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Medien-ABC: L wie Lügenpresse

2014 schaffte es die "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres. Tatsächlich ist die Behauptung bis heute nicht haltbar. Doch ein Körchen Wahrheit lässt auch hier finden.
«Lügenpresse»
Foto: Bernd Wüstneck (dpa-Zentralbild) | Anhänger der AfD demonstrieren in Rostock gegen die deutsche Asylpolitik - und gegen die "Lügenpresse".

14 Tote in Kalkutta. Das solle er als Kurznachricht in das noch freie Feld setzen. Denn das sei ja irgendwie immer wahr, dass Menschen sterben. Auch in Kalkutta. Und Kalkutta sei weit genug entfernt, so dass es dem Leser unmöglich sei, die genauen Hintergründe der Nachricht selbst zu recherchieren. Erich Kästners Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“, in dem diese Begebenheit in einer Zeitungsredaktion ziemlich unprätentiös geschildert wird, erschien vor fast 100 Jahren.

Die Medienwelt hat sich seitdem grundlegend verändert. Radio, Fernsehen, Internet – moderne Publikationsformen erreichen (fast) alle in Lichtgeschwindigkeit. Erich Kästners Kritik an der mangelnden Moral der Medien, die er mit der des Moralisten Fabian kontrastiert, kann retrospektiv als Omen eines heute virulenten Vorwurfs gegenüber der Presse gelten, des Vorwurfs, sie sage nicht die Wahrheit („Lügenpresse“) oder nicht die ganze Wahrheit („Lückenpresse“). Heute wird er erhoben, weil es möglich ist, Meldungen selbst zu recherchieren. Zumindest hat man heute diesen Eindruck.

Medien-ABC: L wie Lügenpresse
Foto: dpa | Im "Medien-ABC" erklärt die Tagespost aktuelle und fundamentale Begriffe aus der Medienwelt.

Ein Beitrag zur Gefährdung der Pressefreiheit

„Lügenpresse“. Ein Wort, dass in den letzten Jahren auch dadurch populär wurde, dass es 2014 in den zweifelhaften Ruhm kam, „Unwort des Jahres“ zu sein. Die Jury der „Sprachkritischen Aktion“ hatte den Begriff „Lügenpresse“ gewählt, weil damit die Medien pauschal diffamiert werden, weil er „gegen sachliche Angemessenheit“ verstoße und damit gar gegen die „Humanität“ gerichtet sei: „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“ Diese Tage ziehen sich bis dato.

Der Vorwurf, dass die Presse lügt, ist in der Tat undifferenziert und überzogen. Er scheitert bereits daran, dass es „die“ Medien ebenso wenig gibt wie „die“ Politik. Er suggeriert eine Einhelligkeit, die nicht vorhanden ist, er geht davon aus, dass weite Teile der Medien nicht einmal mehr prinzipiell unabhängig berichten (daher: „Systempresse“ als Analogon zu „Systemparteien“).

Der Vorwurf richtet sich vor allem gegen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, der zu einem „Staatsfunk“ geworden sei. Das ist sicher nicht so. Öffentlich-Rechtliche Medienanstalten sind dem Gebührenzahler verpflichtet, nicht der Regierung. Und auch sonst gibt es hierzulande großen Spielraum für die Medien. Bereits die Popularisierung des Begriffs – in „alternativen“ Medien – spricht dagegen. Es gibt wohl kaum eine Region der Welt, in der die Presselandschaft so vielfältig ist, in der die Medienschaffenden so frei arbeiten können wie in Deutschland.

Mahnung zur Redlichkeit

Dennoch steckt auch in „Lügenpresse“, vor allem aber in „Lückenpresse“ ein Körnchen Wahrheit. Das hässliche (Un-)Wort ist eine Mahnung an alle Medienschaffenden, das Verhältnis von Nähe und Distanz zu ihrem jeweiligen Auftrag- und Geldgeber kritisch zu betrachten. Es erinnert daran, dass es bei der Einschätzung von Ereignissen und Vorgängen zur Redlichkeit gehört, immer auch den anderen Teil zu hören beziehungsweise zu Wort kommen zu lassen; das Streben nach Wahrheit schließt das Bemühen um weitestgehende Vollständigkeit ein. Und es macht deutlich: „Fake-News“, wie die von den „14 Toten in Kalkutta“, haben – so opportun sie sein mögen – in den Medien nichts zu suchen.

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Josef Bordat Demokratie Erich Kästner Medienkritik Tod und Trauer

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