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Seyran Ates: Islam braucht „sexuelle Revolution“

Christliche und muslimische Geistliche diskutieren im österreichischen Sender „Puls4“ über Sexualität und Glaube in Christentum und Islam.
Glaube und Sexualität
Foto: Oliver Berg (dpa) | Der Hauptgrund für die Kluft zwischen der islamischen und der westlichen Welt, so Ates, sei das Thema Sexualität.

Wie lassen sich Sexualität und Glaube im Christentum und im Islam verbinden – und welche Probleme können sich daraus ergeben? Mit dieser Frage beschäftigte sich gestern Abend die Diskussionsrunde „Pro und Contra Spezial“ des österreichischen Fernsehsenders „Puls4“.

Der österreichische Psycho- und Sexualtherapeut Johannes Wahala vertrat dabei die Ansicht, dass es im Bereich Sexualität eine große Kluft zwischen der Kirchenleitung und dem Volk gebe. „Von Seiten der Kirchenleitung hat sich noch wenig getan im Sinne einer positiven Sexualmoral. Die katholische Kirche trägt einen Rucksack von Leibfeindlichkeit, Lustfeindlichkeit und Frauenfeindlichkeit“, so Wahala, der früher selbst katholischer Priester und Religionslehrer war. Davon habe sie sich in ihrer Lehre noch nicht erholt.

"Wir leben in einer völlig über-sexualisierten Gesellschaft"

Einen anderen Standpunkt vertrat der katholische Priester Gerhard Höberth. Er glaube, es gebe einen guten Zugang vom christlichen Glauben zu Sexualität. „Das Lehramt finde ich in der Heiligen Schrift und im Katechismus. Und da sind keine leibfeindlichen oder sexualfeindlichen Stellen zu finden.“ Vielmehr lebe man in einer völlig über-sexualisierten Gesellschaft, „die die Sexualität zur Banalität verdammt. Es wird viel zu viel über Sexualität geredet“.

Über den Standpunkt des Islam zu Sexualität sprach die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates. Ihrer Ansicht nach braucht der Islam eine „sexuelle Revolution“. Der Hauptgrund für die Kluft zwischen der islamischen und der westlichen Welt, so Ates, sei das Thema Sexualität. „Wenn Frauen im Iran versuchen, das Kopftuch abzulegen, dann hat das viel mit der Unterdrückung der Sexualität zu tun“, so die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Wenn in islamischen Ländern von einer „verrohenden westlichen Gesellschaft“ die Rede sei, sei da mit eine „sexuelle Verrohung“ gemeint. „Beim Thema Sexualität ist der Islam noch im tiefsten katholischen Mittelalter.“ Dies könne man als „zeitverschobene Entwicklung“ beschreiben.

Islamische Länder sehen den Westen als "sexuelle verroht"

Als Beispiel für die rückständige Sexualmoral des Islam erzählte Ates von ihren persönlichen Erfahrungen aus Berlin, wo sie eine liberale Moschee gegründet hat, in der Frauen und Männer zusammen beten. Dafür erhalte sie regelmäßig Morddrohungen. „Worüber sich die meisten aufregen ist, dass Frauen die Männer als Sexualobjekte davon ablenken, sich auf das Gebet zu konzentrieren“, so Ates, die selbst Imamin ist.

Schaue man sich nur die Quellen an, sei der Islam nicht lustfeindlich. „Es ist im Grunde genommen so, dass beim Akt die Nähe zu Gott betont wird.“ Sexualität werde für Mann und Frau gleichberechtigt beschrieben, meinte Ates.

"Der Islam an sich ist nicht lustfeindlich"

Den Islam an sich als lustfeindlich zu bezeichnen, davor warnte auch  Hamideh Mohagheghi, islamische Theologin an der Universität Paderborn. „Es sind ja immer die Menschen, die Muslime, die den Islam auslegen und so formen“, erklärte Mohagheghi, die an der Deutschen Islamkonferenz teilnehmen wird.

In der Originalquelle des Koran sei zum Thema Sexualität nicht viel zu finden. Es gebe lediglich Überlieferungen, wie der Prophet Mohammed Sexualität praktiziert habe. „Es gibt jedoch auch Gedichte, die sehr offen von Sexualität handeln.“ Erst in den letzten 200 Jahren habe der Islam in dieser Hinsicht mit seiner Tradition gebrochen.

Die patriarchalischen Machtstrukturen, unter denen viele Musliminnen litten, ließen sich auch nicht immer nur mit der Religion begründen, so Mohagheghi, die ebenfalls Trägerin des Bundesverdienstkreuzes ist, sondern auch mit den Kulturen in den jeweiligen islamischen Ländern.

DT/mlu

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