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Simeon Solomon: Glückloses „Wunderkind“

Präraffaelit mit jüdischen Wurzeln: Der britische Maler Simeon Solomon (1840-1905).
Simeon Solomons Werke in der Villa Stuck in München
Foto: Andreas Gebert (dpa) | Simeon Solomons Gemälde "Habet!" in einer Ausstellung in der Villa Stuck in München. Solomon gehörte der 1848 gegründeten Künstlergruppe der Präraffaeliten an.

Auf die abendfüllende Frage danach, wann die ersten Verfallserscheinungen in der europäischen Kunst sichtbar wurden, gaben die angelsächsischen Präraffaeliten eine der ungewöhnlicheren, womöglich aber auch bloß eine der konsequentesten Antworten: Nicht erst Aufklärung oder Industrialisierung, Revolutionsarchitektur oder Maschinenkunst hätten demnach die Saat aller späteren Miseren gepflanzt, sondern bereits das gemeinhin als ästhetisch sakrosankt betrachtete Cinquecento: Namentlich Raffael mit seinem letzten großen Werk, das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als berühmtestes Gemälde der Welt galt: Der „Transfiguration“, in der die Verklärung Christi auf Berg Tabor mit der Heilung des besessenen Knaben aus dem Markusevangelium in Beziehung gesetzt wird.

Dass von sämtlichen Figuren im unteren Bildteil allein der Besessene den Heiland zu erblicken imstande sei, so bemängelten die englischen Puristen, stehe nicht nur im Widerspruch zum Wort der Schrift, sondern lasse auch für das Christentum wenig schmeichelhafte Rückschlüsse zu. Außerdem fehle es der Darstellung insbesondere des Erlösers an spiritueller Wahrhaftigkeit. Um ihrem Plädoyer für Ernst und Strenge, für größere Detailtreue und eine zuweilen beinah gotisch starre Formensprache institutionellen Nachdruck zu verleihen, gründen sieben junge Kunststudenten um den Maler und Dichter Dante Gabriel Rossetti 1848 die Präraffaelitische Bruderschaft.

Über die folgenden Jahrzehnte hinweg werden in Londoner Ausstellungen immer wieder Gemälde auftauchen, die unter dem persönlichen Signum des jeweiligen Künstlers das kryptische Kürzel PRB (Pre-Raphaelite Brotherhood) aufweisen. Dabei hört einer der jüngsten unter den Verbündeten, der 1857 als 17-jähriges Wunderkind zur Gemeinde stößt, auf einen Namen, der kaum weniger gesucht und erkünstelt anmutet als selbst noch die preziösesten Gemälde seiner Brüder im Geiste: Simeon Solomon. Solomons Signatur, das doppelte „S“, ähnelt in manchen Bildern von fern der Schlange, die sich von antiken Darstellungen ab bis in das zeitgenössische Apotheker-Emblem hinein um den Stab des Heilgottes Äskulap rankt. Diesem weithin wiedererkennbaren Zeichen zum Trotz darf Solomon heute als vergessenster unter den ihrerseits im kollektiven Gedächtnis nicht gerade felsenfest verankerten Präraffaeliten gelten. Über lange Strecken und in bestimmten Kreisen fand die prätentiöse Selbstbezeichnung des Malerbundes gar als gattungsübergreifendes Hohnwort Verwendung: So sprach noch der Protestant Rudolf Alexander Schröder in einem Brief an Josef Hofmiller von den gespreizten Erzeugnissen des frühen George-Kreises als der „kümmerliche(n) Karikatur eines unfruchtbaren Präraffaelismus“.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Armut

1840 in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, stellt Solomon unter den Vertretern seines Faches eine seltene Ausnahme dar. Man mag Marc Chagall nennen, Camille Pissaro oder Felix Nussbaum, der mit seinem „Triumph des Todes“ (1944) das malerische Pendant zu Celans zeitgleich entstandener „Todesfuge“ schuf. Ansonsten aber hat sich die bildende Kunst, zumal im Vergleich mit Musik und Literatur, bisher als für Juden eher ungünstiges Pflaster erwiesen. Das mag einerseits in der talmudischen Tradition begründet liegen, in einer bewundernswürdigen Schriftgelehrsamkeit also, die zwar über Jahrhunderte hinweg wirksam vor Analphabetismus schützte, nicht jedoch vor jenem Hang zur Abstraktion, der Literaten oder Philosophen gelegener kommt als Malern.

Doch auch äußere und politische Faktoren wusste der Historiker Michael Wolffsohn 2017 im „Tagesspiegel“ als ursächlich zu benennen: „In dem Augenblick, wo mit dem ersten Kreuzzug die Judenverfolgungen begannen, war Schluss mit der Bildtradition – und das Judentum wandelte sich zu einer tragbaren Religion, wie es Heine formuliert hat. Bücher und Wissen lassen sich leichter transportieren als ein Tempel. Ein winzig kleiner, nicht besonders schöner Gebetsraum reichte meist. Auch deshalb ist die jüdische Ästhetik unterentwickelt.“ Zu den sagenhaftesten Blüten, die die jüdische Bildtradition vor ihrem gewaltsamen Abriss durch erste Verfolgungen getrieben hatte, zählt der Salomonische Tempel in Jerusalem, der im Zuge der Eroberung durch die Chaldäer 586 v. Chr. zerstört wurde. Als Glaubensbruder sowie Namensvetter des mythischen Bauherrn ist Solomon prädestiniert für ein entsprechendes Porträt, das er 1872 in Angriff nimmt.

Von biblischen Motiven zur hellenistischen Sagenwelt

Nach einem biografischen Bruch 1873, er wurde für das Ausüben einer homosexuellen Handlung an einem öffentlichen Ort verurteilt, muss sich der Maler in seinen Materialien zunehmend einschränken, sodass eine Fülle von Skizzen die großformatigen Ölgemälde der Anfangszeit ablöst, wobei sich Solomon auch in der Wahl seiner Motive vom Umkreis des Alten Testaments fort- und hinzubewegen beginnt zur hellenischen Sagenwelt: Gewissermaßen von Salomon zu Sappho, die er nun gleich mehrfach ins Bild setzt, bis er 1905 verarmt und von der offiziösen Kunstszene gemieden in London stirbt. Unter ästhetischen Gesichtspunkten – und für christliche Betrachter ohnehin – dürften die frühsten Meisterwerke des glücklosen „Wunderkindes“ mit ihren zahlreichen judeo-christlichen Bezügen von bleibenderem Interesse sein als das pantheistisch durchwehte Spätwerk.

Als eines der faszinierendsten und wohl auch der bekanntesten Gemälde von Solomons Hand kann jenes der drei Hebräer angeführt werden, an denen der Gott des Alten Testaments im 3. Buch Daniel seine Macht beweist: „Mesach, Sadrach und Abed-Nego“. Nachdem sich die Männer weigern, ein vom babylonischen König Nebukadnezar aufgestelltes goldenes Bild im Tal Dura anzubeten, werden sie genötigt, ihren Glauben auf die Feuerprobe zu stellen.

Im weitläufigen Ofen, der auf Geheiß des Herrschers noch einmal um das Siebenfache erhitzt wird, kommt den glaubensfesten Freunden ein Engel zu Hilfe, der seine Wirkung auf Nebukadnezar nicht verfehlt: „Sehe ich doch vier Männer frei im Feuer gehen und sie sind unversehrt; und der vierte ist gleich, als wäre er ein Sohn der Götter. Und Nebukadnezar trat hinzu vor das Loch des glühenden Ofens und sprach: Sadrach, Mesach, Abed-Nego, ihr Knechte Gottes des Höchsten, geht heraus und kommt her!“ Wollte man von hier aus den Kreis schließen zum Beginn dieser Betrachtung, dann böte es sich an, Solomons Gemälde nicht nur als nachträgliche Illustration der Heiligen Schrift aufzufassen, sondern auch als Vorwegnahme nach wie vor viel gesungener Verse aus der Feder des selben Rudolf Alexander Schröder, der die Vokabel des „Präraffaelismus“ später gegen Stefan George als Kampfbegriff ins Feld führte: „Es mag sein, dass Frevel siegt, / Wo der Fromme niederliegt; / Doch nach jedem Unterliegen / Wirst du den Gerechten sehn / Lebend aus dem Feuer gehn, / Neue Kräfte kriegen.

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Johannes Mahraun Bibel Christentum Jesus Christus Juden Judentum Marc Chagall Markusevangelium Michael Wolffsohn Raffael Rudolf Alexander Schröder Stefan George

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