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Für Beuys war die Menschwerdung Gottes ein Mysterium

Joseph Beuys ist katholisch aufgewachsen. Dieses gläubige Elternhaus konnte er auch in seinem Werk nicht verhehlen. Am 12. Mai jährt sich der Geburtstag des kritisch beäugten und gefeierten Künstlers, der sich auch mit Naturreligionen, Anthroposophie, Schamanismus und keltischen Kulten beschäftigte, zum hundertsten Mal.
Joseph Beuys: Lauschen, um die Schwingungen des Kosmos zu hören?
Foto: ute klophaus/zeroonefilm/dpa | Lauschen, um die Schwingungen des Kosmos zu hören? Joseph Beuys blieb stets offen für die schöpferischen Kräfte. Am 12. Mai ist sein hundertster Geburtstag.

Der Besucher der kleinen St. Matthäus-Kirche im Berliner Tiergartenviertel (Mitte des 19. Jahrhunderts nach Plänen von Friedrich August Stüler errichtet) spürt sofort beim Betreten des Gotteshauses: dies ist ein besonderer Ort. Hier finden protestantische Gottesdienste statt, der lichte Innenraum öffnet sich aber auch regelmäßig für Kunstausstellungen meist christlich inspirierter Werke. Eine passende Umgebung für die von Eugen Blume zum 100. Geburtstag Joseph Beuys‘ kuratierte Ausstellung „Der Erfinder der Elektrizität – Joseph Beuys und der Christusimpuls“, die sich mit den religiösen Wurzeln in Beuys‘ Schaffen beschäftigt.

„Der Erfinder der Elektrizität“ schrieb Beuys 1971 auf eine Serie kleiner Herz-Jesu-Bildchen, um auf die revolutionäre erneuernde Kraft des Gottessohnes hinzuweisen. Sie hängen neben der Apsis im Altarraum. Ringsherum an den Wänden des Kirchenschiffs verweisen Plakate auf die Aktionen des Künstlers, im leergeräumten Innenraum finden sich themenbezogene Exponate.

Auf der Suche nach Spiritualität befasste sich der katholisch aufgewachsene Rheinländer Beuys in der Nachkriegszeit neben dem Christentum auch mit Naturreligionen, Anthroposophie, Schamanismus und keltischen Kulten. Die Ausstellung zeigt diese Überschneidungen. Besonders anrührend ist das kleine, 1949 gefertigte Bronzekreuz, das einem Engel mit ausgebreiteten Flügeln gleicht und in dem der Körper einer Biene zu erkennen ist – die Bienensymbolik lernte der Künstler bei der Rudolf Steiner-Lektüre kennen; die vielseitigen Insekten sollten ihn nicht mehr loslassen. Honig, Filz und Fett und das Motiv der Kiste als „Seelengehäuse“ sind immer wiederkehrende Objekte (und Obsessionen) von Beuys, die es ermöglichen, sich dem schwer fassbaren und widersprüchlich scheinenden Künstler und Menschen zu nähern.

„Eine derartige Krise ist ein Zeichen dafür,
daß entweder eine Richtungslosigkeit vorliegt
oder zu viele Richtungen angegangen wurden“

Joseph Heinrich Beuys wird am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren, die katholische Erziehung im Elternhaus bietet Schutz gegen die Ideologie der Nationalsozialisten. Der Junge möchte nach dem Abitur Medizin studieren, wird aber 1940 zum Militär einberufen und entscheidet sich für die Luftwaffe. Als Sturzkampfflieger stürzt er im März 1944 in einem Schneesturm über der Krim ab. Der Pilot stirbt, Beuys wird schwer verletzt in das Militärhospital gebracht – dass er von Tataren gefunden und gesundgepflegt wurde, gehört ins Reich der von Beuys gepflegten Legenden, die seine lebenslange Faszination für Filz und Fett erklären sollten.

Am Anfang der Karriere plagten ihn Depressionen

1947 beginnt er ein Kunststudium an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf und wird Schüler von Ewald Mataré, parallel arbeitet er an zoologischen Filmen von Heinz Sielmann mit. Nach Abschluss des Studiums 1951 arbeitet er zunächst für private Auftraggeber (plastische Arbeiten wie Grabsteine und Brunnen), es entstehen auch Holzschnitte und Zeichnungen, die erstmals 1953 ausgestellt werden.

Die Jahre 1955-57 sind geprägt von depressiven Erschöpfungszuständen, ausgelöst durch die Auflösung seiner Verlobung, gepaart mit den Nachwirkungen der Kriegsereignisse, dem Eingeständnis damit verbundener Schuld und des Absturztraumas. Beuys selber erklärt seinen Rückzug so: „(...) denn im Grunde musste etwas absterben. Ich glaube, diese Phase war für mich eine der wesentlichsten insofern, als ich mich auch konstitutionell völlig umorganisiert habe; (...) die Dinge in mir mussten sich völlig umsetzen, es mußte bis in die Physis hinein eine Umwandlung stattfinden. (...) Eine derartige Krise ist ein Zeichen dafür, daß entweder eine Richtungslosigkeit vorliegt oder zu viele Richtungen angegangen wurden. (...) Von da ab begann für mich eine systematische Arbeit an gewissen Grundprinzipien“.

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Der Erfolg kommt mit Fluxus-Aktionen

Joseph Beuys erkennt, dass er seinen ganz eigenen Weg finden muss, er setzt sich mit dem Dadaismus auseinander, grenzt sich aber inhaltlich von den „Neodadaisten“ ab und entwickelt sich in die gerade langsam beginnende Happening- und Fluxus-Richtung. In dieser Zeit findet der Künstler zu seinem äußeren Markenzeichen: erst kommt der bürgerliche Hut, dann kommen die freizeitliche Anglerweste und die Jeans dazu – der schon optisch personifizierte Widerspruch.

1959 heiratet er die Kunsterzieherin Eva Wurmbach (in der Doppelkirche St. Maria und Clemens in Schwarzrheindorf), mit der er zwei Kinder bekommt. Die Ehe endet mit dem Tod von Beuys am 23. Januar 1986. 1961 erhält er den ersehnten Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf (den er 1972 wieder verlassen muss, weil er sich weigert, Zulassungsprüfungen abzunehmen). Es geht aufwärts, ab 1962 kommt mit den Fluxus-Aktionen auch der künstlerische Erfolg – wenn man die damit verbundenen Skandale so nennen will.

Mit dem Namen Joseph Beuys untrennbar verbunden ist das „Festival der neuen Kunst“ am 20. Juli 1964 im Aachener Audimax der Technischen Hochschule. Die Veranstaltung endete mit einem Eklat und musste vorzeitig abgebrochen werden: ein verärgerter Student hatte Beuys mit einem Faustschlag die Nase blutig geschlagen. Spontan ergriff Beuys ein Kruzifix, auf das nun das Blut tropfte, und hielt es dem Publikum vor – ein spektakuläres und wohl auch intuitives Analogon zum Abbild des leidenden Jesus. Für den Künstler galt das pathetische Spektakulum als „Auslöser eines Bewusstwerdungsprozesses, der immer mehr zu einer bewussten politischen Haltung führte.“

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Erlösung des Menschen durch die Kunst

Der Mensch soll durch Kunst erlöst werden, das ist die Idee, die sich in Beuys‘ „erweitertem Kunstbegriff“, einer umfassenden schöpferischen Umgestaltung des Lebens (in der jeder Mensch ein Künstler ist), verbirgt.

Denn die Kunst ist für Joseph Beuys, wie sein Kurator Eugen Blume sagt, „nach dem endgültigen Scheitern aller im 20. Jahrhundert etablierten Erlösungsgesellschaften der Moderne – Nationalsozialismus, Stalinismus und Sozialismus, Demokratie und soziale Markwirtschaft –, die einzige noch verbliebene Möglichkeit, Zukunft zu gestalten“. Das mag bezweifelt werden, wie wir gerade im Moment sehen können. Die wahre Erlösung wird uns Menschenkindern sicher nicht auf Erden zuteil.

 

Vermutlich wird auch Joseph Beuys immer wieder mit dieser Erkenntnis konfrontiert worden sein. Seine umfassende Suche nach Erleuchtung auf den verschiedenen Pfaden religiöser und philosophischer Natur hat ihn durchaus zu immer neuen Kunstwerken inspiriert, deren Ernsthaftigkeit man zweifellos spürt. Eine Reise nach Spanien führte 1966 zur Aktion „Manresa“, benannt nach dem katalonischen Ort, an den sich Ignatius von Loyola 1522 zur strengen Buße zurückgezogen hatte. Dessen „Exerzitien“ hatten Beuys tief beeindruckt. Pater Friedhelm Mennekes Dokumentation „Joseph Beuys, Manresa: Eine Fluxus-Demonstration als geistliche Übung zu Ignatius von Loyola“ gibt Aufschluss darüber.

 

Im keltischen Irland findet er eine ihm gemäße Form des Christentums: „aber die eigentliche Urform der Aufnahme des Christentums vollzieht sich rein spirituell, als Sicht, als Sehertum. Da braucht man keine geschriebenen Evangelien.“

Trotz seiner Ausflüge in andere Glaubenswelten – vom Schamanismus zeugen die Performances mit Koyoten und Hasen – hat der Künstler Joseph Beuys seine christlichen Wurzeln nie verloren.

„Mit der Inkarnation des Christuswesens in die physischen Verhältnisse der Erde“ habe sich, so Beuys, „ein reales Mysterium, ein kosmisches Ereignis (...) vollzogen, kein nur historisches“, ein Ereignis, das – und Beuys nimmt dies wörtlich – „die ganze Welt verändert bis in die Materie hinein.“

Am 12. Mai wäre Joseph Beuys, der Polarisierende, der in den Augen seiner Kritiker ein Scharlatan war und den seine Bewunderer für einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts halten, 100 Jahre alt geworden.


09.04.2021 - 12.09.2021
"Der Erfinder der Elektrizität - Joseph Beuys und der Christusimpuls". Mit einer Dokumentation von Lothar Wolleh. 
St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr

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Gerhild Heyder Evangelium Exerzitien Friedrich August Stüler Joseph Beuys Nationalsozialisten

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