Vor einer Woche ist der Film „Cuties“ („Die Süßen“) - im französischen Original heißt er „Mignonnes“ – auch in Deutschland auf dem Streamingdienst Netflix angelaufen. Was für die einen hohe Kunst ist, sorgt bei den anderen für helle Empörung. Schließlich sind darin Szenen zu sehen, in denen elfjährige Mädchen lasziv tanzen und in deutlichen Posen den Geschlechtsakt simulieren.
Regisseurin will Hypersexualisierung heranwachsender Mädchen anprangern
Ist ein solcher Film tatsächlich preiswürdig? Im Januar 2020 erhielt seine Regisseurin, die senegalesisch-stämmige Maïmouna Doucouré, auf dem Sundance Film Festival immerhin die Auszeichnung „Directing Award“, bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin 2020 wurde er in der Kategorie des „Besten Films in der Sektion Generation Kplus“ nominiert. Doucouré gehe es bei ihrem Werk darum, so betont sie in ihren Stellungnahmen, die „Hypersexualisierung“ heranwachsender Mädchen in unserer Zeit anzuprangern.
Eine Aussage, die Rod Dreher ihr im Magazin The American Conservative jedoch nicht abnimmt, sie „sollte nicht ernst genommen werden“, schreibt er: „Die Filmemacherin kann ja sagen, dass sie dies so beabsichtigt, doch wenn sie ehrlich ist, belügt sie sich selbst“. Dreher schildert eine Szene, in der die Protagonistin, das Mädchen Amy, vier anderen elfjährigen „Cuties“ zuhört, wie diese kichernd einen Pornoclip beschreiben und kommentieren, den sie sich gerade auf dem Smartphone ansehen.
Dreher kritisiert: Schauspielerinnen sind noch Kinder
Die Kinder mussten diese Dialoge auswendig lernen und vor der Kamera wiedergeben, kritisiert der Autor der „Benedikt-Option“: Sie hätten zudem lernen müssen, „ihren Schritt zu streicheln, mit den Hüften zu wackeln, ihre Finger suggestiv in den Mund zu stecken und sich wie - einen Geschlechtsverkehr imitierende - Stripperinnen zu bewegen“. Doch die Schauspieler sind noch Kinder: „Nur, damit sie ihre Rollen spielen, mussten sie sich ihre Unschuld von der Filmemacherin nehmen lassen - zweifellos mit Einwilligung ihrer Eltern. Man kann sich kaum Väter und Mütter vorstellen, die es zulassen, dass ihre kleinen Mädchen auf diese Weise ausgenutzt werden, doch die Leute tun ja für den Ruhm alles“.
Dreher argumentiert, dass die „Absicht“ der Regisseurin, auch wenn sie edel sein sollte, nicht verhindere, „dass diese Kinder – wenn sie diese Rollen spielen – schmutzige Dinge sagen (und sich diese Dinge bildlich vorstellen mussten, die das Drehbuch ihnen vorgab) und für die Kamera mit ihrem Körper schmutzige Dinge tun mussten“. Dreher meint: „Die Erotisierung von Kindern – von Mädchen und Jungen – durch unsere pornographische Kultur, das Internet und die Allgegenwart von Smartphones -, die deshalb geschieht, weil wir als Kultur zu feige sind, dieses Gift zu verbieten, ist eine extrem wichtige Story“, die es verdiene, künstlerisch aufgearbeitet zu werden. Doch dies müsse mit extremer Vorsicht geschehen, was in einem Film vielleicht gar nicht möglich sei, „ohne moralische Grenzen zu überschreiten, die keiner jemals überschreiten sollte“.
Es besteht ein ästhetischer Unterschied
So schildere ein Roman etwas, was in der Vorstellungswelt des Lesers erst erzeugt werden müsse. Ein Film habe normalerweise jedoch „das unmittelbar darzustellen, was von einem Roman mit Worten symbolisiert wird. Das ist der ästhetische Unterschied, und in Filmen wie ‚Cuties‘ macht es einen moralischen Unterschied“. Doch, so fragt Dreher: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit ansehen, dass Ihre elfjährige Tochter in einem Film einen solchen Text spricht? Wenn sie selbst wie diese erotisch aufgeladenen Kinder in diesem Kinofilm tanzt?“ DT/ks
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