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Alexander von Humboldt: Der Weltenhungrige

Naturwissenschaftler und Diplomat, Entdecker und Schriftsteller: Alexander von Humboldt hat die deutsche Kulturgeschichte geprägt wie nur wenige. Am 14. September ist sein 250. Geburtstag.

Der „Humboldt-Pinguin“ trägt seinen Namen ebenso wie eine Meeresströmung im Pazifik und ein Gletscher in Venezuela. Alexander von Humboldt hat Spuren hinterlassen. Zusammen mit seinem älteren Bruder Wilhelm gehört er zu den prägenden Gestalten der deutschen Kulturgeschichte. Vor 250 Jahren, am 14. September 1769, wurde der Naturforscher in Berlin geboren.

Sein Vater war ein Major im Ruhestand, dessen Frau ein enormes Vermögen in die Ehe mitgebracht hatte. Früh schon offenbarte der junge Alexander seine naturwissenschaftlichen Interessen, die in einem literarisch und philologisch dominierten Bildungsumfeld freilich auf kein rechtes Verständnis stießen. Mit gutmütigem Spott sprach man in der Familie vom „kleinen Apotheker“. Humboldt hat den Geisteswissenschaften dennoch niemals gegrollt. Als Student in Göttingen (1789–90) hörte er mit Begeisterung den Altphilologen Christian Gottlob Heyne. Auf seiner großen Lateinamerikareise interessierten ihn nicht nur die Natur, sondern auch die Sprachen der Einheimischen; und als einer der ersten erkannte er den Wert der aztekischen Kulturdenkmäler.

Vom arroganten Banausentum, das moderne Naturwissenschaftler manchmal an den Tag legen, war der Goethe-Freund Humboldt weit entfernt. Der Weimarer rühmte Humboldt: „Er gleicht einem Brunnen mit vielen Röhren, wo man überall nur Gefäße unterzuhalten braucht und wo es immer erquicklich und unerschöpflich entgegenströmt.“

Seine berufliche Laufbahn begann Humboldt 1792 auf Wunsch seiner Mutter (der Vater war früh verstorben) als preußischer Staatsdiener im Bergdepartment. Als Bergbauingenieur konstruierte er unter anderem eine Rettungslampe („Lichterhalter“). Als er ihre Funktionstüchtigkeit in einem von gefährlichen Gasen erfüllten Stollen prüfte, testete er sie so ausgiebig, dass er völlig vergaß, auf seine eigene Sicherheit zu achten. Ohne fremde Hilfe wäre er verloren gewesen. Sein Kommentar dazu nach zwei Tagen Bettlägerigkeit: „[...] ich habe die Lampe beim Erwachen noch brennen sehen. Das war wohl der Ohnmacht werth.“ Risikobereitschaft im Dienste der Wissenschaft sollte ihn sein ganzes Leben lang auszeichnen.

Mutters Reichtum sicherte ihm die Existenz

Der Tod seiner Mutter schenkte Humboldt im November 1796 die lange erhoffte Freiheit. Mit der ihm zustehenden Hälfte des Erbteils war eine Existenz als reisender Privatgelehrter gesichert.

1799 konnte er nach aufwendigen Vorbereitungen seine große Lateinamerikareise antreten. Bis 1804 durchreiste Humboldt das spanische Südamerika, die heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und Kuba. Anschließend verbrachte er mehrere Wochen in den USA, wo ihn Präsident Jefferson im Weißen Haus empfing.

Humboldts zahlreiche Entdeckungen und Beobachtungen auf dieser Reise entziehen sich einer Zusammenfassung. In Bogotá pflegte er intensiven wissenschaftlichen Austausch mit dem katholischen Geistlichen und Botaniker José Celestino Mútis. Am 23. Juni 1802 stellte Humboldt in den Anden bei der versuchten Besteigung des Chimborazo, der damals als höchster Berg der Welt galt, mit 5 882 Metern sogar einen Höhenrekord auf, der mehrere Jahrzehnte lang nicht gebrochen wurde. Und das unter furchtbaren körperlichen Strapazen, die sogar den indianischen Reisebegleitern zu viel waren. Davon erzählt er in seinen Reiseberichten ebenso anschaulich wie von der unangenehmen Begegnung mit einem Jaguar oder seiner kuriosen Methode, Zitteraale zu fangen.

Dabei war der Naturforscher nicht blind für soziale Realitäten. Sein Protest gegen den Sklavenhandel war verdienstvoll und hat zu seinem bis heute andauernden guten Ruf in Südamerika beigetragen. Für diese laut ausgesprochenen humanitären Grundsätze zahlte Humboldt später auch einen Preis: Seine Pläne für eine Indienreise scheiterten an der ausbleibenden Genehmigung aus London. Die British East India Company fürchtete Humboldts zu erwartende Kritik an ihrer Ausbeutungspraxis.

Gelebte Genügsamkeit

Humboldts Reisen und die Publikation seiner Forschungsergebnisse erwiesen sich als kostspielig. Sie und sein Hang zur Großzügigkeit gegenüber anderen verschlangen das ererbte Vermögen (er selbst war relativ bedürfnislos). Deshalb kam es ihm zupass, dass er als ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ab 1805 eine stattliche Jahrespension erhielt, ohne dass damit irgendwelche Lehrverpflichtungen verbunden gewesen wären. Seine Russlandreise von 1829 unternahm Humboldt auch aus Kostengründen nicht als Privatgelehrter, sondern als Gast der russischen Regierung, was freilich seine Bewegungsfreiheit massiv einschränkte. Ein Reisebegleiter schildert den Sechzigjährigen so: „Wir haben ihn selbst auf der Reise, im Wagen, nie anders als in dunkelbraunem oder schwarzen Frack, mit weißer Halsbinde und rundem Hute gesehen.“

Mit Ende fünfzig begann Humboldt „die wichtigste literarische Arbeit meines Lebens“: den „Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“, eine fünfbändige Gesamtdarstellung. Er fand Erfüllung im „alten Bund des Naturwissens mit der Poesie und dem Kunstgefühl“ und seinem Bemühen, den Wissensstoff seiner Epoche einem großen Publikum in schriftstellerisch perfekter Darstellung zu vermitteln. Der „Kosmos“ war sein letztes großes Projekt, das unter anderem durch gelegentliche diplomatische Reisen im Auftrag des preußischen Königs unterbrochen wurde. Nicht nur mit seinen Büchern suchte Humboldt das Licht der Öffentlichkeit. Seine „Kosmos-Vorlesungen“ in der Berliner Singakademie zogen 1827 und 1828 ein breites Publikum an.

Humboldts Arbeitskraft war legendär. Da der zeitlebens Unverheiratete mit vier Stunden Schlaf auskam, war das Fenster seines Arbeitszimmers in der Regel noch nachts um drei Uhr hell erleuchtet. Die späte Arbeitszeit war freilich auch den vielen Besuchern geschuldet, die ihn tagsüber aufsuchten. Humboldt verglich sein Zuhause aufgrund dieses Andrangs humorvoll mit „einem Brandweinladen“.

Im Dienst der Forschung bis zuletzt

Im März 1859 publizierte der auf die neunzig zugehende Forscher in der Presse einen Brandbrief, in dem er seine Mitwelt bat, ihm „Ruhe und Muße“ für seine eigenen Arbeiten zu lassen. Die Beantwortung der jährlich bis zu 2.000 an ihn gerichteten Postsendungen war ihm zuletzt über den Kopf gewachsen. Noch im April arbeitete er am letzten „Kosmos“-Band. Danach versagten seine Kräfte.

Der Tod war für Humboldt kein Schrecken. In Schillers Zeitschrift „Die Horen“ veröffentlichte er 1795 die Allegorie „Der Rhodische Genius“, in der er gleichnishaft schildert, wie die Lebenskraft die irdischen Elemente in ihrer Freiheit einschränkt und der Tod sie wieder befreit: „Nun treten die irdischen Stoffe in ihre Rechte ein. Der Fesseln entbunden, folgen sie wild nach langer Entbehrung ihren geselligen Trieben; der Tag des Todes wird ihnen ein bräutlicher Tag.“ Am 6. Mai 1859 brach der „bräutliche Tag“ für die Elemente heran, die seinen Leib gebildet hatten. Alexander von Humboldt starb in Berlin; fünf Tage später wurde er im Schlosspark von Tegel beigesetzt. Ein großes Leben im Dienste der Naturwissenschaft war zu Ende gegangen. Seine Wirkung ist es bis heute nicht.

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