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David Berger: Der Zerrissene

„Leuchtturm des Abendlandes“: Warum David Berger statt Tagespolitik wieder auf Thomas von Aquin setzt. Eine Momentaufnahme.
David Berger ist ein Mann der Extreme
Foto: Jo Goede | David Berger ist ein Mann der Extreme. Jetzt ist sein Buch „Thomas von Aquin. Leuchtturm des Abendlandes“ neu aufgelegt worden.

Kader-Theologe des Vatikans, Chefredakteur einer Zeitschrift für Homosexuelle, Polit-Aktivist rechts von der Mitte oder von dort, wo früher die Mitte war - für David Berger waren die vergangenen Jahre gepflastert mit beruflichen Eruptionen. Dabei knallte er mit seinem Skandal-Buch „Der heilige Schein“, das zu seiner Entlassung aus dem kirchlichen Dienst und zur „Frühpensionierung durch das Land Nordrhein-Westfalen“ führte, und durch sein darauf folgendes Verhalten in der Öffentlichkeit vielen katholischen Persönlichkeiten verletzend und zum Teil ehrabschneidend und unwahr vor den Bug. Wahr ist aber auch: einiges von dem hoch explosiven Stoff, den Berger damals enthüllte, ist mittlerweile durch prominente Kleriker-Affären und Opfer-Klagen bestätigt worden. Sodom, Gomorrha, Rom - Berger hatte die Nase vorn und das Wissen, wo es in der Catholica am intensivsten stinkt.

Umso mehr kann man sich wundern, dass der Publizist ausgerechnet jetzt, da der kirchliche Sündenpfuhl die Menschen schier über jede Belastungsgrenze hinaus schockiert, mit der Neuauflage eines Buches an die Öffentlichkeit tritt, das schon vom Titel her, „Thomas von Aquin. Leuchtturm des Abendlandes“, versöhnlich klingt. Versöhnlich katholisch. Was steckt dahinter? Midlife-Krise, Läuterung? Bei der Begegnung im Stammhaus des „Caf  Einstein“ in Berlin gibt Berger zu, dass er sich in den vergangenen Jahren bei der Betreibung seines Blogs „Philosophia Perenni“ immer mehr von der eigentlichen Intention der Website entfernt habe. „Ich habe mich bei der journalistischen Arbeit immer mehr in Tagesfragen verloren. Dabei wollte ich mit der Website eigentlich die aktuellen Probleme vor einem philosophischen Hintergrund beleuchten.“

Berger möchte das geistige Fundament Europas verteidigen

Mit Thomas von Aquin möchte er nun erneut und in aller gebotenen Tiefe auf einen Geistesriesen aufmerksam machen, der wie kaum ein anderer die intellektuellen Grundlagen Europas repräsentiert. Denn darum geht es dem 51-jährigen Berger in Zeiten der - wie er sagt - „Islamisierung“: er will das geistige Fundament Europas verteidigen. Seine Werte. Denn der Schutz der Grenzen, so wichtig dieser politisch auch sei, ebenso wie die Euro-Währung oder die Offene Gesellschaft, das könne schließlich nicht alles sein. Innere christliche „Festigkeit“ sei nötig, auch wenn so viele Christen - sich selbst nimmt Berger ausdrücklich nicht aus - mit „Lauheit“ zu kämpfen hätten.

Dass Berger, der bei der persönlichen Begegnung schüchterner wirkt als auf Fotos, bei denen er gern eine durchtrainiert-selbstbewusste Pose einnimmt, mit diesem Buch auch an seine eigenen spirituellen Wurzeln anzuknüpfen versucht, ist evident. Geboren 1968 in Würzburg, groß geworden in einer liberalen „68er Familie“, wie er etwas spöttisch hinzufügt, verschaffte ihm die dezidiert katholische Schulausbildung auf dem von Patres geführten Internat in Münsterschwarzach eine Art Selbsterkennungserlebnis. Der zunächst schwächelnde Schüler wurde zum Überflieger, der sein Abitur mit der Note 1,0 abschloss.

Einer der wichtigsten Helfer dabei: Thomas von Aquin. Die gedankliche „Systematik“ und „Ordnung“ des Meistertheologen stand schließlich nicht nur in gutem Einklang mit den strengen Internatsregeln, sie schenkten Berger Orientierung, ein klares Denkgebäude. Was besonders mit 16 Jahren nötig war, als Berger, der früh den Priesterdienst anvisiert hatte und bis heute gelegentlich immer noch Träume von sich selbst als Zelebrant hat, seine homosexuellen Neigungen entdeckte. „Aus Respekt vor dem Priesteramt“ entschied er sich nach der Schule gegen das geweihte Leben und für seinen heutigen Lebensgefährten. Der Weg auf das Priesterseminar wäre ihm wie ein „Kompromiss“ vorgekommen. Ein „Durchschlängeln“. Das wollte er nicht. Praktischer Vorteil: Als freier Theologie-Student und in einer festen homosexuellen Beziehung lebend konnte er sich akademisch und sexuell „ausleben“, was zwar auch ein Kompromiss war, aber aus Sicht von David Berger („Ich bin kein Heiliger“) ein moralisch vertretbarer.

Kein Fan von Franziskus und Marx

Und heute, da die sexuellen Kräfte langsam nachlassen: was wäre, wenn ein Weihe-Angebot aus einer Diözese oder sogar aus Rom käme? Berger muss nicht lange nachdenken. Nein. Er würde es nicht machen. Aus Liebe zum Partner, wie er erläutert, und aus einem wertschätzenden Verhältnis zur sakramentalen Ordnung her. Diese Ordnung verteidigt Berger auch in Abgrenzung zu einer von manchen Hirten angebotenen kirchlichen Öffnung hin zur Segnung Homosexueller. Eine Ablehnung, die in sehr liberalen Kirchenkreisen verstört. Doch Berger, der sich selbst als „Überzeugungstäter“ bezeichnet, wenn es um das Aussprechen der Wahrheit geht und der sich eine Kirche wünscht, die ein „Stachel im Fleisch des Zeitgeistes“ ist, kann offensichtlich nicht anders. Theologisch gelernt ist gelernt. Trotz aller Zerrissenheit.

Für Stereotype oder Ersatzreligionen, wie etwa ein überspannt praktiziertes Engagement für die Umwelt, steht er nicht zur Verfügung. Doch zieht sich neben Verbal-Explosionen coram publico die Abweichung von festen Zuordnungen nicht wie ein Leitmotiv durch sein Leben? Der Mechanismus von Ideal-und-Vollkommenheits-Suche, Wirklichkeitsfrust, Auslösen einer Explosion und Weitergehen? Von „Theologisches“ zu „Männer“, von der CDU zur AfD und ganz raus? David Berger ist intelligent genug, um zu wissen, was da psychologisch abläuft, doch das richtige Maß, die sein großer mittelalterlicher Lehrmeister pries, war bisher nicht unbedingt als hervorstechendste Tugend zu erkennen. Das könnte sich ändern.  

Dass David Berger kein großer Fan von Papst Franziskus und Kardinal Reinhard Marx ist, jedoch mehr und mehr von Kardinal Rainer Maria Woelki, lässt er auch bei diesem Gespräch durchblitzen. Und seinen Optimismus. „Wir brauchen einen starken Katholizismus, zusammen mit der Orthodoxie und den osteuropäischen Ländern.“ Den imaginierten Kirchenführern ruft er zu: „Ihr macht zurzeit alles falsch, was sich falsch machen lässt, ihr werdet die Kirche aber nicht zerstören können, weil der Katholizismus so tief gründet und so eine lange Geschichte hat, sodass er sich auch durch 200 Jahre Missbrauch des Katholizismus nicht zerstören lässt. Ich habe das ja selbst, subjektivistisch gesprochen, erlebt.“ An sich selbst.

„Ihr macht zurzeit alles falsch,
was sich falsch machen lässt, ihr werdet
die Kirche aber nicht zerstören können“
David Berger

Kokett, aber wahr. Und Berger weiß, wovon er spricht. Er kennt die „Versuchungen“, das „Böse“, wie er sagt, und damit verbunden die „Gottesferne“, doch selbst in den Phasen, da er den Glauben verloren zu haben schien, betete er doch wenigstens vor dem Einschlafen zur Jungfrau Maria: „Unter Deinen Schutz und Schirm ...“. Es scheint geholfen zu haben, nicht nur, um die Illusionen der Gay-Community zu durchschauen, den hedonistischen Schein, sondern auch, um sich eine neue religiöse Disziplin zu erkämpfen. Seit einiger Zeit bewegt sich Berger, der mit seinem Lebenspartner, einem Architekten, in Köln und Berlin wohnt, wieder auf die Kirche zu. Zur Sonntagsmesse geht er nun wieder regelmäßiger. Am liebsten besucht er die „würdigen“ Messfeiern der Kölner Pfarrei „Maria in der Kupfergasse“; aber auch bei den Pius-Brüdern ist er hin und wieder schon mal aufgetaucht. Freundlich begrüßt, wie er betont.

Sein Buch ist Papst Benedikt gewidmet

Bei der Beurteilung des Zweiten Vatikanischen Konzils steht er allerdings Benedikt XVI., dem er einst Homosexualität unterstellte und dem sein neues Buch „reuigen Herzens gewidmet“ ist, näher. Dem deutschen Papst, der eine Deutung der Texte im Lichte der Tradition anrät. Besonders das Konzilsdokument zur Religionsfreiheit ist Berger wichtig. Was das „islamophobe“ Etikett, das ihm im Zuge seines Rauswurfes bei der Zeitschrift „Männer“, bei der er die muslimische Schwulenfeindlichkeit anprangerte, korrigiert oder zumindest relativiert. Überhaupt gibt Berger, der sich selbst als liberal-konservativ einstuft, zu: „Die Linken hassen mich auf den Tod. Von der Antifa erhalte ich schon lange Gewaltdrohungen. Nun sind auch welche von rechts dazugekommen. Erstaunlicherweise habe ich bisher noch keine Gewaltandrohungen von Islamisten bekommen.“

Angesprochen auf seine Wünsche und Ziele für die Jahre, die noch vor ihm liegen, gesteht Berger, dass er sich vor allem nach „Ruhe“ sehne, nach der Fähigkeit, sich zurückzuhalten. Bei Facebook, wo er als „Fake-News-Betreiber“ eingestuft und deshalb in seiner Reichweite beschnitten wurde, hat er sich Anfang Oktober freiwillig verabschiedet; gesundheitlich lässt er sich regelmäßig checken, außerdem betreibt er Sport und führt ein gesundes Leben. „Ich möchte noch gerne ein Buch über die christliche Glücks-Ethik schreiben“, erzählt Berger, während um ihn herum die Kellner wirbeln und neue Gäste das Caf  betreten. „Ich möchte zeigen, wie unglaublich human der Katholizismus ist. Ich möchte den Leuten klar machen, dass das christliche Menschenbild dem Menschen gerecht wird.“ Als er die Kirche kritisiert habe, hätten ihn die Linken zur Galionsfigur erkoren, dann jedoch zur Hassfigur. Bei der Kirche seien die Versöhnung, die Buße und die Rückkehr stets möglich gewesen. Der Weg zum Beichtstuhl stehe einem stets offen.„Das gibt es nur im Bereich der übernatürlichen Gnade. In keiner Partei.“ 

„Ich möchte zeigen, wie unglaublich human
der Katholizismus ist. Ich möchte den Leuten
klar machen, dass das christliche Menschenbild
dem Menschen gerecht wird“
David Berger

Besonders stolz ist David Berger, dass eine Managerin, die keinen Bezug zum Glauben habe und das Thomas von Aquin-Buch gelesen hat, durch das neue Buch neugierig geworden sei auf den Katholizismus. Das katholische Denkgebäude. Weshalb man sein neu aufgelegtes Buch auch nicht vorschnell als PR-Trick abkanzeln sollte. Manchmal greift der Gründer der Kirche auf unvollkommene Werkzeuge zurück. Eigentlich fast immer.

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