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Vom Jagen, Sammeln und Abschminken

Über den Umgang mit der künftigen Opposition im Bundestag – Die unvollständige Schutzarie der Grünen und die rechte Flanke der Union. Von Jürgen Liminski
Nach der Bundestagswahl - CDU
Foto: dpa | Am Morgen nach der Wahl: Bundeskanzlerin Merkel zu Beginn der Vorstandssitzung in der CDU-Zentrale des Berliner Konrad-Adenauer-Hauses.

Die SPD kommt nicht so recht raus aus dem Wahlkampfmodus. Viele Journalisten auch nicht, insbesondere die in den öffentlich-rechtlichen Schutzzonen. Dunkle Ahnungen der Weimarer Zeit wurden bemüht, ganze Etikettenpakete verklebt, Parolen und Unterstellungen in die Fernsehrunden geworfen, nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen FDP und Union. Als sei eine Revolution ausgebrochen. Um es mit Gottfried Benn zu sagen: „Die deutsche Form der Revolution ist die Denunziation.“ Dagegen verwahrte sich FDP-Chef Lindner in Richtung Grüne und SPD, die Kanzlerin lächelte sichtlich belustigt über die späten Ausfälle von Martin Schulz. Für sie ist die Richtung klar: Es braucht eine stabile Regierung in diesen unruhigen Zeiten und dafür gibt es nur ein Ticket. Die Reise geht nach Jamaika.

In der Karibik ist schon manches Schiff gekapert und versenkt worden, auch Wirbelstürme sind nicht selten, die Reise könnte stürmisch werden. Aber während die FDP deutlich auf ihr Programm pocht, mahnen die Realos bei den Grünen schon mehr Pragmatismus an. Boris Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen, sagt es so: Die Menschen trauen uns zu, die Probleme der Flüchtlinge zu lösen. Aber sie zweifeln, ob wir die Probleme mit den Flüchtlingen auch lösen können. Man brauche mehr Abschreckung für kriminelle Einwanderer. Dabei wird ihnen die FDP helfen, sie hat schon Pläne für die Unterscheidung zwischen Asyl und Einwanderung parat. Die Union wird abnicken, Hauptsache Mutti bleibt im Kanzleramt. Ganz egal, dass sie weniger Wähler bindet als Kohl bei seiner Niederlage 1998 (da waren es 35,1 Prozent), ganz egal, dass die Hipster-Strategie (junge, urbane Wähler binden) krachend gescheitert ist, ganz egal, dass die „rechte Flanke offen“ ist, wie Seehofer konstatierte. Wichtig ist der Machterhalt. Angela Merkel sagte es am Wahlabend schon früh und erleichtert: Gegen die Union ist keine Regierung möglich. Der Rest sind Fußnoten.

Kritisch wird es allerdings mit dem Thema Klimaschutz. Natürlich sind pauschal und im Allgemeinen alle dafür. Aber wenn es an die konkreten Details geht, tun sich Gräben auf. Soll es noch mehr Windparks geben? Nur noch Solaranlagen? Die Grünen wollen die Kohlekraftwerke schließen. Das wird ohne Zustimmung aus Nordrhein-Westfalen nicht gehen. Bemerkenswert war die Zurückhaltung des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet am Wahlabend. Keine Statements, man sah ihn gar nicht. Er weiß, dass er in diesem Punkt auch gegen die Kanzlerin wird argumentieren müssen, die ähnlich wie die Grünen den Klimaschutz zum Dogma erheben möchte. Die Grünen werden den langen Berliner Arm rächend nach Düsseldorf recken wollen. Hier wird sich zeigen, wie eigenständig und sachorientiert die neue Regierung in NRW ihr Programm verteidigt.

Die Grünen werden im Jubel und der Trance der vermeintlichen Unverzichtbarkeit ihre Umwelt-Schutzarie singen: Tierschutz, Artenschutz, Klimaschutz. Der Arie fehlt eine Fuge. Der Lebensschutz fehlt, der Schutz für das ungeborene Leben wird Frauenrechten und dem bequemen Leben untergeordnet. Das sind die Misstöne der Ideologie. Auch Familie spielt für sie eine untergeordnete Rolle und hier dürfte sie bei der Berliner Union und bei der FDP auf Zustimmung stoßen. Wertkonservative Themen gelten in der Merkel-CDU schon lange als Verfügungsmasse bei Koalitionsgesprächen. Viel ist da allerdings nicht mehr übrig. Wahrscheinlich kommen jetzt noch die Cannabis-Freigabe und die Leihmutterschaft. Auch letzte Feigenblätter bei der aktiven Sterbehilfe oder Euthanasie dürften fallen. Dann ist so ziemlich alles abgeräumt und die schöne neue Welt verwirklicht.

Die Opposition? Wir werden sie jagen, meinte AfD-Spitzenkandidat und vermutlich Co-Chef der künftigen AfD-Fraktion, Alexander Gauland, zum Entsetzen der Etablierten. Was für eine Sprache, hieß es allenthalben. Dabei ist es nur eine Metapher, die außerdem noch nicht einmal sehr aussagekräftig ist und viel anders als bei dem trotzig auftretenden Schulz (Schlafwagenpolitik, Etikettenschwindel, Ideenstaubsauger, skandalöser Wahlkampf) klang es auch nicht. Der AfD fehlen ja die Mittel zur Jagd. Sie hat schlicht kein Fach-Personal für die Hundertschaft der Abgeordneten. Man wird aus Landtagsfraktionen einige Leute mitnehmen und damit diese Fraktionen bluten lassen. Aber das reicht nicht. Sie hat auch kaum Erfahrung und wird erst mal in den eigenen Reihen ausmisten müssen. Sie muss nicht nur Stimmen sammeln, sondern auch Kompetenz. Aber die Aufgeregtheit in den linksliberalen Reihen des politisch-medialen Establishments ist groß. Man empört sich und es ist nicht ganz klar, ob es um programmatische Anlässe oder Äußerungen geht oder um die schlichte Tatsache, dass da ein kleiner Fuchs im gemütlichen Hühnerstall der Berliner Republik aufgetaucht ist. Natürlich kann man die Rolle der Opposition auch eleganter formulieren, als Gauland es tat. Der frühere französische Staatspräsident Jacques Chirac sagte es einmal so: Die Aufgabe der Opposition auf der politischen Bühne ist es, die Regierung abzuschminken, während die Vorstellung läuft.

Es ist eine inhaltliche Aufgabe und das vornehmste Instrument sind Fragen, nicht Denunziationen. Da wurden im Wahlkampf schon einige richtige Fragen gestellt. Beispiel die Abschiebung von kriminellen Afghanen. Die Grünen sind dagegen, Afghanistan sei nicht sicher. Brennt es überall am Hindukusch? Und ist es die Pflicht Deutschlands, Kriminellen das Leben angenehm zu machen? Oder: Die in einem Schlepper-LKW entdeckten und im Aufnahmelager untergebrachten Iraker waren einen Tag später fast alle untergetaucht und die Polizei in Brandenburg wartet seither ab. Worauf? Dass sie als Kriminelle wieder auftauchen? Oder: Von den 17 000 „Mufl“ (minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge), von denen jeder pro Monat rund 5 000 Euro kostet, dürften einige Tausend nicht minderjährig sein. Das wäre leicht festzustellen, aber sofort wird das Argument der „Würde“ herangezogen. Ist die Suche nach Wahrheit würdelos? Die persönliche Würde ist ein wichtiges Argument. Es darf aber nicht zur Aufgabe der Selbstachtung einer Gesellschaft führen. Die Missachtung von Recht und Gesetz führt ins Chaos. Und das kennt keine Würde.

Diese Missachtung und Beliebigkeit haben viele Bürger gespürt. Sie fragen sich: Warum verdoppelt sich die Zahl der Asylanträge, warum verstetigen sich Aufenthalt und steigen die Kosten der Asylanten, von der Zunahme der Gewaltdelikte mal ganz abgesehen. Sie fragen sich ferner: Warum bringt der Staat pro „MuFl“ täglich 175 Euro auf (nach Angaben des Bundesverwaltungsamts) und hat für Rentner und arme Familien kaum etwas übrig? Warum müssen arme Rentner und Familien, um wesentlich bescheidenere Leistungen zu erhalten, ihre Bedürftigkeit umfassend belegen, während bei MuFl und Asylanten die Selbstauskunft genügt? Bekanntlich wird bei einheimischen Hartz-IV-Beziehern das Vermögen einschließlich der Wohnung und des Autos angerechnet. Nicht selten müssen sie in kleinere Wohnungen ziehen, um Leistungen zu erhalten. In jedem Fall müssen sie ihre Anspruchsberechtigung objektiv nachvollziehbar belegen. Bei den MuFl sind diese Grundregeln außer Kraft gesetzt.

Es gibt eine Reihe Fragen, die im Wahlkampf unbeantwortet blieben und die viele Menschen zur AfD geführt haben. Das sind nicht nur Fragen nach der kulturellen Identität Deutschlands oder ungerecht anmutende Unterschiede in der Sozialhilfe. Es geht bei vielen Punkten um die wertkonservative Lücke, die sich in der Union schon unter Kohl aufgetan hat und in den zwölf Jahren Merkel immer größer wurde. Es sind Fragen, die sich auch und gerade jetzt an die CSU richten. Die CDU und die künftigen Koalitionspartner FDP und Grüne werden diese Lücke kaum füllen wollen. Wird sie nicht gefüllt, bleibt die „rechte und konservative Flanke offen“. Dann wird die CSU ihre Mehrheit in Bayern verlieren. Wenn sie Glück hat, wird sie dann mit der FDP regieren können. Sicher ist das nicht. Die Jagd der AfD richtet sich nicht auf die Regierung, sondern auf die Wähler.

Denunzieren reicht nicht. Das schürt nur die stille Sammel-Revolution von rechts. 60 Prozent der AFD-Wähler wählten AfD, weil sie von den anderen enttäuscht waren. Das viele Reden über die AfD hat diese Partei groß gemacht, das Denunzieren und Unterstellen hat nur Schminke aufgetragen. Abschminken heißt argumentieren, selber für Überzeugungen eintreten und sich zu Werten bekennen. Von Helmut Schmidt stammt der kluge Satz, den Seehofer wohl beherzigen wird und den Schulz sich auch mal zu Gemüte führen sollte: „Politiker und Journalisten teilen das traurige Schicksal, dass sie schon heute viel über Dinge reden, die sie erst morgen ganz verstehen.“ Das gilt vor allem für den Umgang mit der AfD. So wie es bis jetzt lief, macht man der AfD das Jagen leicht und damit auch das Sammeln weiterer Stimmen.

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