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Wer ist dieser Markus Söder?

Markus Söder, der starke Mann in Corona-Zeiten, der Mann der mehr oder weniger subtilen Zeichen, der die Grünen erst als nicht koalitionsfähig verdammt um dann herzergreifend um sie zu buhlen – ein politischer Hansdampf, der sich in Szene setzt und dennoch nicht zu fassen ist. Anna Clauß vom SPIEGEL hat eine Biographie veröffentlicht.
Markus Söder  tritt seit Beginn der Pandemie ambitioniert auf.
Foto: Frank Hoermann/SVEN SIMON, imago-images | Markus Söder, Ministerpräsident in Bayern und CSU Vorsitzender, tritt seit Beginn der Pandemie ambitioniert auf. Er weiß sich in Szene zu setzen und damit Eindruck zu machen.

Hat er noch alle Tassen im Schrank? – das fragen sich viele der Kritiker von Markus Söder und dessen strengem Corona-Regiment. Nein, die Tassen stehen auf seinem Schreibtisch in der Münchner Staatskanzlei. Dass Söder für Becher mit Superhelden-Motiven oder Aufdrucken, die auf Lieblingsserien wie „Games of Thrones“, „Star Trek“ und „Star Wars“ verweisen, nicht nur schwärmt, sondern diese auch geschickt als Requisiten der Macht zu nutzen weiß, ist nicht neu: Ende September goss der CSU-Vorsitzende heißen Tee in einen solchen Becher und machte aus einer Parteitagsrede ein Gleichnis.

Schon vorher war die Rede ungewöhnlich, denn Söder war, der Pandemie sei Dank, nur online mit den Delegierten verbunden und wandte sich direkt aus seinem Büro an sie. Um Corona ging es natürlich auch in seiner Rede – aber die ganze Botschaft verdichtete sich eben in dem Satz, der auf dem Thermobecher erschien, nachdem Söder sein warmes Getränk eingefüllt hatte: „Winter is coming.“ Während mancher CSU-Ortsverbandsvorsitzender nun gestutzt haben mag, die Netzgemeinde jubelte, denn sie erkannte sofort das Motto des Hauses Stark, einem Herrschergeschlecht, das in „Games of Thrones“ sein Land verteidigen muss.

 

Die Botschaft war klar: Söder schützt Bayern so wie die Starks, nur eben nicht wie in der Serie vor einer Armee von Untoten, sondern vor dem tödlichen Virus. Der Ministerpräsident erklärte zwar später, er habe nicht gewusst, dass sich die Becher-Aufschrift verändern würde. Aber egal. In dieser Szene verdichtet sich die Eigenschaft, die Söder für die Medien so faszinierend macht und ihn vom restlichen Polit-Personal abhebt. Sein politisches Handeln ist gleichnishaft. Aber es sind nicht irgendwelche Gleichnisse, es sind die neuen Mythen, die Netflix-Narrative. Dahinter verbirgt sich der Anspruch auf Deutungshoheit; es ist der Versuch, den Kampf um die Köpfe der Generation Rezo aufzunehmen. Wie hoffnungslos altmodisch sieht im Vergleich dazu die Karl der Große-Nostalgie eines Armin Laschet aus.

Dass Politiker ihrer Politik einen geistigen Überbau aufsetzen, ist ein altes Phänomen. Helmut Schmidt zitierte fleißig Karl Popper, CSU-Übervater Franz-Josef Strauß hatte stets einen lateinischen Spruch parat. Aber das waren eben nur Worte, Söder inszeniert Bilder. Er gibt sich gar nicht die Mühe, den Anschein zu erwecken, er lese Aristoteles, lieber handelt er wie Luke Skywalker – und ein Kamerateam ist dann immer dabei.

Was treibt Söder an, was glaubt er?

Anna Clauß hat ihrer Söder-Studie den Untertitel „die andere Biographie“ gegeben. Anders ist schon einmal die Autorin. Beim „Spiegel“ ist die Journalistin, Jahrgang 1981, nämlich nicht nur für die CSU, sondern auch für Feminismus zuständig. Anders ist aber auch der Zuschnitt der Buches: Keine chronologische Nacherzählung von Söders Lebensstationen, eher ein Groß-Essay, in dem sie der Frage nachgeht, wie dieser Politiker alles anders macht. Clauß ist davon beeindruckt, wie dieser große Andere der deutschen Politik die Kommunikation mit der Bevölkerung revolutioniert. Auf die wichtigste Frage weiß aber auch sie keine Antwort: Warum ist dieser Markus Söder anders? Was treibt ihn an, was sind seine politischen Grundüberzeugungen, woran glaubt er? Aber gerade darin, dass Clauß diese Leerstelle zum Leitmotiv ihrer Biographie macht, liegt der Erkenntnisgewinn ihrer Untersuchung: Wir wissen nicht, wer Markus Söder ist.

Seine Corona-Maske mit den weiß-blauen Rauten ist sein Superhelden-Cape. Für seine Anhänger ist sie ein Symbol für die Super-Kräfte ihres Ministerpräsidenten. Seine Kritiker sehen in der Maske vor allem die Maske; sie finden es verdächtig, dass er sein Gesicht nicht zeigt. Dabei lächelt er doch so verschmitzt, wenn er seinen Mund-und Nasenschutz abzieht. Egal, für sie bleibt er Batman, der dunkle schwarze Ritter der Politik. Dabei wäre er doch wohl viel lieber der leutselige Superman.

 

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Trotz der vielen Bilder, die Söder für Soziale Medien und das Fernsehen produziert, ist er der Geheimnisvolle. Ist alles nur Spiel? Söder ist ein Team-Player, er braucht die auf ihn eingeschworene Mannschaft hinter sich, als Umsetzer seiner Ideen. Schon morgens um sieben bekommen enge Mitarbeiter von ihm Kurznachrichten zugesandt, eingeleitet nur durch ein „GuMo“, für den vollständigen Morgengruß ist keine Zeit. Denn das politische Spiel ist eben auch ein Spiel mit der Zeit. Schneller, höher weiter – Söder ist ein politischer Leistungssportler, der immer oben auf dem Treppchen stehen will. Im Olymp der Politik spielt er schon seit zwei Jahrzehnten mit, aber die Corona-Krise eröffnete ihm eine ganz neue Bühne, seine Leistungskraft zu zeigen.

Clauß ist sich nicht sicher, ob es Söder vor allem darum geht, dass er die Goldmedaille bekommt oder ob er den Sieg doch für bestimmte politische Ziele erringen will, für die er sich in den Wettkampf stürzt. Söder sei wie ein „Klassenstreber, der sich besonders dann über die Eins im Zeugnis freut, wenn die anderen nur Dreien haben. Bayern geht voran, Bayern handelt stärker, Bayern ist Erster.“ Söder profitiert davon, dass sich auch der Freistaat seit Straußens Zeiten als der Leistungssportler unter den Bundesländern versteht. Die Symbiose zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Land, das gilt in der CSU seit jeher als die höchste Form der Regierungskunst. Lässt sich doch so am besten die Leitaufgabe jeder CSU-Politik lösen: Beute machen für Bayern. Strauß und Stoiber schafften es.

„Im direkten Gespräch mit dem Bürger
ist er seltsam sprachlos, gibt er sich wortkarg“

Aber gerade das Beispiel des Söder-Mentors Edmund Stoiber zeigt auch, wie schnell so ein Liebesverhältnis in Liebeskummer umschlagen kann. Es gilt Maß zu halten. Aber in der Maß ist bei Söder auch bei Bierzeltreden immer nur Cola-Light. Deswegen trinkt der Ministerpräsident auch nie aus Glaskrügen.Die Bier-Illusion will er seinen jubelnden Bayern im Festzelt nicht nehmen. Der Maßkrug ist gewissermaßen das Gegenbild zum „Games of Thrones“-Thermobecher, der Krug suggeriert, dass der Franke etwas wäre, was er nicht ist, über den Becher kommuniziert Söder seine eigentliche Botschaft.

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Funktioniert dieses Spiel auch in Berlin? Dass Söder kein barocker Bayer ist, könnte ihm auf der Bundesebene helfen. Er muss nicht gegen Klischees kämpfen wie die gescheiterten Kanzlerkandidaten Strauß und Stoiber. Aber er ist eben auch nicht der Volkstribun, auf dessen Charisma in der Union nun so viele hoffen. Söder ist kein Menschenfischer. So rhetorisch ausgefeilt seine Auftritte sind – er kann unterhalten –, so perfekt choreographiert Bilder des gelernten Fernsehjournalisten auf der öffentlichen Bühne auch wirken, im direkten Gespräch mit dem Bürger ist er seltsam sprachlos, gibt er sich wortkarg. Nur schnell weiter zum nächsten Bild.

Hoch die Tassen?

Anna Clauß gelingt es, das Bild dieses Meisters der Bilder zu zeichnen. Wer wissen will, was wir über Söder wissen können und was nicht, der muss ihr Buch lesen. Was aber wäre, wenn Söder tatsächlich ins Kanzleramt einzöge, darauf weiß auch sie keine Antwort. Heißt es dann: Hoch die Tassen? Und erscheint, wenn er sich zur Feier des Tages wieder einen heißen Tee eingießt, das Motto des Hauses Stark auf seinem Becher? „Winter is coming.“ Wird das Motto zu seinem persönlichen Memento mori?


Anna Clauß: Söder. Die andere Biographie. Hoffmann und Campe 2021, 175 S., ISBN 978-455-01155-5, EUR 20,-

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