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Kathedrale von Pozzuoli: Von einer Frau gestaltet

Wo Kreuz und Majolikakuppel antike Säulen überragen: Die Kathedrale von Pozzuoli.
„Der heilige Januarius“ im Amphitheater von Pozzuoli
Foto: I. Lange | Vor der Glorie kommt das Leiden: Dies erkennt man auf Artemisia Gentileschis „Der heilige Januarius“ im Amphitheater von Pozzuoli.

Pozzuoli, ein Vorort Neapels, war immer eine Reise wert: Zuerst, vor mehr als zweitausend Jahren, kamen Griechen auf der Flucht vor der Tyrannei, dann Römer und mit ihnen das Wirtschaftswunder. Denn bis zum Bau großer Hafenbecken in Ostia Antica war Pozzuoli der bedeutendste Hafen für das mehr als 200 Kilometer entfernte Rom. Hier gingen Cäsar und Kleopatra an und von Bord, hier legten die Schiffe an, mit denen Luxusgüter und Getreide, die Kulte der Sonnenanbeter und der Isis, Tyrer, Griechen, Juden, Äthiopier, Nabatäer sowie der Apostel Paulus (Apostelgeschichte 28, 13-14) Europa erreichten. Als Paulus als römischer Gefangener kam, wohl um das Jahr 61, hieß die Stadt noch Puteoli. Da war Ostia Antica schon erweitert, aber noch immer erwog man den Bau eines Kanales nach Rom. Die Geschäfte der Reedereien, Banken und Seeversicherungen blühten, Pozzuoli verband Rom nicht allein mit einer Nahrungsgrundlage des Reiches, mit dem Getreide aus Ägypten, sondern auch mit den Häfen in Gallien, Hispanien, Nordafrika, in Kleinasien und jenen griechischer Inseln. Heute schwerlich vorstellbar, wie sich vor den Magazinen dutzende Laufkräne drehten und welcher Trubel im Hafenviertel herrschte, im Matrosenparadies, in dem die Fiedel nie verstummte, den ganzen Tag lang getanzt wurde und die Bäume statt der Blätter Branntweinflaschen trugen.

Vulkanische Quellen und Schwefeldampf

Jene, die jedoch als Herrscher, in Geschäften oder wegen ihres Handwerks kamen und ihren Glauben bewahrt sehen wollten, gründeten Tempel: Griechen und Römer auf Rione Terra, einem Felsen über dem Hafen, Ägypter am Macellum, dem römischen Markt, den die Ausgräber deshalb lange Zeit nach der dort aufgefundenen Skulptur einer ägyptischen Gottheit Serapion nannten. Drei erhaltene Säulen dieser Markthalle zeigen ein fast drei Meter breites Band aus Löchern, die sogenannte Bohrmuscheln hinterließen. Sie versanken also früher im Meer. Denn die Stadt und ihre Umgebung, die Phlegräischen Felder (Campi Flegrei, Brennende Felder), liegen über einer gewaltigen Magmablase: Unruhiger, schwankender Untergrund, der sich zum Beispiel in den achtziger Jahren mit den darauf stehenden Kaianlagen und Gebäuden um nahezu zwei Meter hob. Eine willkommene Erscheinung waren hingegen die seit der Antike zum Baden genutzten vulkanischen Quellen sowie ihre Dämpfe, die wie das Wasser als heilsam galten.

Ein neuer Dom mit barocken Bildern

Wer heute als Badegast käme, der würde freilich enttäuscht – die Küste Kampaniens ist weithin nicht so beschaffen, wie viele Urlauber es ersehnen. Stattdessen findet reichlich, wer Schönheit, Geschichte und Kultur sucht. Zum Beispiel auf Rione Terra, wo seit dem fünften Jahrhundert mehrmals – nachdem die Bewegungen des Bodens, Erdbeben und Brände sie bis in unsere Zeit immer wieder zerstörten – christliche Kirchen entstanden. Zum letzten Mal vor sieben Jahren, als ein weltweit einzigartiger Dom geweiht wurde: die Kathedrale von Pozzuoli oder Basilica di San Procolo Martire. Ihre Besonderheit besteht nunmehr in der Zusammenfügung von Säulen des früheren Augustustempels mit einem christlichen Kirchenschiff. Diese Chorgesänge der Architektur zu sehen, die vom Kreuz und einer mit Majolikaziegeln gedeckten Kuppel überragt werden, wäre allein Grund genug für einen Besuch – zumal man jederzeit mit der Metro von Neapel nach Pozzuoli fahren kann. Wer dann aus dem antiken Tempelbereich tiefer in das Kirchenschiff hineingeht, den erwartet ein barocker Bilderschmuck, den er dort nicht vermutet haben mag.

Ein früheres Triptychon

Insbesondere drei der Gemälde, ursprünglich als Triptychon über dem Altar angebracht und wohl zwischen 1536 und 1538 entstanden, fesseln durch ihre eigenwillige Gestaltung: Zum einen der heilige Proculus von Pozzuoli und seine Mutter Nicea – es ist zumindest ungewöhnlich, dass ein Heiliger gemeinsam mit seiner Mutter dargestellt wurde, wenngleich sie einer Legende zufolge ebenfalls das Martyrium erlitt –, zum anderen eine sogenannte Anbetung der heiligen drei Könige sowie der heilige Januarius (italienisch San Gennaro) auf seinem letzten Weg. (Derzeit hängt in der Kathedrale eine Kopie. Das soeben aus London zurückgekehrte Original wird nebenan im Museum der Diözese ausgestellt.)

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Im Hinblick auf die Anbetung ist bisweilen ein Missverhältnis beklagt worden: Die Könige sind deutlich größer als die Heilige Jungfrau und ihr Kind. Mit Verlaub, das ist keine Weihnachtskarte, sondern von einem leidenden Menschen gemalt worden, von einer Mutter, die von fünf Kindern vier verloren hat: Artemisia Gentileschi (1593-1654?). Die nicht allein religiöse Innigkeit, mit der einer der Könige die Füße des kleinen Erlösers fasst, empfand gewiss auch die Malerin und bewog sie, diesem Gefühl über die Sendboten im Vordergrund mehr Raum zu geben.

Eine nicht übermäßig gottesfürchtige Künstlerin

Dergleichen mag schwer verständlich sein für manchen heutigen Betrachter, der sich zum Beispiel über die Tötung von Küken entsetzt, aber Abtreibung selbst nach Monaten der Schwangerschaft für ein Menschenrecht hält. Überdies drängt sich nun die Frage auf, wer die Malerin – sie war immerhin die erste Frau, die das Innere einer Kirche gestaltete – mit dem Auftrag für ein Triptychon von insgesamt 18 Quadratmetern bedachte. Es war Martín de León y Cárdenas (1584 – 1655), Bischof von Pozzuoli und späterhin Erzbischof von Palermo, ein weit gereister Geistlicher – die Beschreibung seiner Reisen in Amerika ist gerade, vier Jahrhunderte nachdem die Tinte trocknete, von einem spanischen Verlag veröffentlicht worden. Bischof León y Cárdenas hat viel für Pozzuoli und seine Gemeinde getan und erkannte in der für ihren nicht übermäßig gottesfürchtigen Lebenswandel bekannten Artemisia Gentileschi eine bedeutende Künstlerin sowie einen Gewinn für das Werk der Kirche. Ein im 17. Jahrhundert geschaffenes Standbild dieses Mannes, der so gar nicht dem Bild glich, das bisweilen von Geistlichen jener Zeit gezeichnet wird, ist heute das einzige Denkmal eines Sterblichen im Zentrum der Stadt.

Junarius: Schutzheilger Neapels

Artemisia Gentileschis drittes Gemälde, ursprünglich das Altarbild, stellt den heiligen Januarius dar, Bischof von Benevent und nunmehr Schutzheiliger Neapels. Vor ihm werfen sich die wilden Tiere nieder, die ihn eigentlich im Amphitheater von Pozzuoli zerreißen sollten. Das könnte während der Zeit um 305 und der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian geschehen sein. Der Heilige wird von sechs weiteren Märtyrern – darunter Proculus, der Namenspatron der Kathedrale – auf dem Weg zur Enthauptung begleitet, und man mag es mir nachsehen: Von den vielen Gemälden der Artemisia Gentileschi ist mir dieses das liebste. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen des heiligen Januarius blickt dieser nicht ergeben himmelwärts, scheint nicht erleuchtet oder verklärt, sondern ist schlicht ein gequälter, erschöpfter Mann, der wohl lieber sogleich vor seinen Schöpfer treten würde. Das hat jemand gemalt, der sich mit Leid und Schwäche auskannte. Die Geste, von der vermutet wurde, Januarius segne die Tiere, erscheint eher ein wenig hilflos und für die umstehenden Glaubensbrüder bestimmt, die – wie der im linken Vordergrund kniende Proculus – sein Schicksal teilen werden. Das hat nun wahrhaftig niemand gemalt, der Männer hasste, wie Feministinnen es zuweilen von der Malerin behaupten, die in ihrer Jugend vergewaltigt wurde und danach einen Jahre währenden Prozess führen musste, der eine einzige Folter war. Nein, Artemisia Gentileschi konnte späterhin noch leidenschaftlich lieben, doch das Leid gequälter Menschen war ihr niemals mehr fremd.

Dort wo Pergolesi „Stabat Mater“ komponierte

Wir gehen hinaus und sehen ein wunderbares Bild: der Golf von Pozzuoli im Licht des Südens. Dort drüben, am Kap Misenum der Antike, stand im Jahr 79 Plinius der Ältere, Admiral der römischen Flotte und einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Er sah den furchtbaren Ausbruch des Vesuvs, der Pompeji und Herculaneum begrub und ist darauf mit der Besatzung einer Kriegsgaleere aufgebrochen, um Menschen zu retten. Es war seine letzte Fahrt.

Zur Rechten, auf einem Hügel über der Stadt, hat der sterbende Giambattista Pergolesi im Kloster San Francesco d'Assisi das Stabat Mater komponiert. Etwas darüber, an der Solfatara, zeichnete Goethe die von vulkanischen Schwaden durchzogene Landschaft, und unter uns liegt das Betonskelett von Vincenzo a Mare, zuvor ein verlassenes Kapuzinerkloster, in dem die Camorrabosse Neapels prassten, einander küssten und dann ihrem Oberhaupt Cuoca eine Sattlernadel ins Herz stechen ließen. Norman Lewis, der wegen der hervorragenden Fischgerichte stets von Neapel herüberkam, hat es aufgeschrieben. Pozzuoli war eben immer eine Reise wert.

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