Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Würzburg

„Enfant Terrible“: Mit Filmen statt Bomben zum Umsturz gelangen

Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder wollte die gesellschaftliche Revolution. Ein neuer Film stellt den Künstler nun vor.
Szenenbild aus "Enfant Terrible"
Foto: Bavaria | Oliver Masucci verkörpert in dem biographischen Film "Enfant Terrible" den jungen Wilden Rainer W. Fassbinder.

Der Kinostart (1.10.) des Spielfilms „Enfant Terrible“ von Oskar Roehler mit Oliver Masucci in der Hauptrolle über den deutschen Regisseur Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) bietet Gelegenheit, sich mit einem der Filmemacher zu beschäftigen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den deutschen Film mitgeprägt haben. Denn der am 31. Mai 1945 im bayrischen Bad Wörishofen geborene Fassbinder gehörte zusammen mit Volker Schlöndorff, Margarete von Trotta, Alexander Kluge, Wim Wenders und Werner Herzog zu den „jungen Wilden“, die in den 1960er und 1970er einen ganz neuen Filmstil prägten, der unter der Bezeichnung „Neuer Deutscher Film“ in die Geschichte eingegangen ist. Zum Selbstverständnis eines Fassbinder gehört die von den „Achtundsechzigern“ geprägte politisch-gesellschaftskritische Haltung.

Lesen Sie auch:

Eine Abrechnung mit der Ära Adenauer

Dies hat er zwar mit den genannten Filmemachern gemein – Schlöndorff und von Trotta zählten zeitweilig zu den „Sympathisanten“ der RAF – aber bei dem am 10. Juni 1982 an einer Überdosis Drogen gestorbenen Fassbinder nimmt dies einen radikaleren Zug ein. „Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme“, sagte etwa der Regisseur 1979. Die Absicht, mit seinen Filmen eine gesellschaftliche Revolution durch die Gesellschaftskritik erreichen zu wollen, tritt insbesondere in seiner „BRD-Trilogie“ „Die Ehe der Maria Braun“, „Die Sehnsucht der Veronica Voss“ und „Lola“ zutage, die er von 1978 bis 1982 drehte. Sie stellen eine regelrechte Abrechnung mit der „Adenauer-Ära“ dar. Darin kritisiert er „das Fortleben des Faschismus“. Seine Mittel: Die überaus scharfe Kritik der Amerikanisierung und der Korruption in der jungen Bundesrepublik. Fassbinder habe die Gesellschaft für das Elend seiner Figuren verantwortlich gemacht, so Roehler.

„Die Ehe ist verlogen und destruktiv –
darüber gehen alle meinen Filme.“

Zu Fassbinders Schelte der bürgerlichen Gesellschaft gehört auch die Aburteilung der „bürgerlichen Moral“. So erzählt „Angst essen Seele auf“ (1974) eine von der „gesellschaftlichen Norm“ abweichende Liebesgeschichte zwischen einer 60-jährigen verwitweten Putzfrau und einem gut zwanzig Jahre jüngeren Gastarbeiter. Stärker als in der Ablehnung, die dem Paar durch Nachbarn, Kollegen und der eigenen Familie entgegengebracht wird, äußert sich die Kritik in der scheinheiligen Akzeptanz, die sie später doch noch erfährt – weil sie lediglich den eigenen Interessen der „Toleranten“ gehorcht. In dem Zusammenhang ist es ebenfalls der Satz bezeichnend, den Oskar Roehler in Fassbinders Mund legt: „Die Ehe ist verlogen und destruktiv – darüber gehen alle meinen Filme.“ Denn darin spiegeln sich Fassbinders eigene Obsessionen wider.

Viel ist von Fassbinders „Bisexualität“ gesprochen worden. So tritt in seinem Film „In einem Jahr mit 13 Monden“ (1978) ein Transsexueller auf. Roehlers Film „Enfant Terrible“ thematisiert Fassbinders Beziehung zu El Hedi ben Salem ausgiebig, der Fassbinder von Paris nach Deutschland folgte, und der ein bekannter Schauspieler in seinem „Clan“ wurde. Zu diesem gehörten allerdings vorwiegend Frauen, allen voran Hanna Schygulla, die er zu einem Star macht, Irm Herrmann, die der Regisseur immer wieder gedemütigt, und Ingrid Caven, mit der Fassbinder zwei Jahre lang verheiratet ist. Dass Rainer Werner Fassbinder das Kino in der Bundesrepublik mitrevolutioniert hat, steht außer Frage. Persönlich war er jedoch alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse.

Kalte Macht: Alle waren von ihm abhängig

Dazu noch einmal Oskar Roehler: „Auf der anderen Seite hatte er seine eigenen Konflikte mit der Moral, wie er sich anderen Leuten gegenüber verhält. Und auch seine oft persönliche Kälte, die er Leuten entgegenbringen konnte. Wobei er natürlich auch einen enormen Machtvorteil hatte. Die waren alle von ihm anhängig. Er konnte mit Liebe oder Gleichgültigkeit, mit Wärme oder mit Kälte belohnen oder bestrafen, sich geradezu ein Bestrafungssystem aufbauen und quasi so eine Art Gefühlsdiktator werden. Er hat sich so in eine psychologische Schlüsselposition begeben, natürlich aber auch dank seines Talents. Er hat das schließlich alles geschrieben. Er war der Motor. Das hat aus ihm sicherlich keinen Heiligen gemacht.“

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
José García Alexander Kluge Gesellschaftskritik Oskar Roehler Rainer Werner Fassbinder Schauspieler Volker Schlöndorff Werner Herzog Wim Wenders

Weitere Artikel

Volker Schlöndorff erhält als „Meister seines Fachs“ den Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises 2023.
10.05.2023, 18 Uhr
José García

Kirche

Die Heilsquelle der Christen betrachten: Das Kreuz steht im Mittelpunkt authentischer Kirchenreformen.
28.03.2024, 21 Uhr
Regina Einig