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Die Krux pseudoaktueller Kommentare

Die Krux pseudoaktueller Kommentare: Ein Vortrag von Theodor W. Adorno von 1967 nimmt angeblich rechtsradikale Phänomene vorweg.
Schriftsteller Heinrich Böll, der Soziologie-Professor Theodor W. Adorno und der Verleger Siegfried Unseld
Foto: Manfred Rehm (dpa) | Der Schriftsteller Heinrich Böll, der Soziologie-Professor Theodor W. Adorno und der Verleger Siegfried Unseld (v. l. n. r.) bei einem Vortrag im Mai 1968 in Frankfurt am Main.

Wenn der Suhrkamp-Verlag Theodor W. Adornos Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ aus dem Jahre 1967, der bisher nur als Tondokument vorlag, nach über fünf Jahrzehnten ediert, so muss es hierfür bestimmte Gründe geben. Es dürfte dabei weniger der fünfzigste Todestag des (neben Max Horkheimer) Oberhauptes der sogenannten Frankfurter Schule für die Publikation entscheidend gewesen sein, als vielmehr die Überzeugung, Adorno habe den Aufstieg der AfD vorhergesehen.

Rezipiert man den Text, der aus einer Rede vor sozialistischen Studenten Österreichs in Wien hervorgegangen ist, nimmt man einige Gemeinsamkeiten mit gegenwärtigen Debatten wahr. Dominant sind aber eher die Unterschiede. Weder ist die Rechte der 1960er Jahre ausnahmslos mit der NSDAP auf eine Stufe zu stellen, noch sind die gegenwärtig überall traktierten „rechtspopulistischen“ Erscheinungen mit der damaligen NPD oder deren Vorläuferin, der DRP, zu vergleichen. Dazu sind die zeitgeschichtlich bedingten Hintergründe ihrer Entstehung, ihres Wirkens und ihre Durchschlagskraft zu verschieden.

Für den prominenten Remigranten, der in der Zeit der unangenehmen Tribunale der McCarthy-Ära nach Westdeutschland zurückgekehrt war, war das Programm klar: Es konnte nicht mehr primär um den Zusammenhang von kapitalistischer Wirtschaft und Faschismus gehen. Diesen pauschalen Konnex hatten Erfahrungen im US-Exil widerlegt; vielmehr standen nun die pädagogischen Ziele (Reeducation, Propaganda zugunsten der Westbildung wie Demokratisierung) oben auf der Agenda. Die Bundesrepublik bedurfte eines intellektuellen Neustarts nach den bloß formaldemokratischen Fixierungen des Grundgesetzes 1949. Nichts davon konnte umgesetzt werden, solange die für Adorno noch existierenden gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nicht ausgerottet waren. Schon ein weiter zurückliegender Vortrag über die „Aufarbeitung der Vergangenheit“ widmete sich diesem Thema. Der Schoß sei demnach noch fruchtbar, und wenn neben dieser strukturellen Basis weitere Krisensymptome dazukämen, dann sei mit dem Schlimmsten zu rechnen. 1966/67 zeigte sich in der Tat eine Delle in der Konjunktur, die zu Besorgnis Anlass gab.
Offensichtlichster Beleg für die fortdauernde Faschismusanfälligkeit unseres Landes schien die Existenz der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands zu sein, die 1964 zumindest faktisch als Nachfolgeorganisation der verbotenen Gruppierungen DRP und SRP gegründet wurde.

Die „autoritäre Persönlichkeit“ als Erklärungsansatz

Zu den fragwürdigsten Behauptungen des Vortrages zählt die von der angeblichen Identifikation der Bevölkerung mit dem nationalsozialistischen Regime auch nach dem Zusammenbruch 1945. Hingewiesen wird auf punktuelles Lob Hitlers und seiner Gefolgsleute in Redeweisen wie: „Ohne Krieg und Judenverfolgung wäre der Nationalsozialismus erfolgreich gewesen.“ Weiter wird auf Zeitzeugen aufmerksam gemacht, welche „positive Seiten“ der Diktatur ausmachen wollten, etwa die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder soziale Initiativen wie „Kraft durch Freude“ und das „Winterhilfswerk“. Adorno zieht seine Forschungen heran, um die Phänomene zu erklären. Wesentlich dabei sind seine Gedanken zur „autoritären Persönlichkeit“. Natürlich spielte dieser sozialpsychologische Typus, dem besonders in der Erziehung seinerzeit noch eine gewisse, wenn auch abnehmende Bedeutung zukam, eine Rolle im Hinblick auf Führerhörigkeit. Doch Adorno hat die Umbrüche in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft zu wenig zur Kenntnis genommen. Der Wertewandel war seit Jahren in vollem Gang, man stand an der Schwelle zu weitreichenden Veränderungen. Erste Studentenproteste fanden schon in den frühen 1960er Jahren statt, im Kontext der „Spiegel“-Affäre.

Dennoch verblüffen einige Parallelen: Innerparteiliche Richtungskämpfe zwischen gemäßigteren und radikaleren Kräften erschütterten damals die NPD. Es setzten sich schließlich die Vertreter des radikalen Flügels durch – besonders nachdem die Partei den Einzug in den Bundestag 1969 knapp verfehlt hatte. Somit lässt sich diesbezüglich leicht ein Bogen zur heutigen AfD schlagen, was sich der Verfasser des Nachworts, Volker Weiß, nicht nehmen lässt. Welche Ergebnisse gegenwärtige AfD-Konflikte hervorbringen werden, lässt sich jedoch noch nicht absehen.

„Gegenwärtige rechte und rechtspopulistische Phänomene
lassen sich kaum mit Blick auf die Geschichte erhellen“

Genauer zu betrachten sind auch einige Anmerkungen des Referenten zum damaligen Widerstand der Rechten gegen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, deren Existenz keineswegs als Indiz für das Absterben des Nationalismus zu werten sei! Weiterhin könne die NPD Adorno zufolge aus der Einwanderung von „Gast- und Fremdarbeitern“ Honig saugen. Sicherlich liegt hier ein politischer Vergleichspunkt für das Wirken rechter Kräfte in der unmittelbaren Gegenwart vor. Dennoch sind die Dimensionen zu unterschiedlich, als dass es reichte, mehr als nur oberflächliche Parallelen zu konstatieren. Die EU hat ein ganz anderes Vergemeinschaftungsniveau erreicht als die seinerzeitige EG und EWG. Es schränkt die Nationalstaaten heute vergleichsweise stark ein. Auch der Migrantenanteil ist 2019 ungleich höher. Die Problematik des importierten Antisemitismus war damals noch nicht des Nachdenkens wert. Adorno rechtfertigte den Zuzug noch mit dem Bedarf an Arbeitskräften, gerade im produzierenden Gewerbe. Heutige Probleme wie die Einwanderung in Sozialsysteme kannte er nicht.

Gegenwärtige rechte und rechtspopulistische Phänomene lassen sich kaum mit Blick auf die Geschichte erhellen. Eher noch sind sie als Reaktionserscheinungen zu begreifen: Der Philosoph Günter Rohrmoser hat in seinem heute noch wichtigen Werk „Der Ernstfall“, vor einem Vierteljahrhundert erschienen, auf den „Triumph der Frankfurter Schule“ und nicht zuletzt Adornos verwiesen und ihren Einfluss als Zeitgeistverstärker benannt: Beliebigkeitsliberalismus, internationaler Pazifismus und das Streben nach einer Menschheitsrepublik, heute meist als globale Agenda umschrieben, verdrängten weithin Traditionen, konservative Werte, positives Geschichtsgedächtnis, nationale Interessen und so fort. Der Stuttgarter Gelehrte hat auf das dadurch entstandene Vakuum aufmerksam gemacht. Er wagte die Prophezeiung, dass es unter Umständen von partikular-nationalen Kräften in einer Art Gegenschlag mit omnipräsentem universalen Moralismus gefüllt werde. In den 2010er Jahren hat sich diese Vorhersage bewahrheitet – und nicht nur in Deutschland. Der Erfolg patriotischer Strömungen auf internationaler Ebene in den letzten Jahren ist keineswegs paradox. Genau gesehen verbietet er einen nationalen Alarmismus, wie ihn jetzt einige Adorno-Epigonen mit Bezug auf den Rechtsradikalismus-Vortrag des Meisters verkünden, der hauptsächlich die Situation in Deutschland beleuchtete. Der epochale Umbruch der letzten Zeit, der die Stärkung eigener Interessen exponiert, ist ein weltpolitisches Phänomen und lässt schon von daher weitaus tiefere Wurzeln erkennen.

Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus: Ein Vortrag.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 86 Seiten, ISBN-13: 978-3518587379, EUR 10,–

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