Die nun schon etwas zurückliegenden Auseinandersetzungen Anfang des 21. Jahrhunderts exponierten eine wichtige Zeitdiagnose: Wir leben in „postsäkularen“ Zeiten. Jürgen Habermas hat diesem Schlagwort 2001 anlässlich seiner Ansprache zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels zu Bekanntheit verholfen. Die Rede veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag unter dem Titel „Glaube und Wissen“. In jenem Jahrzehnt wurden der weltweite Aufbruch des Islam, die Wahl eines Deutschen zum Papst, die Debatten um die Aufnahme eines Gottesbezuges in der geplanten EU-Verfassung und einiges mehr intensiv diskutiert.
Funktionalistischer Blick auf Religion
Aufsehen erregte sein 2004 an der Münchner Katholischen Akademie veranstaltetes Kolloquium mit dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger. Das Gespräch fiel erstaunlich harmonisch aus. Habermas schloss in seinem Referat an Ernst-Wolfgang Böckenfördes berühmte „Voraussetzungen“ des freiheitlichen Rechtsstaates an. Die funktionalistische Brille legte er beim Blick auf transzendente Phänomene nicht ab. Religiöse Gemeinschaften hätten der „entgleisenden Modernisierung“, insbesondere deren Tendenz zur ökonomischen Entsolidarisierung, etwas entgegenzusetzen.
Habermas – bald wieder ganz der Alte
In der Tat: Wer wüsste nicht um den selbstlosen Einsatz vieler Vertreter kirchlicher Sozialdienste, die weit mehr leisten als sie (finanzielle) Gegenleistungen seitens der Gesellschaft erhalten? Bald konnte man wieder Vorbehalte des „alten“ Habermas bemerken. Als Papst Benedikt XVI. 2006 seine viel beachtete Rede in Regensburg gehalten hatte, monierte der Philosoph, dass das Kirchenoberhaupt Spätmittelalter und Nominalismus zu negativ eingeschätzt habe, lägen doch in jener Epoche wichtige Wurzeln von Liberalismus und Moderne. Da war er wieder, der Gralshüter von Aufklärung und Fortschritt!
DT/ari
Warum dies nicht überrascht, welche Bedeutung der Nationalsozialismus für den Philosophen hatte und wie Habermas' Lebensweg nach links genau verlief, erfahren Sie in der „Tagespost“ vom 13. Juni 2019.