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Objekt der Schaulust

Vor 20 Jahren verunglückte Prinzessin Diana (1961–1997). Ihr Tod löste in der ganzen Welt große Betroffenheit aus. Sogar das britische Königshaus musste sich dem medialen Druck beugen und eine besondere Anteilnahme zeigen. Und heute? Was ist von der Sentimentalität geblieben? War es ein Kult des Scheins? Von Georg Blüml
20. Todestag von Lady Diana
Foto: dpa | Am 20. Todestag werden die Erinnerungen an die sentimentalen Tage von 1997 wieder lebendig. Diese Lady-Diana-Porzellantasse, die zurzeit im Rahmen einer Ausstellung im Gloucester Life Museum in Großbritannien zu ...

In den frühen Morgenstunden des 31. August 1997 startete ein Mercedes S 280 an der Place Vendôme Nr. 18 und fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit durch Paris. Sein Ziel: die Rue Arsene Houssaye in der Nähe des Arc de Triomphe. Anstelle des direkten Weges wählte der Fahrer einen Umweg. Nach nur fünf Minuten prallte die Limousine um 0.25 Uhr gegen den Pfeiler einer Straßenunterführung in der Nähe der Ponte de l'Alma. Der stark alkoholisierte und unter dem Einfluss von Medikamenten stehende Fahrer Henri P. sowie der Eigner des Wagens, Dodi A., waren sofort tot. Dessen 36-jährige Begleiterin Diana S. verstarb gegen 4.00 Uhr morgens im Krankenhaus Pitié-Salpetriere an ihren inneren Verletzungen. Der Beifahrer Trevor S. überlebte schwer im Gesicht verletzt. Keiner der Fahrzeuginsassen war angeschnallt.

So oder so ähnlich hätte eine sachliche Meldung über die traurigen Geschehnisse dieser Nacht aussehen können – wäre nicht eines der Unfallopfer eine der Medien- und Fashion-Ikonen ihrer Zeit gewesen: Prinzessin Diana Frances von Wales, die geschiedene Ehefrau des britischen Thronfolgers Charles. So aber ging vor zwanzig Jahren vom Pfeiler dieses Pariser Straßentunnels ein seismisches Beben aus und um die Welt, dessen kollektive Trauer und Betroffenheit auslösende Schockwellen dem Ansehen des englischen Königshauses verheerende Schäden zufügten. Als am frühen Sonntagmorgen die Todesnachricht in Großbritannien eintraf, befand sich die Königsfamilie auf ihrem Sommersitz im schottischen Balmoral – fernab jeglicher medialen Erreichbarkeit.

Ein beim Kirchgang mit der Familie auf die Neuigkeit angesprochener, augenscheinlich erschütterter Tony Blair – damals erst seit wenigen Monaten ins Amt gewählter Labour-Premierminister – verbalisierte die Gefühlslage der geschockten Nation: Er bezeichnete die verstorbene Diana als „Prinzessin des Volkes“ – diese damit gleichsam kanonisierend. Mit ihrem Tod war „Lady Di“ umflort von übernatürlichem Glanz – mehr noch, als zu ihrer Hochzeit 1981, als das Glück der gelernten Kindergärtnerin an der Seite ihres Traumprinzen Charles noch unendbar schien. Ihr anfangs unsicher-scheues Auftreten, ihr bezauberndes Lächeln, selbst ihr im Rahmen ihrer königlichen Pflichten normales Engagement für karitative Einrichtungen erstrahlten im hellsten Licht und Diana wurde zu einer halbmythischen Gestalt hochstilisiert. Ausgeblendet wurden ihre Schattenseiten – ihre Unbeherrschtheit, ihre außerehelichen Affären und auch ihre manipulative Art, die Presse zu beeinflussen, um ihre Bulimie und das Scheitern ihrer Ehe allein Prinz Charles und der Kälte des Königshauses anzulasten.

In den Folgetagen schwoll die Menge der vor Buckingham Palace und dem letzten Wohnsitz der Prinzessin niedergelegten Blumen, Briefe, Grußpostkarten, Teddybären und Kerzen zu einem Meer an. Von Tag zu Tag erhöhte sich der Druck auf das Königshaus, Stellung zu nehmen. Die Königin aber schwieg. Als besonderes Ärgernis wurde empfunden, dass über dem Palast keine Trauerbeflaggung wehte. Dies entsprach den in Monarchien üblichen Gepflogenheiten – die Fahne weht nur, wenn der König anwesend ist und kann auch nicht auf Halbmast gesetzt werden, da die Krone im Augenblick seines Todes unmittelbar auf den Thronfolger übergeht und es somit nie eine königslose Zeit gibt. In den gefühlsschwangeren Tagen von 1997 aber wurde dieser Umstand damit erklärt, dass das abgehobene Königshaus – das in seiner unterkühlten Contenance der Märchenprinzessin das Glück schon zu Lebzeiten versauert habe – auch angesichts ihres Todes kein Mitgefühl zeige.

In eilig in Auftrag gegebenen Umfragen wurde die britische Monarchie erstmals mehrheitlich in Frage gestellt. Die Briten verloren ihre traditionelle Zurückhaltung und versanken mehrheitlich für sieben Tage in einer durch die Medien aufgestachelten Sentimentalität. Bis schließlich die anfangs geplante, private Beerdigung der Prinzessin – die nach ihrer Scheidung zwar Mitglied des Königlichen Haushalts war, aber nicht mehr königliche Hoheit – zu einem Staatsakt aufgestockt worden war. Unter dem Druck „des Volkes“ wehte über Buckingham anstelle der Königlichen Standarte der Union Jack (die britische Fahne) auf Halbmast und die Königin konnte mit einer Live-Ansprache knapp ihre Krone retten. Etwa drei Millionen Menschen sahen den Trauerzug durch London. Angeblich rund 2,5 Milliarden Menschen verfolgten weltweit im Fernsehen die Trauerfeier – Folgen einer Massenhysterie.

Paniken und Hysterien treten in größeren Menschenmengen auf. Bei Fußballspielen, auf Konzerten, aber auch im Rahmen von Pilgerfahrten. Dabei muss nicht unbedingt eine tatsächlich lebensbedrohliche Situation vorliegen. Auch ein an sich ungefährliches Ereignis kann in einer unübersichtlichen Situation zu einer Massenpanik führen, wenn mehrere Personen von der Panik eines Einzelnen angesteckt werden. Plötzlich und unerwartet breiten sich extreme Angst und Verwirrung aus. Die unkontrolliert reagierenden Menschen stecken wiederum diejenigen an, die den ursprünglichen Auslöser der Panik nicht mitbekommen haben. Für sie ist das Verhalten der anderen der Hinweis auf eine Bedrohungslage. Unlängst kam es in Turin während einer öffentlichen Fußballübertragung zu einer solchen Massenpanik. Die Latenz der aktuellen, medial präsenten Terrorbedrohung ließ ein plötzliches lautes Knallgeräusch zum Auslöser einer akuten Todesangst werden. Die massenhaft einsetzenden Fluchtreflexe führten zu 1 500 Verletzten.

Im Informationszeitalter verbreiten sich hysterische Syndrome aber nicht mehr nur über die instinktive Wahrnehmung des Menschen, sondern auch über die Kommunikations-Netzwerke, also Massenmedien wie Presse, Radio und Fernsehen; in den letzten zwanzig Jahren – hypertroph beschleunigt – auch durch das Internet. Zur Erklärung der Wirkungsweise bemühen Sozial- und Kulturwissenschaftler den Begriff des Mems. Nach der nicht unumstrittenen Memtheorie handele es sich beim Mem um einen einzelnen Bewusstseinsinhalt, etwa einen Gedanken. Dieses Mem werde – durch Kommunikation weitergegeben – soziokulturell auf ähnliche Weise vererbbar, wie Gene dies auf biologischem Wege sind. Analog zur Genetik seien bei der Weitergabe der Meme auch Mutationen möglich – etwa durch Missverständnisse. Ohne hier auf die Kritik an dieser Theorie en detail einzugehen, erscheint sie zur Deutung der „weltweiten“ Massentrauer um „Lady Di“ durchaus reizvoll: Prinzessin Diana war ein Objekt der Schaulust, der individuellen und kollektiven Aufmerksamkeit; eine Trägerin von gemeinschaftsstiftenden Emotionen. Ihre ehelichen Probleme schienen durch die Berichterstattung der Medien mit ihrem Narrativ von der Frau wie du und ich, die sich heldenhaft gegenüber einem eingespielten Machtapparat durchzusetzen vermag, hautnah nachvollziehbar. Über die technischen Medien der damaligen Zeit sei das Verlustgefühls-Mem – zumindest nach Ansicht des Bloggers und Online-Journalisten Florian Rötzer – damals unerkannt in das Betriebssystem der Informationsgesellschaft eingedrungen. Dort habe es das wichtigste „Organ“ befallen: die Aufmerksamkeit selbst – „eben das, was die Medien suchen und permanent inszenieren“. Die Folge sei eine memetische Ansteckung gewesen – eine zwar nicht aktiv gesteuerte, aber sich epidemisch verbreitende, kollektiv erlebte Wirkung des Todes der Prinzessin als persönlich empfundenes Verlustereignis.

1997 war das Internet in seiner Bedeutung als Masseninformationsmittel ein zwar im Wachsen begriffenes, aber noch zu vernachlässigendes Medium. Heutzutage jedoch sind die damals führenden Massenmedien selbst wie zu einem Zirkel an dieses angeschlossen. Die Vorbedingungen für eine virale Verbreitung derartiger Meme sind heute weit günstiger als damals. Dies erklärt die in unserer hektischen Medienlandschaft alltäglich durch das mediale Dorf getriebenen Schweineherden – sei es in Shitstorm oder Vergötzung; sei es Russlandberichterstattung, Willkommenskultur oder Trumphysterie. Zur Stärkung des Immunsystems – des unabhängigen, besonnen abwägenden Denkens – bleibt aufgrund der Beschleunigung des Informationsflusses kaum mehr Zeit. Zu groß ist die Konkurrenz, zu groß der Druck auf die Medienschaffenden und auf die von den Medien Erschaffenen. Und zu groß ist auch die Sehnsucht unserer Gesellschaft nach dem kollektiven Erlebnis – nach einer Gemeinsamkeit, wo keine ist. Von der Trauerhysterie um „Lady Di“ blieb ein eher schaler Nachgeschmack. Zwar versucht bisweilen der eine oder andere Privat-TV-Sender, noch immer Kasse mit ihrem verblichenen Ruhm zu machen. Doch das Interesse an bis dato noch unveröffentlichten Hintertreppengeschichten ist merklich zurückgegangen – wie auch der Handel mit Diana-Devotionalien.

Im Rückblick erscheinen die hektischen „Santo-Subito“-Rufe von damals vielen Briten heute eher peinlich. Man quittiert sie mit einem Kopfschütteln. Der Nimbus der „Königin der Herzen“ – oder gar „Unserer Lieben Frau von der verlorenen Unschuld“, wie Diana einmal von einer Times-Kolumnistin bezeichnet wurde – ist deutlich verblasst. Er blieb Illusion – nicht dauerhafter als das Flackern einer Kerze im Wind, wie der Titel des zu ihrer Beerdigung von Elton John aufgewärmten Hits lautete. Zweifellos war sie ihren beiden Söhnen eine liebevolle Mutter. Doch ihr soziales Engagement wird heute nüchterner bewertet. Beerdigt wurde sie übrigens mit einem Rosenkranz in der Hand. Er stammt von einer Frau, die wohl nachhaltiger karitativ wirkte, als die Prinzessin von Wales – sie erhielt ihn von der inzwischen tatsächlich heilig gesprochenen Mutter Teresa von Kalkutta.

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