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Lion Feuchtwanger: Die Flucht formte den Künstler

Wie der Schriftsteller Lion Feuchtwanger den Nationalsozialismus und das Kriegsende erlebte.
Villa Aurora
Foto: Concord/CC-BY-SA-4.0 | Die Villa Aurora auf den Hügeln von Pacific Palisades in Kalifornien bot dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger mit seiner Frau Marta ein Refugium. Heute ist das Haus nahe Los Angeles "deutsches Kulturdenkmal des Exils".

Seit dem Ende der Diktatur der Nationalsozialisten sind 75 Jahre vergangen, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegesund der Befreiung nur weniger Überlebender aus den Tötungsmaschinerien der Konzentrationslager.

Einer, der schon früh scharf analysiert hat, was mit den Juden unter dem heraufziehenden Nationalsozialismus geschehen würde, war der Schriftsteller Lion Feuchtwanger. Er wurde 1884 als Sohn eines jüdischen Fabrikanten in München geboren. Dem streng orthodoxen Elternhaus entfloh er mit Beginn des Studiums in die Münchener Künstlerboheme, wo er mit Schriftstellern wie Frank Wedekind und Heinrich Mann zusammentrifft. Nach Studium und Dissertation über Heinrich Heines Fragment „Der Rabbi von Bacharach“ schlägt er eine verheißungsvolle Laufbahn an der Universität aus und widmet sich fortan der Schriftstellerei. Er schreibt Aufsätze und Theaterkritiken. Bald folgen erste Prosaarbeiten und kleine Dramen.

Zusammen mit seiner Frau Marta unternimmt er ausgedehnte Reisen. In Tunis werden sie vom Ausbruch des Krieges überrascht, Feuchtwanger wird interniert. Ihm gelingt mit Hilfe seiner Frau eine abenteuerliche Flucht, wie sie sich 1940 noch einmal ähnlich wiederholen sollte: aus dem französischen Internierungslager über Spanien und Portugal in die USA. Zurück in Deutschland wird er kurz nach seiner Einberufung aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst befreit. Diese kurze Zeit des Befehlsempfangens reicht aus, um den an humanistischen Idealen geschulten Feuchtwanger zum Pazifisten zu machen. Und auch für seinen Weg als Schriftsteller bewirkt der als sinnlos erkannte Krieg die Wende: „Er hat mir das Geschmäcklerische weggeschliffen, mich von der Überschätzung des Ästhetisch-Formalen, der Nuance, zum Wesenhaften geführt.“ Fortan wird sich Feuchtwanger in seinem Werk der Dialektik von Tat und Kontemplation, Macht und Erkenntnis, Gier und Verzicht in ihren vielen Gesichtern und Ausformungen widmen. Sein Hauptthema wird die Macht und wie sie den Menschen korrumpiert. Nur im bewussten Verzicht auf Machtausübung wird der Mensch frei und zum ethisch verantwortungsvoll Handelnden.

Kritik am Nationalsozialismus und Exil

Mit dem Roman „Jud Süß“ über den Hofjuden und Finanzjongleur Joseph Süß-Oppenheimer am Hofe des württembergischen Herzogs Karl Alexander zur Zeit des 18. Jahrhunderts wendet sich Feuchtwanger 1920 erstmals dem Genre des historischen Romans zu. (Der Titel wurde später durch den unsäglichen Hetzfilm von Veit Harlan schwer belastet.) Es ist der Beginn seines literarischen Weltruhmes als Romancier. Der Autor begibt sich psychologisch auf die Ebene jedes einzelnen Protagonisten und bewirkt dadurch einen hohen Grad an Identifikation und Lebendigkeit. Er bringt in seinen „dramatischen Romanen“ zur Meisterschaft, was einige Jahre später der 14 Jahre jüngere, von ihm entdeckte Bertolt Brecht umgekehrt zum „epischen Theater“ ausbauen sollte. Zwischen beiden entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft und teilweise Zusammenarbeit.

Doch die politische Entwicklung des heraufziehenden Nationalsozialismus lässt Feuchtwanger mit den nächsten Romanen noch einmal in die Gegenwart zurückkehren. In der Wartesaaltrilogie mit den Romanen „Erfolg“ (1930), „Die Geschwister Oppermann“ (1933) und „Exil“ (1940) wird er dezidiert politisch aufklärend. In „Die Geschwister Oppermann“ schildert der Autor am Schicksal der großbürgerlichen jüdischen Familie Oppermann die unmenschlichen, perfiden Methoden der Nationalsozialisten im Umgang mit Juden. Die Figur des zunächst unpolitischen Gustav Oppermann, der aus dem Exil gewandelt zurückkehrt, um gegen den Naziterror zu kämpfen, trägt autobiographische Züge. Gustav wird bei seinen Agitationen festgenommen, in ein Konzentrationslager gesperrt und stirbt kurz darauf an den Folgen der Misshandlungen. Hier wie auch in der Figur des Komponisten Sepp Trautwein in „Exil“ zeigt Feuchtwanger die Entwicklung eines ganz dem Schöngeistigen zugewandten Mannes zum engagierten Künstler und Tatmenschen.

Bei der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 befand sich Feuchtwanger zu seinem Glück gerade auf einer Vortragsreise in den USA. Er konnte in seine Heimat nicht zurückkehren. Seine Villa in Berlin war geplündert, sein Vermögen konfisziert, seine Manuskripte zerstört. Der Doktortitel wurde ihm aberkannt. Im südfranzösischen Sanary-sur-Mer fand er mit seiner Frau einen Zufluchtsort, wie auch eine Anzahl von vertriebenen Künstlern und Intellektuellen, unter ihnen: Alfred Kerr, Heinrich Mann, Arnold Zweig. Ein Leben im Exil nahm seinen Anfang.

„Wer gerne denkt, ist wohl überall allein,
auf dieser Seite des Ozeans und auf der andern“

Hier wurde Feuchtwanger endgültig zum politischen Menschen. Er engagierte sich in antifaschistischen Komitees und Zeitschriften. Und er vollendet die Wartesaal- und die Josephus-Trilogie. Mit der Besetzung Frankreichs durch die Nazis 1940 holte ihn doch noch das Unglück ein. Mit tausenden politischer Flüchtlinge wurde er im Lager Les Milles interniert, dann in einem Zeltlager in Nîmes, aus dem er mit Hilfe seiner Frau und eines amerikanischen Konsularbeamten herausgeschmuggelt werden konnte. Beeindruckend beschreibt Feuchtwanger in „Der Teufel in Frankreich“ die beständige Angst, Hunger, Elend, Krankheiten und die erniedrigenden Lebensumstände während dieser Zeit. Obwohl sich Feuchtwanger in seiner Jugend vom orthodoxen Judentum abwandte, wird später, bestärkt sicher auch durch die antisemitischen Tendenzen und Taten, in seinen Romanen und auch in seinem Selbstverständnis das Judentum zu einer sinnstiftenden Größe. So behandelt er in der Josephus-Trilogie das Schicksal des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus. Auch in „Jud Süß“, „Die Jüdin von Toledo“ und „Jefta und seine Tochter“ geht es vornehmlich um jüdische Schicksale.

Im amerikanischen Exil baut sich Feuchtwanger eine neue Existenz in Pacific Palisades in Kalifornien auf. Auch hier finden viele Exilschriftsteller zusammen: Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Franz Werfel und Alfred Döblin. Er wird zu einem der bekanntesten deutschen Schriftsteller und die „Villa Aurora“ der Eheleute Marta und Lion Feuchtwanger zu einem beliebten Treffpunkt deutscher und amerikanischer Intellektueller.

In seinem Leben und seinen Werken huldigte Lion Feuchtwanger der auf Erkenntnis basierenden Vernunft oder auch der Vernunft, die zur Erkenntnis führt: „Man darf die Kanten nicht brechen wollen, man muss versuchen, zu biegen und zu runden, die Welt und sich.“ (Goya). „Wer gerne denkt, ist wohl überall allein, auf dieser Seite des Ozeans und auf der andern“, schreibt er an seinen Freund Arnold Zweig.

1958 starb Lion Feuchtwanger in Pacific Palisades. Die „Villa Aurora“ dient seit 1995 als Künstlerresidenz und „deutsches Kulturdenkmal des Exils“.

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