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Johann Georg Hamann: Verteidiger des Glaubens

Johann Georg Hamann setzte seiner Zeit der Aufklärung die Lehre vom personalen Gott entgegen.
Hamann sah die Grundlagen der Bildung in der Sprache
Foto: IN | Hamann sah die Grundlagen der Bildung in der Sprache, nicht in der Vernunft. Hier ein Stich Hamanns aus Lavaters Physiognomischen Fragmenten.

Der in Königsberg geborene Schriftsteller und Zöllner Johann Georg Hamann (1730–1788) war auf eine heute fremd gewordene Weise ein Christ, wie er selten einmal vorkommt: ein Christ, der den Glauben in größter Ernsthaftigkeit verteidigt. Ein lateinamerikanischer Philosoph von hohem Rang, der Katholik Nicolás Gómez Dávila, hat über Hamann einmal gesagt: „Die Geschichte des Christentums beginnt aufs neue mit dem ersten europäischen Bekehrten seit 1 700 Jahren eines hergebrachten Christentums – mit der Bekehrung Hamanns.“ Hamann wurde somit von Don Nicolás als ein Mensch von geschichtlicher Bedeutung empfunden, als jemand, der in allem Ernst sich zum Christentum bekannte, wie es lange nicht mehr geschehen war. Dass ausgerechnet ein Katholik wie Gómez Dávila zu dieser Einschätzung gelangte, muss umso mehr verwundern, als Hamann mit einem selbst schon althergebrachten, deshalb aber nicht falschen Urteil oft eng mit Martin Luther verbunden wurde.

„Die Geschichte des Christentums beginnt aufs neue
mit dem ersten europäischen Bekehrten
seit 1 700 Jahren eines hergebrachten Christentums.“
Nicolás Gómez Dávila

So hieß es bereits 1816 in der Einleitung einer Luther-Anthologie, die zugleich auch Hamann-Texte abdruckte: „Unter allen Deutschen, die seit Luther gewesen sind, ist vielleicht keiner demselben ähnlicher an Sinn und Rede als Johann Georg Hamann.“

Warum Hamann in der protestantischen Welt des 19. Jahrhunderts, zu der auch der Däne Sören Kierkegaard gehörte, Resonanz fand, ist leicht zu verstehen. Denn hier fügte er sich in die heftigen Diskussionen um das Selbstverständnis von Theologie und Kirche im Widerstreit von Aufklärung, Orthodoxie und Erweckung. Und aus diesem Geiste heraus las ein Prediger wie Julius Disselhoff, Schüler des Aufklärungskritikers August Tholuck, Hamann als „Wegweiser“ zu einem erneuerten Christentum und als dessen mannhaften Vertreter. Schwerer zu verstehen mag es sein, dass es auch unter Katholiken ein nicht gering zu schätzendes Interesse am „Magus in Norden“ gab.

Johann Georg Hamann: Wegweiser zu einem erneuerten Christentum

Der österreichische Dichter und getaufte Katholik Franz Grillparzer ist an erster Stelle zu nennen. Dieser besaß eine vollständige Hamann-Ausgabe, die er auch gründlich studierte. Von der Magie der Sprache bezaubert, war Grillparzer sich mit Hamann und Herder einig, wenn sie in der Sprache und nicht einer angeblich „reinen Vernunft“ die Grundlagen aller Bildung erkannten. Hamann diente Grillparzer aber auch als Spiegel, in dem er sich selbst betrachten konnte. Die Hamann'sche „Höllenfahrt der Selbsterkenntnis“ kann Grillparzer nicht fremd gewesen sein, wie er sich auch in Rousseaus Bekenntnissen wiedererkannte.

Bemerkenswerter als Würdigung Hamanns ist jene, welche ihm der Dichter des „Taugenichts“, Joseph von Eichendorff, widmete. Sie findet sich in seinem 1851 in Paderborn erschienenen Werk Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum. Für Eichendorff steht Hamann für „den merkwürdigen Kampf des Pietismus mit einer Faust'schen Natur: einen ungestümen Glaubensdrang bei ebenso ungestümer Sinnlichkeit und einen brennenden Durst nach Erkenntnis, gegen die sich jenes religiöse Gefühl beständig sträubt“. Eichendorff unterscheidet den Glauben Hamanns von dem eines Matthias Claudius, zu dessen wahrhafter Frömmigkeit jener nie gelangt sei. Hamann habe letztlich die widerstreitenden Haltungen von Glauben und Wissen, von Verstand und Gefühl, Einsicht und Tat nicht vermitteln können, so dass er „elend bis an sein Ende“ geblieben sei und „bitter, hart und gehässig gegen Freund und Feind“. Der Katholik Eichendorff stößt sich am Ungeordneten und Unordentlichen von Hamanns Leben, wozu er ausdrücklich dessen Gewissensehe zählt, die von ständigen Gewissensbissen begleitet gewesen sei. In der fehlenden Vermittlung der Gegensätze sieht Eichendorff auch „das dunkel Abgerissene“ und das „Fragmentarische in Gedanken und Stil“ begründet, um schließlich seine Summe Hamanns in eine bilderreiche Vision zu kleiden: „Alles wie eine schwüle prächtige Nacht, wo zwischen wild vorüberfliegenden Wolkengebilden immerfort die ewigen Sterne hindurchblitzen und ein fernes Wetterleuchten oft plötzlich zugleich den Himmel auftut und alle geheimnisvollen Abgründe der Seele.“

"Hamann habe letztlich die widerstreitenden Haltungen
von Glauben und Wissen, von Verstand und Gefühl,
Einsicht und Tat nicht vermitteln können,
so dass er 'elend bis an sein Ende' geblieben sei
und 'bitter, hart und gehässig gegen Freund und Feind'."

Eichendorff romantisiert Hamann in eindrucksvoller Weise, auch wenn er seine moralischen Bedenken über dessen Lebensführung nicht verschweigt. Als letztes Bild bleibt aber nicht das Elende und Gehässige stehen, das Eichendorff an Hamann wahrnahm, sondern das Erleuchtende oder zumindest Aufblitzende an ihm, das den Blick in zwei Richtungen – nach außen bis in den Himmel, nach innen in die seelischen Abgründe des Ich – freigibt. Eichendorff markiert aber für lange Zeit, wie es scheint, das Ende eines spezifisch katholischen Interesses an Hamann – auch Gómez Dávila bleibt ein Einzelgänger und Ernst Jünger, der sich seit den 1920er Jahren immer wieder mit Hamann beschäftigte, konvertierte erst spät.

Er hielt an der Erlösungsbedürftigkeit fest

Gustav Poel schreibt in einem frühen Buch über Hamann, „dass unter seinen Zeitgenossen neben dem lutherischen Claudius in Wandsbeck vielleicht die katholische Fürstin Gallitzin in Münster, die Reformirten Lavater in Zürich und der Superintendent de Marées in Dessau es gewesen sind, mit denen Hamann, was Verständnis christlichen Seyns und Wesens betrifft, sich in der innerlichsten Seelengemeinschaft befunden hat“. Hier zählte also das Grundsätzliche, das über die einzelnen Konfessionen hinausgehende Element des Glaubens – eines Glaubens, der Gott weiterhin grundsätzlich als personal verstand. Dieses christliche Verständnis Gottes als Person war aber seit jener Zeit im Ausgang des 18. Jahrhunderts nie wieder unumstritten in Geltung. Schon Friedrich Heinrich Jacobis eigene, immer noch personale Gottesvorstellung unterschied sich essenziell von der christlichen, wie sie Hamann im vollen Bewusstsein der Sündhaftigkeit des Menschen verkörperte. So sehr daher Hamann und Jacobi in der Kritik des als Atheisten interpretierten Spinoza eines Sinnes waren, so sehr unterschied sich doch der Punkt, von dem aus diese Kritik erfolgte. Nur Hamann – nicht aber Jacobi – hält unbeirrbar daran fest, dass die Erlösungbedürftigkeit des Menschen eine moralische Tatsache ist – und deshalb auch eine praktische, nicht nur eine theoretisch-philosophische Antwort erfordert.

Der Text basiert teilweise auf Passagen des jüngst erschienenen Buches von Till Kinzel: Johann Georg Hamann. Zu Leben und Werk. Karolinger Verlag 2019, 205 Seiten, EUR 22,–

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