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Überwacht, abgehört, verfolgt

Die Seligsprechung von Kardinal Stefan Wyszyñski rückt nach der Verleihung des heroischen Tugendgrades näher. Wer war dieser Mann, der für viele seiner gläubigen Landsleute bis heute ein Hoffnungsträger ist?. Von Ewa K. Czaczkowska
Kardinal Wyszinski drückt Papst Johannes Paul II.
Foto: KNA | Kniefall nach der Wahl: Kardinal Wyszinski drückt Papst Johannes Paul II. seine Ergebenheit aus.

Die Genehmigung des Dekrets über den heroischen Tugendgrad von Primas Stefan Wyszyñski (1901-1981) durch Papst Franziskus ist ein großes Ereignis für die Kirche in Polen. Damit geht nun langsam ein Prozess zu Ende, der vor 28 Jahren begann. Zum Abschluss muss der Heilige Stuhl ein Wunder durch die Fürsprache dieses Dieners Gottes anerkennen. Die Diözesanphase des Prozesses endete bereits im Jahr 2013 in Warschau. Die vom zuständigen Bischof in Stettin einberufene Kommission zur Überprüfung des Wunders, das sich in der dortigen Diözese zugetragen hat, sah die plötzliche, dauerhafte und aus medizinischer Sicht unerklärliche Heilung im Jahr 1989 einer damals 19-jährigen Frau von metastasierendem Schilddrüsenkrebs als erwiesen an. Wenn der Vatikan bestätigt, dass diese Heilung ein Wunder war, wird Kardinal Wyszyñski seliggesprochen. Für Tausende von Polen würde dies eine offizielle Bestätigung ihrer Überzeugung sein, dass dieser große Primas ein Leben der Heiligkeit geführt hat.

Nach der Priesterweihe 1924 in Wloclawek (Leslau), studierte Wyszyñski Rechts- und Sozialwissenschaften an der Katholischen Universität Lublin. Danach war er Dozent am Priesterseminar in Wloclawek, Redakteur und Journalist in katholischen Zeitschriften und ein sehr engagierter Seelsorger der christlichen Gewerkschaften. Er war einer der wenigen Priester im Polen der Zwischenkriegszeit, der sich mit der Soziallehre der Kirche beschäftigte. Während des Zweiten Weltkriegs versteckte er sich im Zentrum für blinde Kinder in Laski bei Warschau, dann war er Kaplan beim Warschauer Aufstand. Nach dem Krieg, im Jahre 1946, wurde er zum Bischof von Lublin ernannt, doch schon zwei Jahre später, im Jahre 1948, machte ihn Papst Pius XII. zum Erzbischof der zwei wichtigsten polnischen Erzdiözesen: Gnesen und Warschau. So wurde Stefan Wyszyñski im Alter von 47 Jahren der Primas von Polen.

Stefan Wyszyñski übernahm dieses Amt in einer für die Kirche äußerst schwierigen Zeit, da die Kommunisten den Druck auf die Religion verschärften. Die Kirche war für sie (nach der Auflösung des antikommunistischen Untergrunds) das einzige Hindernis auf dem Weg zur Schaffung einer atheistischen Gesellschaft. Um die Kirche dem totalitären Staat vollständig unterzuordnen, entzogen die kommunistischen Behörden der Kirche das Recht, an den Schulen Unterricht zu geben, sie schlossen kirchliche Bildungseinrichtungen und die von den religiösen Orden geleiteten Pflegeheime; ferner eigneten sie sich Kirchengrundstücke (ca. 150.000 Hektar) und Gebäude an, übernahmen die Caritas, verhafteten Priester und Bischöfe oder entfernten diese aus den Diözesen.

In dieser Situation – es war das Jahr 1950 – entschied Primas Wyszyñski, um den Glauben zu verteidigen und zumindest einen gewissen Grad der Unabhängigkeit der Kirche zu erhalten, dass der Episkopat ein Abkommen mit der Regierung schließen müsse. Dieses Abkommen kam zustande. Es wurde von den Kommunisten ständig gebrochen, aber es führte dazu, dass der entscheidende Angriff auf die Kirche vertagt wurde. Im Jahr 1953, also nach dem Tod von Josef Stalin, in dem Moment, als sich im Ostblock das politische Tauwetter näherte, kam der Schlag aber doch. Im Februar 1953 hatte der Staatsrat ein Dekret erlassen, demnach der Staat über die Besetzung von Kirchenposten entscheiden solle. Primas Wyszyñski drückte seine starke Opposition gegen dieses Dokument in der berühmten Denkschrift vom Mai 1953 Non possumus aus. Daraufhin wurde er am 25. September 1953 verhaftet.

Drei Jahre – vom September 1953 bis zum Oktober 1956 – war er interniert. Ohne Anklage, ohne Untersuchung, ohne Prozess und ohne Gerichtsverfahren wurde er in vier Haftanstalten unter schwierigen Bedingungen inhaftiert. Er befand sich unter ständiger Kontrolle von Geheimdienst-Offizieren: überwacht, abgehört und verfolgt (erst beim letzten Ort der Isolation in Komañcza waren die Haftbedingungen etwas leichter). Die Behörden des stalinistischen Polens wollten getreu dem Beispiel des Prozesses, der in Ungarn dem dortigen Primas Joseph Mindszenty gemacht worden war, nun mit Kardinal Wyszyñski einen Schauprozess veranstalten. Doch aus zwei Gründen kam es nicht dazu: aufgrund der Haltung von Wyszyñski im Gefängnis und aufgrund des bereits erwähnten politischen Tauwetters in Polen im Jahr 1956.

Stefan Wyszyñski war der einzige der inhaftierten Hierarchen in Mittel- und Osteuropa, der zu seinem Amt zurückkehrte. Die Zeit der Isolation war auch eine Zeit der geistlichen Exerzitien des Primas, die zu nationalen Exerzitien führten. Der inhaftierte Primas schrieb nämlich die „Jasna Gora-Gelübde der Nation“, die von den Polen am 26. August 1956 in Tschenstochau abgelegt worden sind. Die große Novene, die neun Jahre dauerte, war eine Weiterentwicklung dieser Gelübde und stellte ein großartiges Programm der geistigen Vorbereitung auf das Tausendjährige Tauf-Jubiläum Polens im Jahr 1966 dar.

Die Große Novene war das wichtigste geistliche Programm der Kirche in Polen seit der Christianisierung im Jahre 966. Der Primas hatte verstanden, dass die Aufgabe, vor welche Gott ihn gestellt hatte, darin bestand, die Nation auf Grundlage des Glaubens in das zweite Jahrtausend des Christentums in Polen zu führen. Er wusste, dass dies ein entscheidender Moment in der Geschichte Polens für die Kirche sein würde. Während dieser Zeit, das spürte er, würde sich entscheiden, ob Polen weiterhin eine Nation von Gläubigen sein würde. Es würde sich entscheiden, ob seine Landsleute die Muster der westlichen Kultur, die sie vor tausend Jahren angenommen hatten, bewahren würden, oder ob sie – im Gegenteil – die neuen, sowjetischen Sittenstandards, die durch den atheistischen Kommunismus aufgezwungen wurden, akzeptieren würden. In dieser historischen Stunde würde sich entscheiden, ob der Glaube der Polen, die christliche Identität der Nation weiter bestehen würde, aber auch, wie lang der Kommunismus anhalten würde. „Das Schicksal des Kommunismus wird in Polen entschieden“, weissagte Kardinal Wyszyñski richtig. „Wenn Polen christlich ist, wird es zur großen moralischen Kraft, und der Kommunismus wird von selbst fallen. Das Schicksal des Kommunismus wird nicht in Russland, sondern in Polen entschieden. Polen wird der ganzen Welt zeigen, wie man mit dem Kommunismus umgeht, und die ganze Welt wird dafür dankbar sein!“ Diese waren seine Worte, prophetische Worte.

Heute haben die Historiker keine Zweifel, dass ohne die Millenniums-Feierlichkeiten des Jahres 1966 die Ereignisse des polnischen August 1980 völlig anders verlaufen wären. Die „Solidarnoœæ“-Gewerkschaft hätte kein so spirituelles oder religiöses Gesicht gehabt, dank dessen die Revolution in Mittel- und Osteuropa ohne Blut verlief. An der Feier zur Tausendjährigen Taufe Polens im Jahr 1966 nahm eine junge Generation teil, die später die Massenstreiks von „Solidarnoœæ“ anführte. Die erste Pilgerfahrt von Johannes Paul II. nach Polen im Juni 1979 war ein starker geistlicher Impuls für die Arbeiter, die sich im Jahr 1980 für die Menschenrechte einsetzten. Die Worte des Papstgebets „Lass Deinen Geist herabsteigen und das Antlitz der Erde erneuern! Dieser Erde!“ fielen auf einen Boden, der seit langem darauf vorbereitet war. Er war von Primas Wyszyñski vorbereitet worden, der für mehrere Jahrzehnte in der polnischen Nation die innere Freiheit, den Sinn für die Menschenwürde und die nationale Identität, die für das Christentum eine wichtige Bedeutung haben, gestärkt hatte. Er forderte, dass die Behörden die Menschenrechte respektieren sollten, er verteidigte diejenigen, die sich dafür öffentlich eingesetzt hatten.

Das Leben von Kardinal Stefan Wyszyñski, das sich am 28. Mai 1981 vollendete, war reich an vielen großen, bedeutenden, auch schwierigen, schmerzhaften Ereignissen, die hier nicht alle erwähnt werden können. Erwähnt werden muss hier natürlich eines, das sich aus den Vorbereitungen für das Tauf-Jubiläum Polens und aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils ergab, an dem er teilnahm. Es ist der Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe im Jahr 1965 mit den berühmten Worten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“. Der Hauptautor des Briefes war Erzbischof Boleslaw Kominek. Primas Wyszyñski stellte den Brief und die damit verbundene Versöhnungsinitiative in der Öffentlichkeit dar und verteidigte sie auch gegen die scharfen Angriffe der polnischen Kommunisten.

Dank der Weitsichtigkeit, der Charakterstärke, der organisatorischen und diplomatischen Fähigkeiten, dank des Intellekts und vor allem des tiefen Glaubens und des Vertrauens in Gott von Kardinal Wyszyñski kam die Kirche in Polen aus der kommunistischen Zeit mit heiler Haut davon. Die Polen haben den Glauben bewahrt.

Stefan Wyszyñski wird aber nicht aus diesen Gründen seliggesprochen, sondern – wenn dies die Entscheidung des Papstes sein wird – wegen der Praxis der christlichen Tugenden in einer heroischen Art und Weise. Der Primas hatte seinen Willen mit dem Willen Gottes verbunden, was ein Merkmal jedes Heiligen ist. Er wollte kein Bistum, kein Primat, er stimmte dem vom Papst verkündeten Willen Gottes zu. Indem Wyszyñski den Willen Gottes akzeptierte und befolgte, willigte er in das Leiden ein, die Einsamkeit und das Unverständnis, das dazugehörte – auch innerhalb der Kirche. Dies war der Preis, den er für die Einheit von Denken und Handeln bezahlen musste.

Der Primas vergab seinen Verfolgern nicht nur – denjenigen, die seine Verhaftung beschlossen, die ihn in der Isolation überwachten und verfolgten; wozu auch geheime Mitarbeiter unter Laien und Priestern, viele Verleumder zählten – er betete auch für sie. Die Kraft für eine solche Haltung, für die Führung der Kirche, schöpfte er aus dem Gebet, aus der Nähe zu Gott. „Es ist nicht genug, an Gott zu glauben, man muss Gott vertrauen“, sagte er. Dies war die Quelle seiner Kraft, Stärke, Tapferkeit, aber auch seiner großen Demut und Freude. „Es scheint mir, dass Maria die unmittelbarste Kraft in meinem Leben ist. Durch ein besonderes Geheimnis, das ich nicht vollständig verstehe, wurde sie auf meinen (...) Weg gestellt“, sagte er 1971.

Die Seligsprechung von Kardinal Wyszyñski wird für die Kirche und für Polen wichtig sein, weil die Lehre dieses Primas – seine Predigten und Texte – heute sehr aktuell sind. Denn obwohl sich der gesellschaftspolitische und moralische Kontext geändert hat, sind die Werte des Evangeliums, die er mit Kraft predigte, unveränderlich. Es ist wichtig für Polen, dass er weiterhin spricht. Weil, wie der Hl. Johannes Paul II. sagte, der einen großen Respekt gegenüber Kardinal Wyszyñski besaß: Gott gibt einen solchen Primas nur einmal in tausend Jahren.

Die Autorin, die an der Kardinal-Stefan-Wyszyñski-Universität lehrt, gilt als die bekannteste Kirchen-Journalistin Polens. Zu ihren wichtigsten Büchern zählt die umfangreiche Biografie „Kardinal Wyszyñski. Eine Biografie“, für die sie 2014 mit dem „Feniks“-Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Aus dem Polnischen übersetzt von Anna Meetschen.

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