Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung

Medienhype und Menschlichkeit

Die deutsche Fußballnationalmannschaft erlebte bei der Weltmeisterschaft in Russland eine Pleite historischen Ausmaßes. Von Peter Dewald
WM 2018 - Südkorea - Deutschland
Foto: - (kyodo) | 27.06.2018, Russland, Kasan: Fußball: WM, Vorrunde, Gruppe F, 3. Spieltag: Südkorea - Deutschland in der Kasan-Arena. Mesut Özil (l) aus Deutschland geht nach der Niederlage über den Platz.

Mit der unerwarteten Niederlage gegen Südkorea ist sie in der Vorrunde ausgeschieden, was noch keiner deutschen Mannschaft widerfuhr. Als Ziel hatte die Mannschaft eine ganz andere historische Marke ausgegeben: sie wollte die erste deutsche werden, die den Weltmeistertitel erfolgreich verteidigt. Nun ist in der Presse von der „größten Schande der DFB-Geschichte“ die Rede, von „blamierten Weltmeistern“ oder einer „gedemütigten Nation“. Wie es dazu kommen konnte, wussten die nationalen und internationalen Medien am Tag danach recht genau: Deutschland spielte „behäbig und ängstlich“, die Spieler waren „kraftlos“, einfach zu „satt“ und „selbstgefällig“. Ja teils agierte das Team mit einer „gewissen Aufgeblasenheit“. Bundestrainer Jogi Löw besaß zudem keinen wirklichen Plan und agierte zusehends unflexibel. Er habe sich einen „undurchlässigen Muskelpanzer“ angeeignet, an dem alles abzuprallen schien.

Jedes wichtige Fußballspiel wird von einem lauten (und mitunter selbstgefälligen) Medien- und Gesellschaftsspiel begleitet, in dem Schwächen schonungslos offen gelegt und Siege in den schillerndsten Farben ausgemalt werden. In diesem Medienhype ist um den Fußball eine künstliche Welt entstanden, die von überhöhten und übermenschlichen Helden bevölkert wird und von tragischen Figuren, vor deren Charakterschwäche sich der Zuschauer tunlichst in acht nehmen sollte.

Die Versager des deutschen Ausscheidens führten uns die Medien deutlich vor Augen, verbunden mit dem Rat, dass es für eine Reihe an Akteuren Zeit sei zurückzutreten.

Vielleicht kann uns die „historische Blamage“ der deutschen Mannschaft auch jenseits der üblichen medialen Verarbeitung etwas sagen. Eigentlich ist es banal festzustellen, dass die deutschen Spieler, so schillernd sie uns oft in den Medien gezeigt werden, schlicht Menschen sind, denen die Nerven einen Streich spielen können, so dass sie unerklärliche Fehlpässe spielen, hundertprozentige Torchancen liegen lassen oder schlichtweg, wenn es darauf ankommt, komplett versagen. Der Druck, Weltmeister zu sein und wieder werden zu müssen, war offensichtlich einfach zu groß. Auch dies ist ein Erzeugnis des Medienhype, der Helden aufbaut, die an den nun an sie gestellten - überzogenen - Erwartungen zwangsläufig scheitern werden. Dieser Mechanismus aber interessiert sich nicht für die dahinter stehenden Menschen, nicht, wenn er sie zu Kunst-Helden aufbaut und erst recht nicht, wenn er sie wieder vom Sockel stößt. Die Sportler werden als Ware behandelt, die unserer Unterhaltung dienen.

Der Zuschauer ist im Medienspiel ein Komplize. Die einfachen Emotionen, die die Fußballübertragungen heraufbeschwören, und von blanker Verehrung bis Ärger reichen, hallen in seinem Inneren wider. Von den Medien genährt, hat er in seinem Kopf ein eigenes kleines Universum an aktuellen Helden und unliebsamen Spielern.

Während in Südkorea nun Fußballhelden mit den Namen Kim und Son emporgehoben werden, reden in Deutschland die Menschen in den Büros und in der Schlange beim Einkaufen darüber, wer denn nun die Schuldigen sind. Bei aller anschließenden Enttäuschung und manchem Ärger könnte das aber ein echter Gewinn der deutschen Niederlage sein: wenn der Zuschauer jenseits des Medienhype die eigenen Erwartungen hinterfragt, seine überzogenen Heldenbilder relativiert und sich vor Augen führt, dass hinter dem „historischen Desaster“ schlicht Menschen stehen, über die man menschlich reden sollte und die durchaus auch unser Mitgefühl verdienen.

Themen & Autoren

Weitere Artikel

Wir alle haben Helden. Das ist auch gut so. Doch die Heiligen sind nicht nur unsere Helden, sie können auch unsere Freunde im Himmel sein.
19.03.2024, 07 Uhr
Kai Weiß
Vielleicht ist unsere Nationalhymne einfach nicht martialisch genug, damit es für den Titel reicht.
23.11.2022, 13 Uhr
Josef Bordat

Kirche