Die erzählte Barmherzigkeit in den Texten le Forts ist durch eine zweifache Bewegung gekennzeichnet: Sie betrifft den, dem sie zukommt und – vielleicht sogar vor allem – den, der sie übt. Die Barmherzigkeit bei le Fort transzendiert, verwandelt, hebt die Individualität, in ihrer negativen Bedeutung der Vereinzelung, auf. In einer unbegrenzten Zuwendung geschieht innerster Kontakt zwischen zwei Menschen, welcher bei le Fort zumeist mit dem Berühren einer Wunde (dessen, der Barmherzigkeit übt) verbunden ist: Der Mann von Anna Elisabeth („Die Verfemte“, 1953) wurde im Schwedenkrieg getötet, nun rettet die junge Witwe einen schwedischen Soldaten vor der Ermordung durch ihre Landsleute.
Die Dichterin der Barmherzigkeit
Am Ende dieses „Jahres der Barmherzigkeit“ sei Gertrud von le Forts 140. Geburtstag gemeinsam mit ihrem 45. Todestag und dem 90. Jahrestag ihrer Konversion der Anlass, einen Knotenpunkt ihres Schreibens in den Blick zu nehmen: die Misericordia. Von Gudrun Trausmuth