Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Feuilleton

Die Versuchungen Jesu in der Wüste

Ein in kreativer Freiheit gedrehter, aber meditativer Film über den Menschen Jesus: „40 Tage in der Wüste“. Von José García
Filmszene aus "40 Tage in der Wüste“
Foto: Tiberius | In den letzten seiner 40 Tage in der Wüste trifft Jesus (Ewan McGregor, links) auf einen Vater (Ciarán Hinds), der für sich und seine Familie mitten in der Wüste ein Haus bauen will.

Das vierte Kapitel des Lukasevangeliums erzählt von der Vorbereitung Jesu auf sein öffentliches Auftreten durch 40-tägiges Fasten:

„Erfüllt vom Heiligen Geist, verließ Jesus die Jordangegend. Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher, und dabei wurde Jesus vom Teufel in Versuchung geführt.“

Die darin wiedergegebenen drei Versuchungen – seine Macht zum eigenen Vorteil durch Verwandlung von Steinen in Brot einzusetzen, sich vor dem Teufel niederzuwerfen, Gott auf die Probe zu stellen – haben Künstler, auch Filmkünstler inspiriert. Der kolumbianische Regisseur Rodrigo García, Sohn des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez und hierzulande bekannt mit seinen Filmen „Mütter und Töchter“ (2009) und „Albert Nobbs“ (2011), geht in seinem Spielfilm „40 Tage in der Wüste“ einen anderen Weg.

Worum geht es in „40 Tage in der Wüste“?

Der Originaltitel des Filmes „Last Days in the Desert“ spiegelt die Handlung besser als der deutsche Verleihtitel wider: In den letzten Tagen, die Jesus in der Wüste verbringt, spürt er nicht nur Hunger und Durst, sondern auch Kälte. Der vom schottischen, weltweit bekannten Schauspieler Ewan McGregor dargestellte Jeshua ist durch und durch Mensch. Nach einer kurzen Begegnung mit einer von einer Schlange begleiteten Frau (Susan Gray) wird er vom Teufel (Ewan McGregor in einer Doppelrolle) heimgesucht.

Dass Jesus und der Versucher von demselben Schauspieler dargestellt werden, nimmt sich als aufschlussreicher Kunstgriff aus: Der schlimmste Feind Jesu wäre er selbst, sollte er an seiner wahren Identität zweifeln. Dies erlangt eine besondere Bedeutung, weil Jesus vor der Erscheinung des Teufels die Gegenwart seines Vaters sucht: „Vater, wo bist Du?“, „Vater, sprich zu mir“, sagt Jeshua zu Beginn des Filmes, als wolle der Regisseur die Verlassenheit Jesu im Ölberg und am Kreuz („Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“) vorwegnehmen.

Als Jesus sich entschieden hat umzukehren, trifft er auf eine Familie. Der Vater (Ciarán Hinds) ist erfüllt von der Aufgabe, mitten in der Wüste ein Haus zu bauen, wo die Familie endlich nach Jahren des Umherziehens eine feste Bleibe haben soll. Der pubertierende Sohn (Tye Sheridan) möchte jedoch viel lieber in die große, weite Welt ziehen, und so bittet er einmal Jesus, mit ihm nach Jerusalem gehen zu dürfen. Die Spannungen zwischen Vater und Sohn werden eigentlich nur durch die schwere Krankheit der Mutter (Ayelet Zurer) abgefedert, um die sich vorwiegend der Sohn kümmert.

Wegen der Familie entscheidet sich Jesus zu bleiben, weil er – wieder in einer Vorwegnahme seiner künftigen Aufgabe – die Leidenden trösten, den Menschen helfen möchte. Vielleicht aber auch, weil das Vater-Sohn-Verhältnis in irgendeiner Form an seine Beziehung zum Vater erinnert. Wie bereits in Terrence Malicks „The Tree of Life“ (DT vom 16.6.2011) ist die Familie, der Jesus in der Wüste begegnet, eine Art Symbol für die Familie schlechthin. Und ähnlich Malick in seinen meisten Filmen greift auch Rodrigo García in „40 Tage in der Wüste“ auf das Mittel der Parabel zurück.

Die Machart des Films

Das Gleichnishafte führt auch dazu, dass der Hauptakzent nicht auf der Handlung liegt. Deren Tempo ist eher als gemächlich zu bezeichnen, was wiederum mit dem meditativen Charakter des Filmes zusammenhängt.

Zu dieser Anmutung trägt insbesondere auch die exzellente Kameraführung bei: Emmauel Lubezki, der erste Kameramann, der drei Oscars in Folge gewonnen hat – für „Gravity“ (2013), „Birdmann (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ (2014) und „The Revenant“ – Der Rückkehrer“ (2015) –, fängt die Kargheit der Wüstenlandschaft in langen Einstellungen ein. Das besondere Licht des Sonnenauf- und -unterganges in der Wüste verleiht „40 Tage in der Wüste“ eine fast haptische Qualität, die paradoxerweise auch einen symbolischen Charakter besitzt. Lubezkis Arbeit verleiht dem Film einen besonderen poetischen Charakter, der häufig eine Art magischen Realismus besitzt. Ohne Zweifel ist die Landschaft ein wichtiger Protagonist in Garcías Film, der mit seiner visuell beeindruckenden Qualität zur Reflexion einlädt.

Ein intimer Einblick in die Menschlichkeit Jesu

„40 Tage in der Wüste“ bietet einen intimen Einblick in die Menschlichkeit Jesu. In einen Jesus, der sich den Versuchungen stellt und sich auf seine Mission vorbereitet sowie nach dem richtigen Verhältnis zu seinem Vater sucht. Auch wenn dies zugegebenermaßen theologisch nicht ganz korrekt ist („Ich und der Vater sind eins“, Johannes 10,30), kann es als eine menschliche Art und Weise angesehen werden, über den Menschensohn zu sprechen. Zwar unterscheidet sich diese Sicht von der klassischen, den Evangelien gemäßen Darstellung Jesu. Sie bringt jedoch dem Zuschauer den Menschen Jesu mit kreativer Freiheit nahe. Dennoch steht Garcías Sicht nicht im Gegensatz zur Göttlichkeit Jesu – die Versuchungen des Teufels werden beispielsweise nicht als Einbildung oder Halluzination dargestellt.

Zum berührenden Porträt des Menschen Jesus trägt insbesondere die herausragende schauspielerische Leistung von Ewan McGregor in seiner Doppelrolle bei. Aber auch der junge Tye Sheridan sowie Ayelet Zurer und besonders Ciarán Hinds gestalten ihre Rollen glaubwürdig.

Ähnlich Martin Scorseses „Silence“ (DT vom 2. März) bietet „40 Tage in der Wüste“ eine Reflexion über den Glauben und über das vermeintliche Schweigen Gottes. Eine Reflexion, die „40 Tage in der Wüste“ nicht nur für gläubige Christen, sondern auch für Menschen, die in Jesus lediglich eine große Gestalt der Geschichte sehen, durchaus sehenswert macht.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen. Kostenlos erhalten Sie die aktuelle Ausgabe

Themen & Autoren
Gabriel García Márquez Jesus Christus Terrence Malick

Weitere Artikel

Mithilfe einer Vorlage des katholischen Autors Shūsaku Endō („Silence“) will der Starregisseur die Botschaft Jesu neu beleuchten. 
11.01.2024, 16 Uhr
Meldung

Kirche

In der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist ein Streit um das Pfarramt für Frauen entbrannt. Im äußersten Fall droht die Spaltung.
22.04.2024, 16 Uhr
Vorabmeldung
Der von Papst Paul VI. eingeführte Weltgebetstag um geistliche Berufungen hat nichts von seiner Dringlichkeit verloren, schreibt Markus Hofmann.
20.04.2024, 19 Uhr
Markus Hofmann