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Christlicher Glaube und Tod: In der Freiheit liegt das Leben

Das Lebensende als Weg zur Freiheit – Warum der christliche Glaube für das Sterben so wichtig ist.
Am Ende des Lebens stärkt die Erinnerung
Foto: Adobe Stock | Am Ende des Lebens stärkt die Erinnerung an die glücklichen Momente die Hoffnung auf das ewige Leben.

Nichts ist so sicher wie der Tod. Und nichts macht so unsicher wie der Tod. Jedenfalls in einer säkularisierten Welt, die mit ihren immanenten Freiheitsvorstellungen vor allem in der letzten Phase des irdischen Lebens an Grenzen stößt, die sie auf sich selbst zurückwirft und eine Ratlosigkeit zu produzieren in der Lage ist, die mit bemerkenswerten Vorstellungen von Autonomie Lösungen auf das unvermeidliche Lebensende anzubieten scheint. Doch ist „Selbstbestimmung“ bis hin zum organisierten Tod wirklich Ausdruck von Freiheit? Ist Auferstehungshoffnung nur etwas frommes Gestriges? Und: Wie könnte eine Brücke geschlagen werden zwischen zeitgenössisch-säkularer Anthropologie und theologischer Wahrheit?

Diesen Fragen geht Maike Maria Domsel ebenso sorgfältig wie wissenschaftlich in ihrer soeben erschienenen Promotionsarbeit nach. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Individualität des Menschen nach dem Tod weitergedacht und Selbstwerdungsprozesse im Sinne des Freiheitsdenkens transzendental vollendet werden könn(t)en.

Dabei geht sie realistisch von der Tatsache aus, dass eine eschatologische Auferstehungshoffnung in der heutigen Lebenswelt wenig bekannt und gelebt wird. Mehr noch: Es herrscht eine mangelnde Offenheit für derartige Fragestellungen. Das alles bedeutet eine unglaubliche Herausforderung für die Verkündigung der Frohen Botschaft, vor allem für die christliche Sterbebegleitung, deren Relevanz sich für viele Menschen erst gar nicht erschließt, wenn die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod unbekannt oder verschüttet ist und die Menschen sich vornehmlich „in ihrer letzten Lebensphase primär auf medizinisch-therapeutische Verfahren fokussieren“.

Domsel fragt: „Wie kann das christliche Proprium von Bedeutung in einer Lebenswelt sein, in der augenscheinlich die Optimierung aller Lebensbereiche sowie eine möglichst sichere Planbarkeit des Lebensendes angestrebt wird, so dass für Auferstehungshoffnung nur noch wenig Raum bleibt?“

Die Autorin hält die Auferstehungshoffnung dennoch für wichtig, denn diese „verleiht dem Leben Sinn und Zukunft. Sie überschreitet nämlich die Grenze des Todes und schenkt dem Menschen mit seiner je individuellen Geschichte Geborgenheit bei Gott“.

Dabei geht sie unter anderem von der These des Bonner Dogmatikers Josef Wohlmuth aus, dass es so etwas wie einen „zeitgenössischen Schrei nach Transzendenz“ gibt, zumal menschliches Dasein weltimmanent nur unzureichend und unbefriedigend beantwortet werden kann. Das drücke sich auch aus in den großen Sinnfragen, die verändert gestellt werden und doch eben dies im Kern ausdrücken: Wo ist mein Platz im Leben? Wo und wie hat mein Leben Sinn? Kann ich ein Leben erreichen und leben jenseits von aller Nützlichkeit? Wie erfahre ich eine Tiefe im Leben, die mich wirklich glücklich werden lässt?

Autonomie ist kein Gegensatz zum Glauben

Die Antworten darauf berühren auch die Begleitung von sterbenden Menschen, die „eine solide systematisch-theologische Grundlage“ brauchen, „um einerseits den Vorgaben des christlichen Glaubens zu entsprechen und um andererseits heute Menschen gut begleiten zu können“. Es geht also darum, „für die Menschen bedeutsame eschatologische Hoffnung auf eine gute nachzeitliche Existenz bei Gott“ zu erschließen. Dabei geht Domsel vom freiheitstheoretischen Ansatz des vor wenigen Jahren verstorbenen Münsteraner Dogmatikers und Fundamentaltheologen Thomas Pröpper aus, den sie als äußerst hilfreich gerade auch in einer säkularisierten und glaubensfernen Welt nachweist. Pröpper „entwickelt in seinen Werken nämlich ein Verständnis von Erlösung, das sich auf das Leben vor dem Tod konzentriert“. Dessen Erkenntnis geht von einem Autonomie- und Freiheitsbewusstsein des neuzeitlichen Menschen aus, das „keineswegs als Gegensatz zum christlichen Glauben verstanden werden“ muss.

Die Autorin schreibt: „Die Rede über die göttliche Offenbarung sei demnach gleichzeitig immer auch Rede über den Menschen und seinen Zugang zum Glauben. Das Befassen mit der göttlichen Heilsgeschichte und dem christlichen Glauben setze eine Offenheit und Ansprechbarkeit des Menschen für Gott voraus... Die Bedeutung der Selbstoffenbarung Gottes für das menschliche Leben und das sich daraus ergebende unbedingte Betroffensein und Angehen für das Individuum seien nur unter Achtung der menschlichen Freiheit zu erfassen.“

Domsel fasst die Theologie Pröppers wie folgt zusammen: „Das Bild eines Gottes, der Liebe und Freiheit schenkt, kann Menschen den christlichen Glauben näherbringen und ihnen im Angesicht des Todes glaubhafte Hoffnung auf Auferstehung vermitteln, denn ein liebender Gott lässt seine Geschöpfe nicht im Tod. So wird der Mensch mit seiner individuellen Freiheitsgeschichte und seinem Bedürfnis nach Liebe (über den Tod hinaus) ernst genommen.“ Dem Menschen werde man „in seiner Existenz als Freiheitswesen“ gebührend gerecht. Für Sterbende und ihre Begleiter bedeute dies, so Pröpper: „Erlöstes Handeln vermittelt Erlösung. Denn Liebe, da sie wesentlich frei ist, kann Wahrheit nur sein, indem sie geschieht. Und Gottes Liebe kann Wahrheit für Menschen nur werden, indem sie in ihre Wirklichkeit eintritt... Nur durch Menschen, die ihr entsprechen, kann Gottes Liebe bei uns ankommen und bleiben.“ Eine Erkenntnis, die dem in einer weltgefangenen Wirklichkeit mit ihrem Gestaltungsimperativ und der Vorstellung selbstbestimmter Totalplanung zur Fundamentalkritik wird. Leben und Sterben sind eben – trotz aller anderslautender Narrative – kein Projekt, über das der Mensch allein verfügen kann. Eine solche „Freiheitskonzeption“ stellt sich mit göttlicher Allmacht und Allwissenheit auf die gleiche Stufe – und befördert eine menschliche Dehumanisierung.

Die gut lesbare, verständlich geschriebene und wissenschaftlich sorgfältig begründete Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass es – gerade aus der Sicht der Frohen Botschaft und in Treue zu ihr – gut und hilfreich sein kann, den Sterbenden „für ein erweitertes Verständnis von Autonomie“ zu sensibilisieren, zumal der Sterbeprozess trotz aller notwendigen und sorgfältigen Vorbereitungen nicht vollends planbar ist.

Nicht den Tod aus dem Leben verbannen

Der Pröppersche Freiheitsbegriff im Zusammendenken von Liebe und Freiheit hilft dabei, aber nicht erst im Sterbeprozess, sondern auch schon im täglichen Leben. Aus dieser Erkenntnis formt sich auch der Titel des Buches: Leben bis zuletzt. Denn: Es geht darum, „das Leben mit Blick auf seinen Endpunkt zu bejahen, sich bewusst zur Freiheit zu entschließen und lebenslang Gebrauch von ihr zu machen“. Maike Maria Domsel greift die Frage von Benedikt Paul Göcke auf „Was gehört zu meinem Leben derart dazu, dass ich darauf auch nach meinem Tode nicht verzichten könnte?“ Sie kommt in ihrem Kapitel „Sterbebegleitung als Weg zur Freiheit in Beziehung“ zu dem Fazit: „Wer dem Tod bewusst ins Auge blickt, lebt ergo nicht am Leben vorbei, indem er sich beispielsweise gesellschaftlichen Diktaten unreflektiert beugt. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit Sterben und Tod hat so eindeutig eine befreiende Wirkung. Ein Mensch, der sich seiner Endlichkeit besonders bewusst ist, lässt sich nämlich weniger von gesellschaftlichen Konventionen versklaven und bevorzugt ein eigenes, freiheitliches Leben.“

Mit Joseph Ratzinger sagt die Autorin, dass der Mensch in der „reflektierten Auseinandersetzung mit Sterben und Tod“ auf die „Grundverfassung seines Seins überhaupt“ stößt und im Vertrauen auf Gottes Liebe sterben kann: „Der Christ stirbt in den Tod Christi hinein – diese überlieferte Formel gewinnt nun einen ganz praktischen Sinn: Die unverfügbare Macht, die allenthalben sein Leben begrenzt, ist nicht eine blinde Naturgesetzlichkeit, sondern eine Liebe, die sich ihm selbst so in die Verfügung gegeben hat, dass sie für ihn und mit ihm gestorben ist“ (Ratzinger). Der Mensch reift also, so Domsel, „in der Annahme seines Todesgeschickes zum wirklichen Leben heran, woraus sich eine untrennbare Verbindung zwischen ars moriendi und ars vivendi ergibt.“ Eine Verbannung des Todes aus dem Leben sei daher „widersinnig“. Der an der Wahrheit orientierte christliche Realismus hingegen, der das memento mori nicht leugnet, ermögliche einem Leben in gefüllter Freude und Hoffnung „mehr Sinn und Tiefe“. Die im Tode keineswegs endende Erlösungsbotschaft hat also letztlich eine große Bedeutung für das Diesseits. Sie macht deutlich, dass der Mensch als Individuum vor dem Nichtsein gerettet wird.

Die Arbeit von Maike Maria Domsel weist nach, dass eine „Auferstehungshoffnung denkmöglich und präzisierbar ist, die sich am zeitgenössischen Individuum orientiert und die Gebrochenheit des menschlichen Lebens nicht leugnet“. Ein mögliches Leben aus dem Wissen der Verbindung von Freiheit und Liebe wird so zum „wohltuenden Gegenpol zum gesellschaftlichen Ideal des Leisten-Müssens, weil sie den Menschen als solchen in den Mittelpunkt rückt und ihn zu würdigen weiß“. Der Sterbeprozess als Weg zur Freiheit in Beziehung fordert die Sterbebegleitung heraus und sollte – im Gegensatz zu menschenverachtenden „Sterbehilfen“ durch „selbstbestimmtes“ (Selbst)Töten vielen Menschen erschlossen werden.

Das vorliegende Buch liefert nicht nur Theologen eine ebenso notwendige wie willkommene Hilfe auf diesen Weg zur verantworteten Freiheit und einer Weitergabe der lebenssicheren Liebe, zu der Sterbende wie Sterbebegleiter gleichermaßen berufen sind.

Maike Maria Domsel: Leben bis zuletzt. Eine freiheitstheoretische Fundierung christlicher Sterbebegleitung.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2019, 214 Seiten, EUR 39,–

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