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Der katholische Kennedy

John F. Kennedy war der jüngste gewählte US-Präsident der Geschichte. Und der erste Katholik im Weißen Haus. Dabei wäre er im Wahlkampf fast an seinem Glauben gescheitert. Für kurze Zeit verkörperte er in den Vereinigten Staaten den Aufbruch einer neuen Generation. Am Montag wäre er 100 Jahre alt geworden. Von Maximilian Lutz
John F. Kennedy in Frankfurt
Foto: dpa | John F. Kennedy hält während seines Deutschland-Besuchs im Juni 1963 eine Rede vor dem Römer in Frankfurt. Auch hierzulande war der politische Hoffnungsträger äußerst populär.

Seine Berater rieten ihm von der Reise nach Houston ab. Und doch entschied sich John F. Kennedy, am 12. September 1960 in der texanischen Stadt vor einer Gruppe einflussreicher protestantischer Pastoren über seinen katholischen Glauben zu sprechen. „Ich bin nicht der katholische Präsidentschaftskandidat. Ich bin der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, der zufälligerweise auch ein Katholik ist“, erklärte er den 300 Zuhörern im Houston Rice Hotel und den rund einer Million Fernsehzuschauern. Er glaube an ein Amerika, in dem die Trennung von Kirche und Staat absolut sei und in dem niemandem aufgrund seines Glaubens ein öffentliches Amt verweigert werde.

Kennedy, der knapp zwei Monate später zum ersten katholischen US-Präsidenten gewählt werden sollte, sah sich auf dem Höhepunkt seines Wahlkampfes gezwungen, derart offen und offensiv mit seiner Religionszugehörigkeit umzugehen. Schon früh im Wahlkampf hatten konservative Protestanten und die Republikaner Kennedys Glauben als „wunden Punkt“ identifiziert, den sie auszunutzen versuchten. Regelrechte Kampagnen wurden gegen den Kandidaten der Demokraten geführt, um ihn als unqualifiziert für das höchste Staatsamt zu diffamieren. Die Anschuldigungen scheinen aus heutiger Sicht absurd: Er wurde als Erfüllungsgehilfe des Vatikans bezeichnet und man behauptete, er fühle sich als Katholik zuerst dem Papst verpflichtet, nicht der Amerikanischen Verfassung.

Sein Redenschreiber und enger Berater Ted Sorensen meinte später, Kennedys Ansprache in Houston sei die beste im ganzen Wahlkampf gewesen, „und die wichtigste seines Lebens“. Experten sind sich einig, dass er seinen politischen Gegnern mit der Rede den Wind aus den Segeln nehmen konnte und der öffentlichen Diskussion über seine Religionszugehörigkeit damit weitgehend ein Ende setzte. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von gut 100 000 Stimmen konnte sich der damals 43-Jährige bei der Wahl im November 1960 gegen seinen republikanischen Widersacher Richard Nixon durchsetzen. Als jüngster gewählter US-Präsident zog er im Januar des darauffolgenden Jahres ins Oval Office ein.

171 Jahre mussten vergehen, in denen 34 Präsidenten ihren Eid schworen – die meisten von ihnen auf die Bibel –, ehe ein Katholik den Sprung ins Weiße Haus schaffen sollte. Die Gründe dafür liegen in den Ursprüngen der Nation: „Die Gründerväter der USA waren mehrheitlich Angehörige protestantischer Religionen“, so Andreas Etges, Historiker und Experte für Transatlantische Beziehungen am Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein seien Protestanten die dominante Religionsgruppe gewesen, noch heute ist die Mehrheit der Bevölkerung protestantisch. Katholiken sei man mit enormen Vorurteilen begegnet: „Sie sind undemokratisch, sie wollen das Land unterwandern, sie haben ganz andere Werte und sind letztlich ganz andere Menschen als wir“, gibt Etges, der auch eine Biografie zu John F. Kennedy verfasst hat, die verbreitete Auffassung wieder.

Bis zu Kennedys Kandidatur hielten sich solche Vorurteile und machten die Wahl eines Katholiken unmöglich. Doch dem überaus populären, charmanten und jugendlich wirkenden Kandidaten gelang es, diese verkrusteten Ansichten aufzubrechen. Das hat Kennedy auch seinem einflussreichen Elternhaus zu verdanken. Eine steile Karriere wurde ihm förmlich in die Wiege gelegt. Am 29. Mai 1917 wurde er in Brookline im Bundesstaat Massachusetts als zweitältester Sohn von Joseph P. und Rose Fitzgerald Kennedy geboren. Sein Vater verdiente als Inhaber eines Investment-Unternehmens Millionen, seine Mutter entstammte einer reichen Politikerfamilie. Kennedys Großvater, ein irischer Einwanderer, hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als erster des Kennedy-Clans amerikanischen Boden betreten.

Da sein Vater Joseph viel Zeit auf Geschäftsreisen verbrachte, fiel die Erziehung des jungen Jack, wie Kennedy auch genannt wurde, und seiner acht Geschwister der Mutter Rose zu. Regelmäßig besuchte sie mit ihren Kindern die heilige Messe, betete mit ihnen und diskutierte über die Bibel. Noch als die Kinder bereits erwachsen waren empfahl Rose, zum Stressabbau lieber einen Rosenkranz zu beten, anstatt zu Pillen oder Alkohol zu greifen.

Wie viel John F. Kennedy von seiner katholischen Erziehung ins Erwachsenenleben mitnahm, ist allerdings umstritten. „Er war sicherlich praktizierender Katholik. Ob er die Lehre der katholischen Kirche in allen Einzelheiten auch persönlich befolgte, ist eine andere Frage“, meint Klaus Stüwe, Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhl für Vergleichende Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt, gegenüber dieser Zeitung. Er stamme zwar aus einem katholischen Elternhaus und regelmäßige Kirchenbesuche, auch als Erwachsener, seien bezeugt. „Doch es ist auch heute nicht einfach, aufgrund äußerer Glaubensbekenntnisse auf innere Einstellungen zu schließen“, so Stüwe.

In seinem Umgang mit Frauen befolgte Kennedy eindeutig nicht die vorgegebene Linie der katholischen Kirche. Sein Image als Frauenheld und Schürzenjäger ging in die Geschichte ein. „Die Wirkung, die er auf weibliche Wähler hat, ist geradezu unanständig. Die Frauen wollen ihn entweder bemuttern oder heiraten“, schrieb die New York Times. Zahlreiche Affären sind belegt oder werden ihm nachgesagt, angeblich soll auch Marilyn Monroe zu seinen Eroberungen zählen. 1953 heiratete er schließlich Jacqueline Bouvier, eine junge, ebenfalls aus wohlhabendem Hause stammende Journalistin. Trotz Kennedys Untreue hielt die Ehe. Aus ihr gingen drei Kinder hervor, das dritte starb jedoch kurz nach der Geburt.

Kennedys Eintritt in die Politik war nicht von Anfang an vorgesehen. Ursprünglich sollte sein älterer Bruder Joseph jr. der erste katholische Präsident der Vereinigten Staaten werden. Doch er kam im Zweiten Weltkrieg bei einem Flugzeugeinsatz über dem Ärmelkanal ums Leben. Auch John F. trat als Marinesoldat ins Militär ein. Im Gegensatz zu seinem Bruder kehrte er jedoch als gefeierter Kriegsheld in die Heimat zurück. Das Schnellboot, das er kommandierte, wurde im August 1943 von einem japanischen Zerstörer gerammt und Kennedy dabei schwer am Rücken verletzt. Er zog aber dennoch einen ebenfalls verwundeten Kameraden an Land und wurde dafür mit einer Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet. Nach Kriegsende war es nun Jacks Aufgabe, in die Fußstapfen seines älteren Bruders zu treten und die Karriere in der Politik zu machen, die der Vater eigentlich für Joseph jr. vorgesehen hatte.

Kennedy zeigte schon früh ein reges Interesse an der Politik, studierte von 1936 bis 1940 Politikwissenschaften in Harvard und begleitete seinen Vater, der Ende der 30er US-Botschafter in Großbritannien war, nach Europa. Seine Abschlussarbeit schrieb er über die Appeasement-Politik der britischen Regierung gegenüber Nazi-Deutschland. Dank der Beziehungen und der finanziellen Unterstützung seines Vaters gelang ihm 1947 der Einzug ins Repräsentantenhaus – als demokratischer Abgeordneter für die Stadt Boston. Zweimal wurde er in seinem Mandat bestätigt, ehe er 1952 für den Bundesstaat Massachusetts einen Sitz im Senat gewinnen konnte. Als Kennedy für das Oberhaus des Kongresses kandidierte, fasste er bereits eine mögliche Präsidentschaftskandidatur ins Auge – nur als Senator war es ihm möglich, genügend Unterstützer für einen möglichen Wahlkampf hinter sich zu vereinen.

1960 verkündete er schließlich seine Kandidatur. Sein Gegner war Richard Nixon, der amtierende Vizepräsident. Für den jungen und vergleichsweise unbekannten Kennedy eine Herausforderung. „Kennedy musste seine Kampagne gegen das politische Schwergewicht Nixon führen, der als Vizepräsident einen viel höheren Bekanntheitsgrad und eine größere politische Expertise hatte“, so Klaus Stüwe. Von klein auf war er jedoch dazu erzogen worden, sich nur damit zufrieden zu geben, der Beste zu sein. Und so stellte er sich der Aufgabe. Beim ersten TV-Duell in der Geschichte der USA hinterließ er den besseren Eindruck: Jung, energetisch und vital wirkte er auf die Fernsehzuschauer, sein Kontrahent Nixon blieb dagegen blass.

Was die Öffentlichkeit jedoch nicht wusste: Kennedy war ein körperliches Wrack. Schon seit seiner Kindheit wurde er von zahlreichen Krankheiten geplagt, darunter ein Reizdarm, Rückenprobleme, Asthma, extreme Müdigkeit und mehrere Allergien. Zeit seines Lebens musste er ein Korsett tragen, nahm Schmerz- und Schlafmittel, Antibiotika, Antidepressiva und Cortison. Später wurde bei ihm die Addisonsche Krankheit diagnostiziert, eine Unterfunktion der Nebennierenrinde, die das Immunsystem schwächt. „Hätte die Nation gewusst, wie krank John F. Kennedy wirklich ist, wäre er nie Präsident worden“, schrieb sein Biograf Robert Dallek. Doch seinem Team gelang es, Kennedys Leiden vor der Öffentlichkeit geheim zu halten und das Image des jugendlichen, sportlichen und tatkräftigen Sonnyboys zu wahren. Seine Leiden sollen ihn nicht daran gehindert haben, sein Amt auszuüben.

Heute wird Kennedys Amtszeit von den meisten Experten als durchwachsen eingestuft. „Unterzieht man seine Präsidentschaft einer kritischen Analyse, dann sieht sie gar nicht so positiv aus“, erklärt Stüwe. „Aber er war ein Präsident, der den Aufbruch einer neuen Generation verkörperte.“ Mit seinem innenpolitischen Programm der „New Frontier“ wollte er das Bildungs-, Gesundheits- und Steuersystem reformieren. Zudem rückte er Themen wie Armutsbekämpfung und neue Einwanderungsgesetze in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Die meisten seiner Initiativen scheiterten jedoch am Kongress. Ein von ihm initiiertes Bürgerrechtsgesetz gegen die Rassendiskriminierung trat erst unter seinem Nachfolger Lyndon B. Johnson in Kraft. Dennoch machte Kennedys Idealismus vielen Amerikanern Mut und ihn selbst zu einem äußerst populären Präsidenten. Außenpolitisch sind die Kennedy-Jahre geprägt vom Kalten Krieg. Der Bau der Berliner Mauer, eine gesteigerte US-Militärpräsenz in Vietnam sowie die Kuba-Krise drückten seiner Amtszeit ihren Stempel auf. Mit reichlich diplomatischem Fingerspitzengefühl gelang es ihm, einen Atomkrieg mit der Sowjetunion zu vermeiden.

Auch wenn er der erste katholische US-Präsident war: Spürbare Veränderungen für Katholiken setzte Kennedy nicht durch. Die Erwartungen von Seiten der katholischen Bürger lagen allerdings nicht allzu hoch. Bereits mit seiner Rede in Houston hatte er klargestellt, dass er nicht für eine Politik eintreten werde, die sich in erster Linie an den Lehren der katholischen Kirche orientiere. Ebenso hatte er sich vor der Wahl dagegen ausgesprochen, katholische Schulen mit staatlichen Geldern zu subventionieren. Einige konservative Katholiken waren enttäuscht, dass er sich nicht dafür einsetzte, Abtreibungen gesetzlich zu verbieten. Dies brachte ihm sogar die Kritik mancher US-Bischöfe ein. Doch insgesamt blieb seine Popularität bei den amerikanischen Katholiken ungeschmälert. Für sie war Kennedys Präsidentschaft von hoher Symbolkraft. „Erstmals einen der Ihren im Weißen Haus zu sehen, das war etwas ganz Besonderes“, so Kennedy-Biograf Etges.

Am 22. November 1963 wird John F. Kennedy bei einer Wahlkampfveranstaltung im texanischen Dallas erschossen. Nur 1 036 Tage blieben dem jüngsten gewählten US-Präsidenten der Geschichte im Amt. Auch mehr als 50 Jahre später grassieren weiterhin zahlreiche Verschwörungstheorien über das Attentat an dem Mann, dem viele zu Lebzeiten den Status eines politischen Erlösers einräumten. Sein gewaltsamer, früher Tod machte ihn zum Mythos und sorgt bis heute dafür, dass seine Amtsperiode glorifiziert wird. Am Montag wäre er 100 Jahre alt geworden.

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