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Dialog im Praxistest

Miteinander zu reden, andere Meinungen wertzuschätzen, das ist nicht nur wichtig in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche – für Laien, Priester und Bischöfe. Der Gehorsam gegenüber den Bischöfen in Glaubens- und Sittenfragen bleibt dafür das Fundament. Ein Plädoyer für die gelebte christliche Freiheit und Toleranz. Von Martin Lohmann
Foto: dpa | Vorsicht, bissige Gläubige? In der Kirche muss klar zwischen Meinung und Dogma unterschieden werden, sodass aus „eigener in Freiheit geäußerter Überzeugung kein Zwang, kein Maulkorb und keine Unfreiheit für ...

Meinungsfreiheit. Respekt. Toleranz. Das sind schöne Wörter, und sie haben einen großen Inhalt. Ebenso das nun wirklich eifrig in den vergangenen Jahren belastete und polierte Wort Dialog. Gerade in der Kirche werden diese Begriffe, die einen hohen Anspruch mit sich bringen, gerne genannt. Man fordert deren Inhalt und die dazu gehörende innere Haltung sowie das damit verbundene Handeln immer wieder ein. Ja, es wurde gar ein aufwendiger und kostenintensiver Dialogprozess über Jahre veranstaltet. Aus gutem Grunde. Denn man suchte das Miteinander in Themen und Debatten, man suchte und forderte eine echte Streitkultur, die im Dialog die Verschiedenheiten zur Geltung bringen lässt. Es ging um Meinungsfreiheit, Respekt und Toleranz. So weit, so gut. Papiere wurden entwickelt, gedruckt, besprochen, seminargerecht aufgearbeitet. In Predigten und Hirtenworten gab es Appelle, Mahnungen und die Einladungen zu einer angst-freien Dialogkultur. Das alles, um es zeitlich einzuordnen, war gewachsen und hatte sich entwickelt noch in einer Zeit, in der Johannes Paul II. Papst war und hatte seine Dringlichkeit so richtig während des Pontifikats von Benedikt XVI. bekommen.

Man brauchte Luft zum Atmen, man suchte Freiheit. Auch deshalb, weil das vermeintlich Konservative des „deutschen“ Papstes neues Denken und Reden zu beschneiden schien. Jedenfalls fürchtete man vieles. Und als der einst als „Panzerkardinal“ verleumdete Brückenbauer aus Rom dann noch in Freiburg die „Entweltlichung“ der Kirche forderte, hatte man den schrecklichen Beweis für alle Befürchtungen. Seine 2007 vollzogene Rehabilitierung der über Jahrhunderte hinweg gültigen und von ungezählten Generationen zelebrierten Liturgie im Dialog mit der nachkonziliaren Liturgiegestaltung war für manche Toleranz-Theoretiker dann ohnehin schon eine Zumutung gewesen.

Mit dem hohen Anspruch, den die geforderte und eingeklagte Toleranz- und Dialogkultur nun mal mit sich bringt, ist das in der Praxis immer so eine Sache. Und das gilt – um es gleich vorweg zu markieren – für alle „Seiten“. Der Mensch ist nun mal theoretisch häufig viel stärker als praktisch. Da macht die menschliche Natur offenbar auch keinen Unterschied zwischen Laien, Priestern und Bischöfen. Wer ist schon ganz frei von der „normalen“ Neigung, sich gerne bestätigt zu sehen und Recht zu bekommen! Oder zu behalten.

Da kann es auch schon mal passieren, dass man die einst eingeforderte Dialogkultur als lästig empfindet, wenn doch die vermeintlich offizielle Linie plötzlich den eigenen und früher geforderten Denkstrukturen und Redemustern entspricht. Wozu dann noch Dialog – könnte man frech fragen. Könnte es nicht sein, dass ungeliebter Widerspruch nun wirklich stört und eigentlich mehr oder weniger verboten sein sollte? Irgendwie subtil, subkutan oder über Umwege? Zum Beispiel über neue Regelwerke für den Umgang mit Meinungen, die – sagen wir es ganz frei – schlichtweg nicht passen oder gar wegen sauberer Argumentation eigene Meinungsdogmen in Frage stellen könnten? Das würde wahrlich nicht kirchengerecht sein. Das alles ist in und für die Kirche nicht ganz leicht. Schon gar nicht dann, wenn die Bereitschaft oder auch die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen wichtigen Glaubensinhalten und weniger wichtigen Meinungen fehlt, wenn gar die Grenze zwischen Objektivität und Subjektivität verdunstet und gar nicht mehr zugelassen zu sein scheint. Eine gewisse Absolutheit des „Ich aber sage euch“ greift dann geradezu diskreditierend um sich. Und die Sache mit der notwendigen Entweltlichung, die zur Freiheit der Glaubensverkündigung befreit, verkehrt sich dann leicht in eine notbringende Verweltlichung, die vorhandene Abhängigkeiten verstärkt und neue Unfreiheiten gebiert. Symptome einer neuen Unfreiheit sind dann – bei Licht besehen – eigentlich rasch erkennbar. Und die zeigen sich nicht nur, wenn einem kirchlichen Mitarbeiter in Domnähe durch Androhen arbeitsrechtlicher Konsequenzen die Teilnahme an einer katholischen Tagung verunmöglicht wird, ihm also die katholische Freiheit konkret genommen wird. Warum? Weil es bei der Tagung um heilige Liturgie im Sinne von Benedikt XVI. ging?

Sagen wir es deutlich: Es ist für niemanden einfach, neue Formen des Dialogs sofort zu beherrschen und zu ertragen. Das lateinische Wort „tolerare“ beinhaltet das Tragen ebenso wie das Ertragen. Und irgendwie schlummert in jedem der Drang, sich mit seinen Überzeugungen zu äußern und diese als die gültigen erkannt zu wissen. Bloß: Wo ist für jeden die Grenze, die es zu berücksichtigen gilt, damit aus Meinung kein Dogma wird, damit aus eigener in Freiheit geäußerter Überzeugung kein Zwang, kein Maulkorb und keine Unfreiheit für andere wird, die eben auch ihre legitimen eigenen Überzeugungen haben?

Man sollte vielleicht damit beginnen, anderen nichts zu unterstellen – und wohlwollend hinzuhören und hinzusehen. Wohlwollend. Wertschätzend. Gewiss, das kann anstrengend sein, das kann fordernd und gar für manchen überfordernd sein. Niemand sollte zum Beispiel den Bischöfen, die eine besondere Verantwortung für die Verkündigung und Stärkung des Glaubens haben, verübeln, dass auch sie Menschen sind mit privaten und persönlichen Überzeugungen. Und die können sie selbstverständlich als Privatpersonen jederzeit äußern. In Glaubens- und Sittenfragen sind sie besonders der bleibend gültigen Lehre der Kirche verpflichtet. Dort besteht für Katholiken sogar ein Gehorsamsgebot. Wenn es um das Seelenheil, das ja im Auftrag des Gottessohnes der Maßstab sein sollte, geht, dann reicht kein flüchtiges Hinhören. Belastbare Aussagen hier sind weit mehr als fakultative Meinungsäußerung mit dem eingebauten Verfallsdatum des Hier und Jetzt.

Aber gibt es nicht einen Unterschied zwischen dogmatischer Lehre und tagespolitischer Meinung? Und muss man als Katholik das eine ebenso „gehorsam“ zur Kenntnis nehmen wie das andere? Wohl kaum. Zumal, weil Servilität nicht unbedingt zur Freiheit der Kinder Gottes gehört und eigentlich die Kirche Jesu viel Freiheit des Geistes tragen kann. Und hier taucht dann, was die selbstverständliche Freude an mediengerechter und „ankommender“ Meinungsäußerung mancher Hirten des Glaubens angeht, eine durchaus verständliche Schwierigkeit auf. Denn wie geht man damit um, wenn Hirten sich faktisch in nichtdogmatischen Themen als Privatpersonen äußern, wobei leicht der falsche Eindruck entstehen kann, es schwinge dabei etwas Amtliches mit? Da scheint sich ein ganz neues Lernfeld für Wortgeber und Wortempfänger aufzutun.

Denn: Nicht alles, was ein Amtsträger sagt und meint, hat amtlichen Charakter. Unfehlbarkeit gehört in die Glaubenswelt, nicht aber in die Tagespolitik. Dort, vor allem dort, darf und sollte heftig gestritten, widersprochen und widerlegt werden dürfen. Aber aus die Sache mit dem Widerspruch muss gelernt sein, und zwar von beiden Seiten. Zugegeben: Das kann für manchen, der sich in die Niederungen der Tagespolitik begibt und mit seinem Austeilen nicht zimperlich ist, eine bisweilen schmerzliche und auch neue Erfahrung sein. Denn die Verkündigung von der Cathedra hat einen anderen Nährwert als das Diktum auf der politischen Bühne. Und auch die Reaktionsmuster dürfen durchaus unterschiedlich sein.

Der Widerspruch und die Kommentierung von persönlichen Meinungsäußerungen sollte sich dem Anspruch der Unfehlbarkeit ebenso entziehen wie diese Äußerungen selbst. Und nicht jeder, der einem Bischof widerspricht, wenn dieser seine persönliche – auch gruppenmäßig persönlich bleibende – Auffassung zu diesem und jenem kundtut, zeigt dadurch mangelnden Respekt gegenüber dem Hierarchen. Im Gegenteil: Wer tagespolitische Aussagen eines Hierarchen, die dieser mangels hier eben nicht gegebener Lehrkompetenz tätigt, aufgreift und seinerseits thematisiert, nimmt das Subjekt dieser Äußerungen ernst – als Partner in einem nicht-unfehlbaren und nicht-lehramtlichen Dialog. Dialogkultur nennt man das.

Das Gegenteil dieser souveränen Normalität wäre jeder Versuch, die Grenzen zwischen bischöflicher Lehrautorität und persönlicher Meinung zu verwischen oder gar die Lehrautorität auf nicht darin verankerte Felder des Gedankenaustausches ausdehnen zu wollen. Wer sich in die Tages-politik begibt, gleich welche eigentliche Verantwortung er hat und ihm übertragen ist, muss nun mal damit rechnen, dass er – in diesen Themen – wie ein Tagespolitiker behandelt wird. Das ist nicht einfach, wenn man – auf allen Seiten – an dieser Stelle die Differenzierung nicht will oder nicht zu suchen vermag. Irrwitzig wäre freilich auch, den Bischöfen ihre persönliche Meinung verbieten zu wollen. Wie sollte das gehen in einer medial so rasch und zeitgleich agierenden Wirklichkeit, die selbstverständlich auch mediale und staatspolitische Abhängigkeiten nicht ausblenden kann!

Wer aber verbieten wollte, dass auch kritisch und mit Widerspruch reagiert wird, und wer gar dann darauf verweist, dass es sich doch um innerkirchliche Autoritäten handelt, der vermischt nicht nur die Ebenen und dehnt eine früher so gerne hinterfragte Gehorsamspflicht unverantwortlich und respekt- wie toleranzfrei aus, sondern würde auch Ängstlichkeit verraten, zu der es letztlich keine Begründung geben kann. Jedenfalls nicht, wenn die Sache mit der Entweltlichung mutig weiter bedacht wird und die Forderung nach Dialog, Respekt, Meinungsfreiheit und wertschätzender Toleranz ernst gemeint ist.

Der Dialogprozess ist zwar formal abgeschlossen. Doch genau das darf faktisch heute nicht sein, wenn man ihn wirklich inhaltlich wollte. Offenbar besteht heute – für alle Seiten – der Auftrag, das neue Miteinander in Wertschätzung und Widerspruch in der Praxis zu lernen und die Herausforderung anzunehmen, schöne Papiere mit Leben zu füllen und im Leben kraftvoll zu üben. Christen könnten hier Vorbildcharakter haben. Denn ihnen könnte jede Form der Angst, der Unterdrückung, der Missachtung, der Unterstellung, der Vermutung, der Verleumdung und der Kleingeisterei fern sein. Dafür sind sie – belastbar – zur Freiheit berufen, die sich gerade in der Wertschätzung offenbaren darf, zu der übrigens auch und gerade das immer wieder neu versuchte Wohlwollen zählt, das sich in der Verzeihung und der konkreten Barmherzigkeit zeigt. Weil die Wahrheit frei macht (Jo 8, 32), muss niemand die Weite von Herz und Geist fürchten.

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25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig