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Antoine de Saint-Exupérys "Wind, Sand und Sterne" neu erschienen

Durch Grenzsituationen zur Bestimmung finden: Antoine de Saint-Exupérys "Wind, Sand und Sterne" ist in neuer Übersetzung erschienen. Eine Wiederentdeckung zur richtigen Zeit.
Antoine de Saint-Exupéry liebte das Fliegen
Foto: dpa | Antoine de Saint-Exupéry liebte das Fliegen. Die Gefahren, denen ihn dieser Beruf auslieferte, wurden für ihn Anlass zum Nachdenken über Sinn, Wahrheit und die Bestimmung des Menschen.

Hier besaß ich gar nichts mehr. Ich war nur ein zwischen Sand und Sternen verirrter Sterblicher, der einzig noch die Wonne fühlte, zu atmen...“ (Saint-Exupéry)

Durch Grenzsituationen zur Bestimmung finden

Albert Camus' Pest erlebt zur Zeit eine Renaissance, wenngleich der Roman vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs spielt und eine Reflexion über den Widerstand der Menschen gegen physische und moralische Zerstörung darstellt, eine Revolte gegen die Sinnlosigkeit der Welt. Dabei hätte das in einer Neuübersetzung erschienene Werk „Wind, Sand und Sterne“ seines französischen Landsmanns Antoine de Saint-Exupéry genauso viel Berechtigung, in der für viele Menschen existenziellen Corona-Krise zum neuerlichen Bestseller zu avancieren, setzt er sich doch anhand selbsterlebter Grenzsituationen mit der Frage nach der Bestimmung des Menschen auseinander.

Antoine de Saint-Exupéry betrieb Schriftstellerei nur nebenbei

Antoine Marie Jean-Baptiste Roger Vicomte de Saint Exupéry wurde (noch ohne Bindestrich im Nachnamen) 1900 in Lyon geboren. Der leidenschaftliche Berufspilot betrieb die Schriftstellerei nur nebenbei, obwohl er schon zu Lebzeiten als Autor sehr bekannt wurde. Den weltweiten Erfolg seines Kleinen Prinzen hat er allerdings nicht mehr erleben können, 1944 stürzte er unter bislang ungeklärten Umständen bei einem Aufklärungsflug vor der südfranzösischen Küste ab.

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Ein existenzielles Schlüsselerlebnis: Verloren in der Sahara

Abgestürzt war er vorher bereits mehrmals. Von 1926–1935 flog er Postflugzeuge über den Atlantik und über die nordafrikanische Wüste, um die es in „Wind, Sand und Sterne“ hauptsächlich geht. 1939 ist das Buch unter dem Titel „Terre des Hommes“ erstmals erschienen. Nach diesem Titel benannte der Schweizer Journalist Edmond Kaiser sein 1960 gegründetes entwicklungspolitisches Kinderhilfswerk.

Zum existenziellen Schlüsselerlebnis wurde 1935 die nächtliche Bruchlandung in der ägyptischen Sahara, die er und sein Mechaniker André Prévot zwar fast unverletzt überstanden, dann aber nach Tagen des Herumirrens auf der Suche nach Hilfe kurz vorm Tod durch Verdursten in letzter Minute von Berbern gerettet wurden. Die Beschreibung dieser Erfahrung gehört zu den eindrücklichsten Passagen des Buches: Das Schwanken zwischen der anfänglichen Euphorie, überlebt zu haben, der Hoffnung auf Rettung durch mögliche Suchflugzeuge oder vorbeiziehende Nomaden und der tiefen Verzweiflung in der Erkenntnis der schwindenden Zeit, die ohne Wasser noch bleibt, Halluzinationen und Luftspiegelungen nicht vorhandener Menschen und Kamele und die dem Wahnsinn nahe Enttäuschung beim Entdecken der wiederholten Vergeblichkeit. Gedanken an die Menschen, die er hinterlassen wird – Frau und Tochter und andere, die um ihn trauern werden – belasten ihn mehr als der zu erwartende Tod. Es gleicht einem Wunder, dass beide Männer nicht aufgeben, dass sie sich gegenseitig am Leben erhalten durch die Gegenwart des anderen.

„Hier gibt es keine Ausflüchte.
Hier gibt es kein Pardon. Wir sind der
Gnade Gottes ausgeliefert“
Antoine de Saint-Exupéry

Saint-Exupéry beklagt sich nicht. Er weiß, dass der Beruf, den er liebt, ein risikoreicher ist, und das Werkzeug, als das er sein Flugzeug begreift, sich mitunter der Kontrolle entzieht. „Hier gibt es keine Ausflüchte. Hier gibt es kein Pardon. Wir sind der Gnade Gottes ausgeliefert.“ Der in der Wüste Verlorene findet Frieden, als er den Verzicht (und den nahenden Tod) akzeptiert: „Wie sollte ich meinerseits vergessen, dass ich bis zum Hals im Sand eingegraben und mit vom Durst langsam abgeschnürter Kehle eine solche Wärme ums Herz unter meinem Umhang aus Sternen fühlte?“

Der libysche Berber, der den beiden Todgeweihten das Leben rettet, erscheint ihm nicht als Individuum, er ist DER MENSCH, der geliebte Bruder, und so wird er ihm von da an in allen anderen Menschen erscheinen.

Nur wer den Sinn erkennt, findet Frieden

Das sind Gedanken und Erfahrungen, wie sie sich auch Abenteurern, Extrembergsteigern und Polarforschern in lebensbedrohlichen Situationen offenbaren können. Der Flieger Saint-Exupéry, der auch über eine gute Portion Abenteuergeist verfügen musste, um seine Pionierarbeit am Beginn des letzten Jahrhunderts leisten zu können, möchte seine Erkenntnisse aus Grenzerlebnissen aber nicht für sich alleine nutzen und fragt sich, wie wir „diese Art von Befreiung in uns begünstigen“ können – wohl wissend, dass es keine allgemeingültige Antwort darauf geben kann. Finanzielle Absicherung kann schöpferische Arbeit ersticken, siegreiche Eroberer verweichlichen, im Nachhinein verklären wir die bösen Erfahrungen, wenn wir sie glücklich überlebt haben. „Was wissen wir überhaupt? Nur dass es unerwartete Umstände gibt, die uns erfinderisch werden lassen. Wo wohnt die Wahrheit des Menschen?“ Wahrheit ist nichts, was sich beweisen lässt. Wenn der Mensch aber eine Berufung in sich spürt, wenn er seine Aufgabe im Leben erkennt, dann gibt er seinem Dasein einen Sinn: „Nur dann werden wir in Frieden leben und in Frieden sterben können, denn was dem Leben einen Sinn gibt, das gibt dem Tod einen Sinn.“

Das Buch ist getragen vom hohen Ethos des Piloten und Schriftstellers – Suche nach dem Sinn des menschlichen Lebens, nach dessen Wahrheit, Verantwortung füreinander, Pflichterfüllung und Ehrlichkeit. Auf diese Werte kann man sich auch und gerade heute besinnen, vielleicht mögen sie helfen in einer Zeit, die wieder einmal aus den Fugen ist.

Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne, aus dem Französischen neu übersetzt von Klaus Völker und Mirko Bonné. Karl Rauch Verlag Düsseldorf 2019, 240 Seiten, EUR 24,–

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