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Mein Tagesposting: Kann Selbsthass gesund sein?

Von Johannes Hartl
Johannes Hartl
Foto: Glöckner, Jutta |

Zunächst: Ein zu viel an Selbstbewusstsein kann definitiv ungesund sein. Dies entgegen des rein positiven Rufes, den das Selbstwertgefühl gemeinhin genießt. Man muss sich durchsetzen können. Wissen, was man will. Selbstbewusst auftreten. Liebe dich selbst! Nichts schädlicher also, sich abzulehnen, oder?

Wie jedoch verhielte es sich mit einem Menschen, der durch und durch böse agiert? Würde man auch ihn ermutigen, das Wichtigste sei, dass er sich selbst mag? Ein Mensch, der an seinem abgrundtief Bösen nichts Schlimmes findet, ist der denkbar? Die Antwort fällt spätestens seit den Nürnberger Prozessen leicht. Es sind die schrecklichsten Schandtaten der Menschheit, die strotzend von Stolz darauf und unbelastet von Selbstzweifel begangen wurden. So vollkommen der Panzer des Selbstbewusstseins, dass kein Gewissensbiss je auf einen lebenden Nerv treffen konnte. Doch man muss nicht einmal so weit schweifen. Jeder Mensch, der aufmerksam in sein eigenes Inneres blickt, findet darin höchst unterschiedliche Impulse. Bei weitem nicht alle sind gut. Erstaunlicherweise jedoch erscheinen die Sünden der anderen immer gewichtiger als die eigenen.

Unsere eigenen Schwächen entschuldigen wir mit großer Selbstverständlichkeit, doch wehe, jemand anders tut mir weh. Liebe macht blind, Selbstliebe mitunter auch. Freilich gibt es den Wert der gesunden Selbstannahme. Wenn es Jesu Auftrag ist, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, kann es niemals in seinem Sinne sein, in Feindschaft zu sich selbst zu leben. Doch christliche Liebe ist nicht blind für die Realität, sie „freut sich an der Wahrheit“ (1 Kor 13, 6). Und so ist die Rede von der Selbstannahme richtig und wichtig, wo es darum geht, Frieden mit dem eigenen Leben zu schließen, den eigenen Grenzen, dem eigenen Sosein. Das ist eigentlich die tiefste Bedeutung der Gotteskindschaft, von der Jesus spricht: sich selbst aus der Hand des Vaters empfangen. Seine bedingungslose Annahme befreit den Menschen zum selbstverantwortlichen Leben. Umso offensichtlicher wird hier das heute höchst populäre Zerrbild. Zum Beispiel in der Kindererziehung. „Du bist etwas ganz Besonderes“, bekommt heute in etwa jedes Kind gesagt. Ist das Lob der Eltern nicht oft genug der Ersatz für wirkliche emotionale Nähe und Zeit?

Kinder, die für alles gelobt werden, egal, ob die Leistung lobenswert war oder nicht, erwarten später als Erwachsene ein Umfeld der grenzenlosen Bestätigung. Hier ist Enttäuschung vorprogrammiert. Es gibt tatsächlich ein Zuviel an Selbstwertgefühl. Man nennt es „Narzissmus“, der letztendlich krankhafte Ausfall gesunder Selbsteinschätzung. Er verhindert Beziehung und macht einsam. Kein Mensch ist ganz frei davon. Kein Mensch hat nur lobenswerte Regungen in sich. Und so ist gesundes Misstrauen gegen sich selbst Kennzeichen eines seelisch heilen Menschen, der um seine Schatten weiß. Tatsächlich predigte derselbe Jesus, der von der Selbstliebe sprach, auch die Verleugnung des Selbst. Nachfolge Jesu ist nicht möglich ohne das entschiedene Nein zu allen Träumen der Selbstkrönung. Nur in der Hingabe, nur in der Demut ist Beziehung möglich. Nur dort ist das Glück zu finden. „Sei verliebt in dich selbst und du wirst einsam“, so sollte der Titel eines Ratgebers lauten.

 
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