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Manolo Lozano Garrido - Ein moderner Sterndeuter

Der selige Manolo Lozano Garrido erkannte seine literarische Berufung in der dunklen Nacht des Leidens. Von Regina Einig
Der selige Manolo Lozano Garrido.
Foto: IN | Journalist mit Apostolatseifer: Der selige Manolo Lozano Garrido.

Recherchieren und reisen gehören zum journalistischen Handwerk. Der 2010 im südspanischen Jaén seliggesprochene Autor Manuel Lozano Garrido (1920–1971) musste auf beides weitgehend verzichten. Ein Vierteljahrhundert war er an den Rollstuhl gefesselt, neun Jahre vor seinem Tod erblindete er. Dennoch hinterließ der Andalusier ein faszinierendes, menschlich anrührendes literarisches Werk. Schreiben war für ihn Apostolat. Ein Freund beschreibt „Lolo“ – so wird Lozano Garrido in seiner Heimat Linares bis heute genannt – wie einen Mönch: „Er widmete sich dem Christsein und dem Glauben.“

Zunächst als in der Katholischen Aktion engagierter Laie, der auf dem Fußballfeld durch sportlichen Kampfgeist auffällt. Prägende geistliche Figur im Leben des jungen Halbwaisen ist der tiefgläubige, pflichtbewusste Großvater, in dessen Haus die Familie lebt. Lolo ist eigentlich kein Intellektueller, sondern eher ein dynamisches Alphatier. Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1936 verändert alles. Von Anfang an ist den Roten die tief in der katholischen Kirche verwurzelte Familie Lozano Garrido ein Dorn im Auge. Im Haus der Familie Lozano Garrido feiert die Katholische Aktion nach der Zerstörung der Pfarrkirche von Linares heimlich heilige Messen. Lolo bringt Pfarrangehörigen heimlich die Kommunion und verbringt drei Monate im Gefängnis. 1938 wird er vom sogenannten „Schnullerbataillon“ rekrutiert, das überwiegend aus militärisch unerfahrenen Minderjährigen besteht und die letzten republikanischen Stützpunkte in den Alpujarras gegen Francos Truppen verteidigen soll. Nach Kriegsende besteht Lolo das Abitur und veröffentlicht erste Artikel. Als er nach Kriegsende aufgefordert wird, seine ehemaligen Gegner anzuzeigen, die ihn verhaftet und gefangengehalten hatten, lehnt er ab. Während seines Militärdienstes in Madrid zeigen sich 1942 die ersten Krankheitssymptome: Rheuma und Arthritis. Lähmungen zwingen ihn bald zum Leben im Rollstuhl. Zahlreiche Spitalaufenthalte folgen ohne Fortschritte, bescheren ihm aber Zeit für intensive Lektüre. Lolo liest Guardini, Bernanos, Green, Camus und Sartre – und reift innerlich. 1943 wird er ausgemustert und kehrt nach Linares zurück. Mit Hilfe seiner Schwester und zahlreicher Freunde bewältigt der Schwerbehinderte den Alltag. 1961 erblindet er.

In seinen Essays ist das Leiden das Leitmotiv. Ein moderner Johannes vom Kreuz, der häufig in Dialogform mit Gott Betrachtungen über die dunkle Nacht des Lebens austauscht und seinen Leser auf die Sterne hinweist, an denen er sich orientiert – Glaube und Gebet. Die Titel seiner bis dato nicht ins Deutsche übersetzten Bücher verweisen auf die geistliche Botschaft. Am runden Tisch mit Gott („Mesa redonda con Dios“) oder Briefe mit Kreuzzeichen („Cartas con la senal de la cruz“), Reportagen vom Gipfel („Reportajes desde la cumbre“). Vielen seiner Kurztexte haftet etwas Fragmentarisches an. Geistliche Erfahrungen verdichtet er auf wenige Zeilen: In der Textsammlung „Schwalben wissen nie, wieviel Uhr es ist“ („Las golondrinas nunca saben la hora“) berichtet Lozano Garrido ohne Selbstmitleid über seinen Alltag im Rollstuhl. Die Kritik ist begeistert: Lolos Texte überzeugten als Gottesbeweis mehr als hundert apologetische Trakte. Ungewöhnlich für das zwanzigste Jahrhundert ist die christliche Sicht des Schmerzes in ihnen: Sie lässt Platz für Hoffnung und intoniert versöhnliche Töne statt verbitterter Klage.

Im Frühjahr 1958 fährt der auf vierzig Kilo abgemagerte Lozano Garrido auf den Rat eines Geistlichen hin nach Lourdes. Die Pilgerfahrt wird zur physischen Tortur, erhellt aber die Seele: „Mein Horizont ist weiter geworden und ich spüre meine unbewegliche Menschheit.“ Eucharistie, Gebet und Marienverehrung bilden den Kern seines Apostolats. Mit einer langen Adressliste reist der Gelähmte nach Hause. Und leuchtet die Bandbreite der Liebe aus: In seinem Reisebericht über Lourdes zeichnet er im Kapitel „Das Opfer“ sensibel die geistliche Entwicklung des ichverhafteten Menschen zur selbstlosen Liebe nach. Das eigentliche Wunder von Lourdes besteht für ihn in der Fähigkeit, sich selbst nicht mehr in den Mittelpunkt des eigenen Betens zu stellen, sondern für die Brüder und Schwestern in Not zu bitten. Aus der Pilgerfahrt entstehen Brieffreundschaften unter Kranken, die sich gegenseitig im Gebetsapostolat bestärken: die Initiative „Sinai“. Ihre Mitglieder beten insbesondere für die katholische Presse. Ehe der Autor erste Literaturpreise erhält, erkennen die Leser sein Apostolat an: Briefe in Hülle und Fülle treffen in Linares ein – Lichtblicke für Lolo.

Auch wenn Lozano Garrido nie eine eigene Aphorismensammlung herausgegeben, beherrscht er die Kunst, auf knappem Raum Wesentliches zu sagen: „Wenn Gott die Glücksbilanz unseres Lebens zieht, gleicht er zuerst unseren geistlichen Reichtum aus“; oder „Krankheiten an sich haben einen Wert mit eigenem Gesetz und Reichtum“. Seine wichtigsten Publikationen sind der autobiografische Roman „El árbol desnudo“ (Der nackte Baum) und Erzählungen „El sillón de ruedas“ (Der Rollstuhl). Die Summe seiner geistlichen Erfahrungen steckt in „Las estrellas se ven de noche“ (Nachts sieht man die Sterne). Eine Sammlung origineller Texte findet sich in „Mesa redonda con Dios“ (Runder Tisch mit Gott). Im fiktiven Dialog mit dem Gekreuzigten („Ante el Cristo de un millón de pesetas“) formuliert der Autor sein Ringen mit der modernen Sakralkunst. Jahrelang schreibt Lolo für die katholische Zeitschrift „Vida nueva“. Als er 1971 stirbt, verehren ihn viele bereits als heiligmäßig. Sein journalistisches Motto ist im Zeitalter der Fakenews bedenkenswert: „Schreib auf den Knien, um zu lieben, im Sitzen, um zu beurteilen, aufrecht und kraftvoll, um zu streiten und die Saat auszustreuen.“

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