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Damit sich keiner bloßgestellt fühlt: Pariser Museen schaffen römische Ziffern ab

Pariser Museen wie der Louvre haben die römischen Ziffern zur Kennzeichnung von Jahrhunderten, das Musée Carnavalet hat sie auch bei den Herrschernamen abgeschafft. Dass dies eine „egalitaristische Katastrophe“ und ein kultureller Rückschritt ist, befürchtet eine Literaturwissenschaftlerin im Causeur.
Museen schaffen römische Ziffern ab
Foto: Philippe Lopez (AFP) | Pariser Museen wie der Louvre haben die römischen Ziffern bei ihren Ausstellungsexponaten abgeschafft.

Im französischen Magazin "Causeur" beklagt die Literaturwissenschaftlerin Corinne Berger, dass Pariser Museen die römischen Ziffern bei ihren Ausstellungsexponaten abgeschafft haben: „Seit vier Jahren schreibt der Louvre die Jahrhunderte mit arabischen Ziffern [obwohl die lateinische Schreibweise im Französischen die gängige ist], hält aber noch am traditionellen Namen der Könige und Königinnen fest“, während das Pariser Stadtmuseum Carnavalet soeben beschlossen hat, die römischen Zahlen bei den geschriebenen Namen der Monarchen zu beseitigen: „Louis XIV. wird damit – durch die Gnade der löschenden Moderne – zu Louis 14“. Wie der Sänger und Anarchist Léo Ferré meinte, verlören „das XVII. Jahrhundert und Ludwig XIV. ihren Glanz und ihre Feierlichkeit, wenn sie zum 17. Jahrhundert und zu Ludwig 14. werden“. 

Billiger Humanismus, der tiefes Misstrauen offenbart

All dies könne belanglos erscheinen, kommentiert Berger, „sagt aber viel darüber aus, was wir geworden sind“. Nach Aussage von Noémie Giard, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Musée Carnavalet, gehe es bei der Abschaffung der römischen Zahlen um einen „universalen Zugang“ zum Museum, um keinen Besucher auszuschließen, auch nicht Ausländer oder Menschen „mit einem psychischen Handicap“. Dies bedeute also, stellt Berger fest, dass jedermann auch „verstehen“ müsse, was auf den Beschriftungen der Ausstellungsobjekte zu lesen ist.

Ein derartiges Anliegen könnte lobenswert und nobel erscheinen, „doch wie immer offenbart dieser billige Humanismus ein tiefes Misstrauen: Ohne es zu sagen, zielt diese Vereinfachung in Wirklichkeit auf die ‚neuen Publikumsgruppen‘ ab, also auf diejenigen, die man in die Museen locken möchte, nämlich auf die jungen Generationen und das einfache Volk“. „Und was glaube man in den aufgeklärten Schichten?“, fragt Berger. Dass „diese Publikumsgruppen ins Museum kommen werden, wenn man sich auf ihren geistigen Horizont begebe, wenn man die Sprache spreche, die sie verstehen können“. Doch, so meint sie, man werde damit nicht mehr Besucher erreichen: „Anstatt sie für fähig zu halten, etwas zu lernen, was sie nicht oder nicht gut kennen, und sich mit dieser Schreibweise aus alten Zeiten vertraut zu machen, entscheidet man sich dafür, die Hürde abzuschaffen“. Wenn man sich daran machte, „alles zu beseitigen, was die Leute vielleicht nicht verstehen, müsste man ebenfalls sofort die Gemäldesammlungen an den Museumswänden abnehmen, weil sie voller biblischer und historischer Bezüge sind“.

Demagogische Vorgehensweise

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Man fürchte also, so Berger weiter, dass sich jemand, der etwas nicht weiß, nicht wohlfühlen könnte, „man hat Angst, den Ungebildeten zu diskriminieren, den Unwissenden zu stigmatisieren“. Die gleiche „demagogische Vorgehensweise“ führe etliche Verleger dazu, die Klassiker der Jugendliteratur umzuschreiben, deren Lektüre zunächst erschwert sei „durch Sätze mit mehr als zwei Zeilen, durch seltene Wörter und Verben im passé simple!“. Dahinter stehe stets die gleiche Logik: „das Hindernis zu beseitigen, anstatt Wege aufzuzeigen, es durch Wissenserweiterung zu überwinden. Alle diese Förderer der Unkultur ignorieren, dass es eine intellektuelle Neugier, einen Genuss an der Überwindung von Schwierigkeiten geben könne und man sich selbst überschreiten können möchte. Die römischen Ziffern lesen zu lernen, bedeutet für ein Kind, die Befriedigung zu haben, ein Geheimnis zu lüften, das ihm eine Welt eröffnet“.

Der stellvertretende Leiter des Corriere della Sera, Massimo Gramellini, habe, laut Berger, „bestens begriffen, was bei der (wenn auch nur teilweisen) Abschaffung der römischen Ziffern am Werk ist: Er sieht darin ‚die perfekte Synthese der derzeit laufenden kulturellen Katastrophe‘. Zunächst „lehrt man die Dinge nicht mehr und dann beseitigt man sie, damit sich jene, die sie nicht kennen, nicht schlecht fühlen“.

Auslöschen, "was uns verbindet"

Corinne Berger schlussfolgert: „Die römischen Ziffern in den Museen und dann in den Büchern zu ersetzen, bedeutet, das auszulöschen, was uns verbindet. Ein Mensch ohne Vergangenheit, der nichts mehr weiß und der nichts mehr zu überliefern hat und der auf die bloße Funktionalität des Augenblicks reduziert wird – dies zeigt uns das programmierte Verschwinden der römischen Ziffern. Die Zeichen zu beseitigen, bedeutet, die Dinge abzuschaffen: Orwell, Klemperer und die Anhänger der ‚cancel culture‘ wissen das, die beiden erstgenannten, um uns vor dem Unternehmen der totalitären Auslöschung zu bewahren, die anderen, um uns daran zu gewöhnen und darin verloren zu gehen“.

Wir seien „Erben und Verwahrer“, schließt Berger, „doch die Moderne ist versessen darauf, uns davon zu lösen. Und die Zeit es nicht weit, in der die jungen Leute in den Inschriften der Kirchen und der Denkmäler nur noch die Hieroglyphen einer verschwundenen Zivilisation erkennen werden“.  DT/ks

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