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Gender: Wie man einer Debatte ausweicht

Die Gender-Theoretiker und ihre intoleranten Bodentruppen: An der TU Wien machten sie am Freitag sichtbar, was sie vom akademischen Diskurs halten. Von Stephan Baier
KOMBO - Ampelmännchen und Ampelfrau
Foto: dpa (dpa) | ACHTUNG: DIESER BEITRAG DARF NICHT VOR DER SPERRFRIST, 20. September, 15.00 Uhr, VERÖFFENTLICHT WERDEN! EIN BRUCH DES EMBARGOS KÖNNTE DIE BERICHTERSTATTUNG ÜBER STUDIEN EMPFINDLICH EINSCHRÄNKEN.

Universitäten sind seit Jahrhunderten Orte des intellektuellen Austauschs, der akademischen Debatte und der gewichteten Argumente. Zumindest sollte es so sein. Und es könnte ja auch so sein, wenn alle Akteure sich darauf verständigen wollten. Am Freitagabend im prachtvollen Kuppelsaal der Technischen Universität Wien trug sich ein Paradebeispiel dafür zu, wie der redliche Versuch einer akademischen Debatte boykottiert und sabotiert, verunmöglicht und verhindert werden kann.

Da hatten die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) und das Wiener Institut für „Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie“ (RPP) zu einer Diskussion über „Gender-Debatten“ geladen. Viele waren gekommen. Nicht alle aber, um zu hören, zu lernen und zu diskutieren. Ein Block von überwiegend schwarz gewandeten Störern johlte, schrie und beflegelte Redner wie Diskutanten. Ihr Ziel war offenkundig die Zerschlagung der gut besuchten Veranstaltung. Da wurde etwa im selben Gebäude rasch eine thematisch idente Gegenveranstaltung angesetzt, um Besucher in die Irre zu leiten. Irgendwann lösten die Störer den Feueralarm aus, um die offenbar unangenehme Debatte abzubrechen.

Die Wiener Feuerwehr reagierte klüger und besonnener. Die Diskussionsleiterin auch: Gudrun Kugler, seit einigen Tagen ÖVP-Abgeordnete im österreichischen Parlament, agierte so souverän und gelassen wie eine pädagogisch geschulte und lebenserfahrene Kindergärtnerin. „Das Thema regt auf, und das ist gut“, meinte sie einleitend, mahnte immer wieder lächelnd zu einer Diskussionskultur und erinnerte ruhig daran, „dass wir gemeinsam nachdenken könnten, wenn wir das wollten“. Einige wollten. Andere nicht.

Am Ende resümierte Gudrun Kugler: „Stören ist ein Armutszeugnis.“ Es sei ein Zeichen von Intoleranz – und auch schade um die kostbare Zeit. Gleichwohl führte sie bewundernswert gelassen durch den Abend, der letztlich nicht arm war an Erkenntnisgewinn. Da wäre etwa die Einsicht, dass es auch in dieser Dekade hochideologische Positionierungen gibt, die allergisch reagieren, wenn Vernunftargumente oder Überzeugungen anders als deckungsgleich daherkommen.

Als die Publizistin Gabriele Kuby die Widersprüche der Gendertheorie (Sichtbarmachen der Frau versus Abschaffung der Geschlechter) aufzeigte und die Folgen der sexuellen Revolution (Scheidungen, Abtreibungen, Pornosucht) skizzierte, da mochten die Schwarzgewandeten nur noch kreischen und lärmen. Als der Psychiater und Neuro-Wissenschaftler Raphael Bonelli dem Auditorium die Unterschiede der Geschlechter aus naturwissenschaftlichen Studien belegte und die Einsichten der modernen Gender-Medizin erklärte, da wollten einige lieber gar nicht hinhören. „Wir sind hier nicht im Kindergarten!“, schrie einer. „Dann benehmen Sie sich nicht wie im Kindergarten“, gab Bonelli zurück. Um sich dann wieder der Gehirnstruktur zuzuwenden, wenn auch nicht der des Zwischenrufers, sondern von Mann und Frau im allgemeinen.

Nicht minder interessant als jener Teil des Publikums, der durch sein Verhalten die Definition des Menschen als animal rationale zu widerlegen versuchte, war die Strategie von Meike Lauggas, die zunächst als „Pro“-Rednerin geladen worden war, als die Veranstaltung noch Pro und Contra zur Gender-Ideologie präsentieren sollte. Lauggas, die einst im Fach Geschlechtergeschichte promoviert hatte, fünf Jahre in der Frauenabteilung der Stadt Wien arbeitete und heute als Coach, Trainerin und Lehrbeauftragte an Hochschulen wirkt, lehnte das Pro und Contra ab, weil sie offenbar von einer höheren, vermeintlich neutralen Position aus jegliches Contra abqualifizieren und selbst dabei unangreifbar bleiben wollte.

Sie lehne „zerstörerische Debatten im Freund-Feind-Schema“ ab, leider aber sei „Gender ein Kampfbegriff geworden“. Die Polarisierung gehe jedoch ins Leere, weil es nicht die Gender-Lehre gebe, sondern unterschiedliche Ansätze. Drei davon präsentierte sie. Nicht um sich selbst festzulegen, sondern um zu zeigen, dass es zwar keine Gender-Ideologie gebe, aber einen „Anti-Genderismus“. Als Bonelli aufgrund vieler Studien die genetische und biologische Differenz – nicht aber in Wert und Würde – von Mann und Frau bis ins Zell- und Immunsystem hinein aufgezeigt hatte, meinte Lauggas (als habe sie all das gar nicht gehört), dass die Fruchtbarkeit das allerletzte verbleibende Argument der Vertreter einer Differenz von Mann und Frau sei. Die Fruchtbarkeit als ultimatives Differenzkriterium diskriminiere jedoch jene Frauen, die keine Kinder bekommen können oder wollen.

Dass Bonelli zuvor das Gegenteil referiert hatte, ein ganzheitliches Frau-Sein nämlich, dass er die Frage aufgeworfen hatte, ob die jenseits aller biologischen Unterschiede bestehenden sozialen Unterscheidungen zwischen Mann und Frau vielleicht nicht nur an sich schlecht, sondern doch auch sinnvoll sein könnten – das blieb vielleicht ungehört, vielleicht unverstanden, jedenfalls unbeantwortet. Ebenso wie der Einwand Gabriele Kubys, dass die Annahme der Fruchtbarkeit damit zu tun hat, dass die Menschen und die Menschheit (über-)leben wollen. Gemeint sei ausdrücklich, so Kuby, leibliche wie auch geistige Fruchtbarkeit.

Konkreter wandte sich Meike Lauggas an die störenden Schreihälse, welche nur ihr still lauschten, indem sie warnte, „die Polarisierung“ inkludiere ja „die Erwartung heftiger Gegenreaktion“. Wörtlich: „Das ist gewünscht – bedenken Sie das bitte!“ Die Störer bedachten es nicht.

Erst in der allerletzten Wortmeldung des Abends enthüllte Lauggas, wen sie denn mit „Polarisierung“ gemeint hatte: Jene, die nach der Differenz der Geschlechter suchen und sie dann in der Fruchtbarkeit orten. „Sie können doch leben, wie Sie möchten. Warum dürfen das andere nicht auch?“, giftete sie Gabriele Kuby an. Die „Definition der Ränder“, so unterstellte sie, diene ja nur dazu, „das Verworfene, das Perverse“ herauszuarbeiten. „Wie können wir tun, dass alle existieren können?“, fragte Lauggas – somit suggerierend, dass die andere Seite jemandem das Lebens- oder Existenzrecht abgesprochen habe.

Warum der Hinweis auf die umfassende Differenz der Geschlechter, auf die Schönheit und Fruchtbarkeit ihrer Komplementarität jemanden in seiner Würde – das Wort fiel an diesem Abend nicht – abwerten könnte oder jemandem das Existenzrecht absprechen sollte, blieb am Freitag im Dunkeln. Dort also, wo sich jene am wohlsten fühlen, die Argumente lieber gar nicht ans Licht lassen wollen.

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