit Vernunft und Geduld. Freundlich und klar. Keine einfache Aufgabe.Wobei es natürlich oft deshalb nicht funktioniert, weil viele Akteure in und außerhalb der Kirche den tradierten Glauben der Kirche eigentlich ablehnen. Sie wollen ihn also gar nicht verständlich erklären, weil sie sonst die Mehrheitsstimmung gegen sich haben. So flüchten sie sich in harmlose Allgemeinplätze.

Wenn Sie sich die Kommunikation der katholischen Kirche in der Schweiz ansehen: Wie muss die Kirche sprechen, will sie zukünftig Gehör finden?

Es ist kein Kommunikationsproblem, sondern geht tiefer. Ein Richtungsstreit innerhalb der Kirche ganz generell. Die progressive Seite denkt: „Wir stärken die Liebe und verbessern die Gesellschaft, wenn wir das Evangelium und die Lehre der Kirche vom Standpunkt der Gegenwartskultur her in Frage stellen.“ Die traditionsverbundene Seite denkt: „Wir stärken die Liebe und verbessern die Gesellschaft, wenn wir die Gegenwartskultur in Frage stellen, vom Standpunkt des Evangeliums und der Lehre der Kirche aus.“ Zwischen diesen beiden Sichtweisen liegen Welten!


Giuseppe Gracia war von 2011 bis März 2021 Beauftragter für Medien und Kommunikation bzw. Sprecher des Bistums Chur. 

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