Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Feuilleton

Die sogenannte Wahlfreiheit

Eugenische Indikation: Der Kinofilm „Die dritte Option“ zeigt die Entscheidungszwänge einer normierenden Gesellschaft. Von Stephan Baier
"Die dritte Option" - Filmszene
Foto: Thimfilm

Einen „Geburtenfatalismus“ habe es früher gegeben – früher, vor den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik (PND) und der gesetzlichen Freiheit, ein behindertes Kind bis unmittelbar vor der Geburt abzutreiben. Man habe einfach akzeptieren müssen, ein behindertes Kind zu bekommen. Heute gebe es „Selbstbestimmung“, meint ein Arzt. Doch genau diese Selbstbestimmung stellt der Dokumentarfilm „Die dritte Option“ von Thomas Fürhapter in Frage. Der Zuseher taucht ein in die Gedanken, Überlegungen und Begründungen der verschiedenen Akteure, darf mitvollziehen, was in der schwangeren Frau und ihrem Lebenspartner gedanklich vor sich geht, wie Ärzte ihr Tun vor sich selbst rechtfertigen. Klar wird dabei schließlich, dass die sogenannte Entscheidungsfreiheit ein Entscheidungszwang ist, zwischen zwei Optionen, die – wie eine Psychotherapeutin einwirft – beide nicht positiv besetzt sind: zwischen einem behinderten Kind und einem toten Kind.

Mehr als 90 Prozent der betroffenen Mütter entscheiden sich unter dem Druck einseitiger Informationen, warnender und manipulierender Ärzte und einer „neoliberalen Optimierungsideologie“ dafür, ihr Kind töten zu lassen. „Nach der Geburt haben wir nur die Option, zu lindern oder zu helfen. Und vor der Geburt haben wir noch eine dritte Option: zu töten. Die Pränatalmedizin ist der einzige Bereich in der Medizin, in dem wir töten können“, heißt es im Film, der nicht nur die individuellen, sondern auch die biopolitischen Implikationen der PND problematisiert. Offen wird hier thematisiert, dass Ärzte den Fetozid bevorzugen, „damit wir nicht für ein Kind haften, das eigentlich tot sein sollte“. Doch nicht nur die Mehrheit der Ärzte hat ihre Option längst getroffen. Die Gesellschaft blickt auf Menschen mit Behinderung mit der Frage: „Hätte das nicht vermieden werden können?“ Und: „Welche Lasten werden da dem Staat, und damit uns allen aufgebürdet?“

Die Illusion eines Rechts auf ein gesundes Kind wird plötzlich zur Waffe, die sich gegen das behinderte Kind wendet, das im Mutterleib ins Fadenkreuz der Gesellschaft, der Ärzteschaft, der familiären Umgebung gerät – und gegen die Mutter, die sich „zu fötalem Umfeld degradiert“ fühlt. PND schiebt die Entscheidung der Mutter zu, und liefert sie Beratern aus, die suggerieren, „dass rein sachlich ein Abbruch die risikofreieste Lösung ist“. Auch die inneren Kämpfe der Mutter werden im Film geschildert. Da erzählt eine Frau, dass die Vorstellung, ihr Kind komme auf die Welt und sterbe dann, für sie „zunächst nicht so schlimm“ schien wie ein Fetozid, die gezielte Tötung des Kindes im Mutterleib. Schließlich aber treibt der Strom des gesellschaftlichen Konsenses sie fort: Es folgen der letzte Ultraschall, der Herzstich, die wartenden und kontrollierenden Ärzte. Die gesellschaftliche „Negativbewertung der Normabweichung“ hat wieder gesiegt über die natürlichen Muttergefühle.

„Es werden nicht mehr Personen getötet, sondern Föten“, heißt es im Film: Da entlarvt sich die kalte, technisierte Eugenik in ihrer menschenverachtenden Herzlosigkeit, kleidet die Unterscheidung von lebenswertem und lebensunwertem Leben in distanzierende Fachsprache. Fürhapters Film lebt von komprimierten, dichten Texten, die die Gesellschaft nicht idealisieren, sondern lebensnah zeigen. Es handelt sich um mit gedämpften Stimmen vorgelesene Zitate aus Gesprächen mit Betroffenen, Wissenschaftlern und Ärzten. Bereits der Einstieg, für christliche Ohren allzu derb, soll unterstreichen, dass es um ganz gewöhnliche Paare geht: „Wir haben gevögelt bis zum Umfallen. Im Herbst bin ich dann schwanger geworden.“ Das Organscreening, das die Behinderung offenbar macht, löst eine Flut naheliegender Gedanken aus, welche von der die Gesellschaft repräsentierenden Umgebung kanalisiert werden. „Ich denke, dass Behinderung uns einen Spiegel vorhält, und uns zeigt, was latent in uns ist, wir aber nicht wissen wollen: die eigene Imperfektion, die eigene Zerbrechlichkeit.“

Die Bildsprache des Films ist bewusst kalt und distanziert. Selbst die die Geschichte einrahmenden Bilder fröhlich sich im Freibad tummelnder Menschen sind das Gegenteil jeder Ästhetisierung. Immer wieder wird das Normierende ins Bild gerückt: in der Sterilität des Krankenhauses, in den schier endlosen Reihen des Spielwarenladens, in der Massenproduktion von Playmobil-Figuren. Bei einer Filmpräsentation am Montagabend im Wiener Gartenbaukino erklärte Filmemacher Thomas Fürhapter, in der PND zeige sich „eine Normierungsgesellschaft und Optimierungslogik, der wir auch postnatal unterworfen sind“. Das Problem behinderter Kinder werde „privatisiert und individualisiert“, aber nicht gesellschaftlich debattiert. Ihn habe gerade der ausgeblendete bevölkerungspolitische Aspekt interessiert. Sein Fazit: „Es gibt kein autonomes Subjekt.“

Diese Botschaft entspricht der Bildsprache des Films, die auf Schönheit verzichtet und die sterile Distanziertheit einer herzlosen Gesellschaft spiegelt, in der das behinderte Kind letztlich keine Chance bekommt. Es herrsche eine „Normvorstellung, wie Menschen zu funktionieren und auszusehen haben“, so der Regisseur.

Die Juristin Stephanie Merckens, Mitglied der österreichischen Bioethikkommission und biopolitische Expertin des kirchlichen „Instituts für Ehe und Familie“ (IEF), spitzte die Frage zu, wie der Staat dazu komme, der Frau eine Entscheidung aufzubürden, die zum Entscheidungszwang wird. Sie skizzierte am Ende der Diskussion auch den heilsamen Perspektivenwechsel: Es gelte nicht zu fragen, ob – sondern wie das Leben gelingen kann. Der langjährige Behindertensprecher der ÖVP im österreichischen Parlament, der selbst schwer behinderte Franz-Joseph Huainigg, berichtete, dass ihm in 15 Jahren als Abgeordneter das Gespräch über die Spätabtreibung aus eugenischen Gründen schlicht verweigert wurde. „Einige glauben, dass es besser ist, dass man nicht lebt, als dass man behindert ist. Aber das stimmt nicht“, so Huainigg. Es gebe eine gesellschaftliche und juristische Diskriminierung Behinderter: „Wenn ein unerwünschtes behindertes Kind zur Welt kommt, gibt es Schadensersatz – wenn ein unerwünschtes unbehindertes Kind zur Welt kommt, aber nicht.“

Huainigg forderte, die in Österreich bis unmittelbar vor der Geburt straffreie eugenische Indikation abzuschaffen und für Abtreibungen insgesamt eine bessere Aufklärung und verpflichtende Bedenkzeit einzuführen. So weit geht der Film in seiner Botschaft nicht: Hier wird eine Frau zitiert, die die Fristenregelung ausdrücklich begrüßt. Doch bei der Pränataldiagnostik gehe es um etwas ganz anderes. Es steige der „Druck, ein perfektes Kind zur Welt zu bringen“, so Huainigg, der es „unlogisch“ findet, die „perfekte Inklusion“ behinderter Geborener voranzutreiben, aber die Geburt behinderter Kinder zu verhindern.

Der Präsident des Österreichischen Behindertenrates, Herbert Pichler, wusste am Montagabend in Wien zu bestätigen: „Nicht nur die Ärzte bauen ein negatives Bild auf, sondern auch die Behörden.“ Es sei die Gesellschaft, die Behinderung negativ bewertet – die geistige Behinderung noch stärker als die körperliche.

Der Dokumentarfilm „Die dritte Option“ läuft seit 15. November in österreichischen Kinos: www.DieDritteOption.at

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Österreichische Volkspartei Österreichisches Parlament

Weitere Artikel

Kirche