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„Tales from the Loop“: Poesie der rätselhaften Welt

Die Amazon-Prime-Serie „Tales from the Loop“ ist von retrofuturistischen Bildern inspiriert und liefert elegisch-verträumte Science-Fiction-Unterhaltung.
The Loop
Foto: Amazon | Zwischen Kunst und Popkultur: Beim Spaziergang stoßen ein Junge und sein Großvater auf eine überdimensionale Metallkugel.

Wie würden Sie reagieren, wenn Sie die Möglichkeit hätten, ihrem jüngeren Ich zu begegnen und mit diesem ins Gespräch kommen könnten? Oder wenn Sie mit ihrem besten Freund die Körper tauschen könnten? Wenn Sie zudem die Möglichkeit hätten, einmal leibhaftig genau jener wunderschönen Person zu begegnen, die Ihnen immer wieder in Ihren Träumen erscheint? Oder schlicht und ergreifend nichts weniger als die Zeit anhalten dürften? In der achtteiligen ersten Staffel der US-amerikanischen Science-Fiction-Serie „Tales from the Loop“ sind all diese und noch viele andere unglaubliche Dinge möglich. Das Ergebnis ist intelligente und nachdenklich stimmende Unterhaltung in elegisch-ästhetischen Bildern, die Einblicke in eine poetische und rätselhafte Welt liefern – die der unseren nicht ganz unähnlich ist.

Die Rahmenhandlung der Serie ist relativ schnell erzählt: Im Zentrum einer US-Kleinstadt in der Nähe von Ohio, optisch gesehen scheinbar irgendwann in den 1980er Jahren angesiedelt und dennoch seltsam zeitlos, steht eine Einrichtung des fiktiven „Mercer Forschungszentrums für experimentelle Physik“: der Teilchenbeschleuniger The Loop. In dieser unterirdisch errichteten Einrichtung, in der laut Forschungsleiter Russ Willard (gespielt von Jonathan Pryce, oscarnominiert für seine Darstellung von Papst Franziskus im Netflix-Spielfilm „Die zwei Päpste“) nichts weniger als „die Entschlüsselung und Erforschung der Mysterien des Universums“ vorangebracht werden soll, werden fantastische und bahnbrechende Experimente durchgeführt. Diese Experimente bringen jedoch die Leben einiger Stadtbewohner, wie das seiner Schwiegertochter Loretta (Rebecca Hall) oder seines Enkels Cole (Duncan Joiner), gehörig durcheinander – und lösen in ihnen existenzielle Fragen aus. An die Zuschauer wie ein Zeremonienmeister gewendet sagt Willard (Jonathan Pryce) zu Beginn der ersten Episode deshalb ebenso folgerichtig wie geheimnisvoll: „Sie werden als Ergebnis dieser einzigartigen Forschung Dinge zu Gesicht bekommen, die sie nicht für möglich halten würden. Und doch existieren sie.“ Und er ergänzt: „Jeder in der Stadt ist auf die ein oder andere Weise mit dem Loop verbunden – und Sie werden viele ihrer Geschichten kennenlernen … wenn die Zeit gekommen ist.“

Die Serie ist eine wirkliche Neuschöpfung

„Tales from the Loop“ gelingt in seinen acht, knapp einstündigen und lose miteinander verbundenen Episoden ein eindrucksvoller Spagat zwischen Science-Fiction-Anthologieserien wie „The Twilight Zone“ oder „Black Mirror“ und Mysteryserien wie „Twin Peaks“, „Dark“ oder „Eureka“. Jede Folge erzählt einerseits eine abgeschlossene Geschichte mit wechselnden Hauptfiguren, wobei allerdings einige Figuren einen festen Kern des Ensembles bilden, vor allem die Familie Lorettas (Rebecca Hall). Die Serie selbst basiert interessanterweise weder auf einer Roman- oder Comicbuchvorlage noch ist sie eine wirkliche Neuschöpfung. Grundlage sind vielmehr die retrofuturistischen Kunstwerke des 36-jährigen schwedischen Malers, Autors und Elektromusikers Simon Staalenhag. In dessen digital erstellten Gemälden und Illustrationen werden Kindheitserinnerungen der späten 80er und frühen 90er Jahre sowohl mit der weiten schwedischen Natur als auch mit dystopischen Zukunftsmotiven – wie in die Landschaft geworfenen verfallenen Robotern und mysteriösen Monumenten – kombiniert.

Inspiriert durch Konzeptkünstler und Filmproduktionsdesigner wie Ralph MacQuarrie („Star Wars“, „E.T.“, „Cocoon“) und Syd Mead („Blade Runner“, „Tron“, „Aliens“) erschafft Staalenhag seit geraumer Zeit eigensinnige, der sogenannten Speculative Fiction beziehungsweise Phantastik verschriebenen Werke. Irgendwann ließ sich Staalenhag zudem zu seinen Bildern eine Hintergrundgeschichte einfallen, die alles miteinander verbindet: ein Institut für experimentelle Physik – und der Loop. Hieraus entstanden zwei Bände mit kleinen Geschichten sowie ein Rollenspiel – und nun also eine ganze TV-Serie.

Ohne Zynismus und Horrorszenarien

Serienmacher Nathaniel Halpern, der unter anderem an der visuell bahnbrechenden und erzählerisch eigenwilligen Serienfassung der Marvel-Comicreihe „Legion“ (hierzulande bei Sky ausgestrahlt) mitwirkte, verfasste alle Episoden von „Tales from The Loop“ und beauftragte für jede Folge einen anderen Regisseur beziehungsweise eine andere Regisseurin mit der visuellen Umsetzung. Hierfür konnte er unter anderem Hollywoodlegende Jodie Foster, den Videoclip- und Filmregisseur Mark Romanek („One Hour Photo“) sowie die koreanische Independent-Filmemacherin So Yong Kim gewinnen. Die Kameramänner und Bildgestalter Philip Messina („Die Tribute von Panem“) und Jeff Cronenweth („The Social Network“) haben Staalenhags Werke in anmutig-ästhetische Bewegtbilder umgesetzt und der elegische Soundtrack stammt von Paul Leonard-Morga („Limitless“) sowie der Minimal-Music-Ikone Philip Glass, der erstmals in seiner Karriere für eine TV-Serie komponierte.

Die Hauptmerkmale von „Tales from the Loop“ sind neben der träumerisch-fantastischen Handlung vor allem drei Dinge: Bilder, Klang und Atmosphäre. Das von Serienmacher Nathaniel Halpern gewählte Erzähltempo ist äußerst gemächlich, fast meditativ. Was mancher weniger überzeugend finden mag, dürfte wiederum anderen Zuschauern als erzählerische und inszenatorische Entschleunigung willkommen sein – ganz ohne den gerade in gegenwärtigen Science-Fiction-Serien häufig vorkommenden Zynismus und noch dazu vollkommen ohne dystopische Horrorszenarien auskommend. Auch in „Tales from the Loop“ ist die Welt nicht immer eine heile – aber dafür ist sie garantiert immer geheimnisvoll, tiefsinnig und wunderschön.

Alle 8 Folgen der ersten Staffel von „Tales from the Loop“ sind seit dem 3. April bei Amazon Prime sowohl im Originalton als auch in deutscher Synchronisation abrufbar.

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